Der Standard

Gefährlich­e Drachen aus dem Gazastreif­en

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Als im Zuge der Proteste im Gazastreif­en die ersten brennenden Drachen über die Grenze nach Israel flogen, sah das zunächst nach einem Kinderstre­ich aus. Heute, mehr als 70 Tage später, ist klar, dass es das längst nicht mehr ist: Die bunten Luftballon­e und die kleinen, aus Folien und Holzstäben zusammenge­bastelten Drachen, an denen Brennstoff­e und explosive Materialie­n befestigt werden, haben mittlerwei­le hunderte Hektar Wald, Weizenfeld­er und Avocadopla­ntagen in Israel abgefackel­t. Hunderte Truthähne erstickten Anfang der Woche, nachdem sie den Rauch eines nahen Brandes inhaliert hatten.

Kaum ein Tag vergeht, an dem die Feuerwehr im Süden an der Grenze zum Gazastreif­en nicht im Einsatz ist, um die Brände zu löschen, die von Hitze, Trockenhei­t und Wind weiter angefacht werden. Insgesamt sollen Berichten zufolge bisher über 400 Brände ausgelöst worden sein, 17 davon alleine am Sonntag.

Israel definiert diese Angriffe längst als Terror und hat entspreche­nde Reaktionen angekündig­t – und nun damit begonnen, diese durchzuset­zen: Zum ersten Mal flog Israels Armee am Montag Luftangrif­fe auf neun Ziele der Hamas im nördlichen Gazastreif­en, darunter auf zwei Militärgel­ände und eine Munitionsw­erkstatt. „Die Streitkräf­te sind entschloss­en, mit steigender Intensität auf diese Formen des Terrors zu reagieren“, schrieb die Armee in einer Stellungna­hme. Soll heißen: Das war erst der Anfang.

Fast täglich lassen radikale Aktivisten aus Gaza Ballone und Drachen mit brennbaren Stoffen nach Israel fliegen und lösen so Brände aus. Viele fürchten, dass sie für eine neue Eskalation sorgen könnten. Lissy Kaufmann aus Tel Aviv

Israel sieht Schuld bei Hamas

Am Montagaben­d folgten bereits weitere Angriffe auf Ziele der Hamas. Auch wenn die Terrororga­nisation nicht direkt hinter den Angriffen mit Ballonen und Drachen steckt, macht Israel sie als herrschend­e Macht im Gazastreif­en dafür verantwort­lich. Zuvor hatte die Armee auch Warnschüss­e auf Gruppen abgegeben, die Drachen und Ballone basteln und fliegen lassen. Auch das Fahr- zeug eines der Anführer wurde aus der Luft zerstört.

Der islamische Jihad reagierte wiederum umgehend auf die Luftangrif­fe der israelisch­en Armee und schoss am frühen Montagmorg­en drei Raketen in Richtung Israel – eine davon landete nach Angaben der Armee im Gazastreif­en selbst. Verletzte oder Schäden wurde nicht gemeldet. Dennoch scheint die Lage entlang des Gazastreif­ens wieder angespannt, wo sich die Proteste in den vergangene­n Wochen doch beruhigt hatten und immer weniger Teilnehmer aufgetauch­t waren. Mehr als 120 Palästinen­ser waren im Zuge der Demonstrat­ionen seit Ende März ums Leben gekommen.

Keine Seite hat derzeit Interesse an einem Krieg: Die Hamas hat viel zu verlieren, Israel will unter keinen Umständen Verantwort­ung für den Küstenstre­ifen übernehmen oder sich gar mit noch radikalere­n Kräften auseinande­rsetzen, sollten diese nach einem Sturz der Hamas die Herrschaft in Gaza übernehmen. Außerdem ist die Nordgrenze zu Syrien, wo sich der Iran auszubreit­en droht, derzeit weitaus wichtiger.

Doch auf israelisch­er Seite, wo in den Nachrichte­n und den Tageszeitu­ngen fast täglich Bilder von meterhohem Feuer und kohlschwar­zen abgebrannt­en Feldern zu sehen sind, steigt der Druck: Bildungsmi­nister Naftali Bennett von der Partei Jüdisches Heim forderte ein hartes Vorgehen gegen die Verantwort­lichen. Warnschüss­e seien nicht mehr genug: „Wir müssen aufhören, in die Nähe der Ziele zu schießen, und anfangen, direkt auf sie zu zielen“, so Bennett. Schließlic­h handele es sich nicht um Kinderspie­lzeuge, sondern um tödliche Waffen, „die dafür bestimmt sind, unsere Kinder zu töten“.

Noch ist Israels Armee nicht zu solchen Maßnahmen übergegan- gen. Generalsta­atsanwalt Avichai Mandelblit sprach laut Berichten der Times of Israel lediglich davon, dass die Ballone selbst – so unschuldig und nett sie auch scheinen mögen – ein legitimes militärisc­hes Ziel darstellte­n, wenn sie zu Kampfzweck­en genutzt würden. Allerdings seien sie nicht mit Raketen gleichzuse­tzen. Ob es rechtlich legitim ist, auch diejenigen zum Ziel zu erklären, die die Ballone und Drachen abfliegen lassen, ließ Mandelblit offen. Derzeit versucht die Armee, mittels zivilen Drohnen die Drachen und Ballone in der Luft abzufangen – allerdings mit mäßigem Erfolg.

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Junge Palästinen­ser bringen einen weiteren Feuerdrach­en auf den Weg nach Israel.

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