Ein Teller erhebt sich
Das Beste zum Schluss: Alljährlich zeigt die Akademie der bildenden Künste Wien am Ende des Sommersemesters die Diplome ihrer Absolventen. Eine von ihnen erhielt den Preis der Akademie: Stefanie Schwarzwimmer.
Es ist märchenhaft: Mitten in der Nacht erhebt sich ein Teller und fängt an zu tanzen. Auf seinem Rand balancierend rotiert er um die eigene Achse, dreht sich mal ganz aufrecht, mal gefährlich nahe am Boden.
Wie geht das? Das fragen sich auch die Menschen, die, in Privatwohnungen oder Restaurants auf der ganzen Welt, den tanzenden Teller entdecken. Auf den Beweisvideos, die sie mit ihren Smartphones und Tablets machen, hört man sie in den unterschiedlichsten Sprachen reden und rätseln. Soll man ihn stoppen? Erst einmal auf Instagram stellen! Auch eine Überwachungskamera in einem verwaisten Möbelgeschäft zeichnet sein Treiben auf, ganz objektiv.
Von wegen. Der Teller in Stefanie Schwarzwimmers Abschlussarbeit Silent Revolution (365+) (2018) ist gar nicht echt – genauso wenig wie das Möbelgeschäft, die Wohnungen in Schweden, Japan oder der Türkei, der Eiffelturm oder das Bild von Audrey Hepburn an der Wand.
Der komplette, gut zehnminütige Film, für den die Studentin aus dem Fachbereich Kunst und digitale Medien mit dem Preis der Akademie (2000 Euro) ausgezeichnet wurde, ist eine 3D-Animation. Zwar haben manche der Orte einen realen Hintergrund, erzählt Schwarzwimmer, das chinesische Restaurant etwa ist jenem ihres Onkels in Taipeh nachempfunden. Doch gebaut sind alle diese Räume am Computer, sie sind reine Fiktion.
Von der realen Welt emanzipiert
Inspiriert zu ihrer Arbeit wurde die 1990 in Linz geborene Schwarzwimmer vom Katalog eines schwedischen Möbelkonzerns. 2005 wurde dort zum Test erstmals statt einer Fotografie das Rendering, also das am Computer erstellte Bild, eines Holzstuhles gedruckt – der Unterschied fiel nicht auf. Mittlerweile sind mehr als drei Viertel der Werbebildmaterialien computergemacht. „Es gibt hier eine Veränderung der Bildpolitik“, stellt Schwarzwimmer fest. „Das Rendering ist, anders als die Fotografie, nicht mehr an die physische Welt gebunden. Es hat sich komplett davon emanzipiert. Dennoch wird es aber wie eine Fotografie gelesen, man schreibt ihm Evidenz zu.“
In ihrem Film nutzt Schwarzwimmer die Möglichkeiten dieser Technik, um einen Teller von den Fesseln seiner Zweckmäßigkeit zu befreien, zu einer „leisen Revolution“: „Ich wollte eine Fiktion schaffen, die sehr nahe dran ist an Dingen, die uns vertraut sind. Der Teller ist der Inbegriff eines Alltagsgegenstandes. Ich habe mich gefragt, was passieren würde, wenn er die Zwänge seiner Funktion abstreift und sich, im Wortsinne, erhebt.“Der Teller stammt aus der Serie „365+“des besagten Möbelherstellers, ein global verbreitetes Produkt. „Ich fand die Vorstellung spannend, dass es diesen Teller an ganz vielen Orten auf der Welt gibt.“
Was die Arbeit so bezaubernd macht, ist der Gedanke, dass Massenprodukte wie dieser Teller aufstehen und sich befreien könnten. Die Stärke und Klugheit des Filmes liegt daneben darin, dass er auch auf zahlreichen anderen Ebenen funktioniert und wie nebenbei aktuelle Diskurse aufruft: Seine Ästhetik verweist auf die allgegenwärtigen Handyvideos, den zeitgenössischen Zwang, alles zu filmen und zu teilen. Man denkt aber auch an Nachrichten, die als authentisch verkauft und wahrgenommen werden, obwohl sie reine Fiktion sind. Und stellt mit Erschrecken fest, wie leicht wir mithilfe täuschend echter Bilder manipulierbar sind.