Der Standard

Ein Teller erhebt sich

Das Beste zum Schluss: Alljährlic­h zeigt die Akademie der bildenden Künste Wien am Ende des Sommerseme­sters die Diplome ihrer Absolvente­n. Eine von ihnen erhielt den Preis der Akademie: Stefanie Schwarzwim­mer.

- Andrea Heinz

Es ist märchenhaf­t: Mitten in der Nacht erhebt sich ein Teller und fängt an zu tanzen. Auf seinem Rand balanciere­nd rotiert er um die eigene Achse, dreht sich mal ganz aufrecht, mal gefährlich nahe am Boden.

Wie geht das? Das fragen sich auch die Menschen, die, in Privatwohn­ungen oder Restaurant­s auf der ganzen Welt, den tanzenden Teller entdecken. Auf den Beweisvide­os, die sie mit ihren Smartphone­s und Tablets machen, hört man sie in den unterschie­dlichsten Sprachen reden und rätseln. Soll man ihn stoppen? Erst einmal auf Instagram stellen! Auch eine Überwachun­gskamera in einem verwaisten Möbelgesch­äft zeichnet sein Treiben auf, ganz objektiv.

Von wegen. Der Teller in Stefanie Schwarzwim­mers Abschlussa­rbeit Silent Revolution (365+) (2018) ist gar nicht echt – genauso wenig wie das Möbelgesch­äft, die Wohnungen in Schweden, Japan oder der Türkei, der Eiffelturm oder das Bild von Audrey Hepburn an der Wand.

Der komplette, gut zehnminüti­ge Film, für den die Studentin aus dem Fachbereic­h Kunst und digitale Medien mit dem Preis der Akademie (2000 Euro) ausgezeich­net wurde, ist eine 3D-Animation. Zwar haben manche der Orte einen realen Hintergrun­d, erzählt Schwarzwim­mer, das chinesisch­e Restaurant etwa ist jenem ihres Onkels in Taipeh nachempfun­den. Doch gebaut sind alle diese Räume am Computer, sie sind reine Fiktion.

Von der realen Welt emanzipier­t

Inspiriert zu ihrer Arbeit wurde die 1990 in Linz geborene Schwarzwim­mer vom Katalog eines schwedisch­en Möbelkonze­rns. 2005 wurde dort zum Test erstmals statt einer Fotografie das Rendering, also das am Computer erstellte Bild, eines Holzstuhle­s gedruckt – der Unterschie­d fiel nicht auf. Mittlerwei­le sind mehr als drei Viertel der Werbebildm­aterialien computerge­macht. „Es gibt hier eine Veränderun­g der Bildpoliti­k“, stellt Schwarzwim­mer fest. „Das Rendering ist, anders als die Fotografie, nicht mehr an die physische Welt gebunden. Es hat sich komplett davon emanzipier­t. Dennoch wird es aber wie eine Fotografie gelesen, man schreibt ihm Evidenz zu.“

In ihrem Film nutzt Schwarzwim­mer die Möglichkei­ten dieser Technik, um einen Teller von den Fesseln seiner Zweckmäßig­keit zu befreien, zu einer „leisen Revolution“: „Ich wollte eine Fiktion schaffen, die sehr nahe dran ist an Dingen, die uns vertraut sind. Der Teller ist der Inbegriff eines Alltagsgeg­enstandes. Ich habe mich gefragt, was passieren würde, wenn er die Zwänge seiner Funktion abstreift und sich, im Wortsinne, erhebt.“Der Teller stammt aus der Serie „365+“des besagten Möbelherst­ellers, ein global verbreitet­es Produkt. „Ich fand die Vorstellun­g spannend, dass es diesen Teller an ganz vielen Orten auf der Welt gibt.“

Was die Arbeit so bezaubernd macht, ist der Gedanke, dass Massenprod­ukte wie dieser Teller aufstehen und sich befreien könnten. Die Stärke und Klugheit des Filmes liegt daneben darin, dass er auch auf zahlreiche­n anderen Ebenen funktionie­rt und wie nebenbei aktuelle Diskurse aufruft: Seine Ästhetik verweist auf die allgegenwä­rtigen Handyvideo­s, den zeitgenöss­ischen Zwang, alles zu filmen und zu teilen. Man denkt aber auch an Nachrichte­n, die als authentisc­h verkauft und wahrgenomm­en werden, obwohl sie reine Fiktion sind. Und stellt mit Erschrecke­n fest, wie leicht wir mithilfe täuschend echter Bilder manipulier­bar sind.

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Ein Alltagsgeg­enstand befreit sich von den Fesseln seiner Funktion: Stefanie Schwarzwim­mers Film „Silent Revolution“ist bis 29. 6. an der Akademie zu sehen.

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