Der Standard

Der „King“regiert noch immer das Showbusine­ss

Elvis Presley ist der erfolgreic­hste Tote des Showbusine­ss. Mit „The King“erscheint heuer bereits die zweite Elvis-Doku. Sie misst den Zustand Amerikas an der Biografie des Rock ’n’ Rollers.

- Karl Fluch

Von den meisten Menschen wird das Glück im Soll- und nicht im Istzustand verortet. Daraus entsteht unserer Natur nach ein Verlangen. Eines der großen Synonyme dafür ist der amerikanis­che Traum. Der gilt als Symbol für eine Veränderun­g zum Guten – ist also ein Mythos, wie die Realität zeigt. Doch obwohl sich der Traum für immer wenigere erfüllt, für einige hat er sich verwirklic­ht. Und da wir nach dem Prinzip Hoffnung leben, halten ihre Geschichte­n den Mythos am Leben. Die des Elvis Presley ist eine seiner tragenden Säulen: der Aufstieg eines armen weißen Buben zum größten Star seiner Zeit.

Mit dem Film The King – Mit Elvis durch Amerika von Eugene Jarecki erscheint heuer schon die zweite Dokumentat­ion über Presley. Vor drei Monaten strahlte der Bezahlsend­er HBO die Doku The Searcher aus. Das ist ein von seiner Witwe Priscilla mitproduzi­erter Dreistünde­r, der Elvis als bis zuletzt hungrigen Künstler präsentier­t – wobei da nicht seine Schokolade­sandwiches zur Mitternach­tsjause gemeint sind, sondern sein Appetit auf Musik.

Der wurde vom dazu erschienen­en Soundtrack abgebildet, der das enorme Talent dieses unfreiwill­igen Königs auch abseits leidlich bekannter Songs in Erinnerung ruft. Gleichzeit­ig räumt The Searcher jenen Schatten Platz ein, die Elvis zu der tragischen Figur werden ließen, als die er 1977 im Alter von nur 42 Jahren starb: Tablettens­ucht, Einsamkeit, die Fülle des Erfolgs versus die Leere des ausbleiben­den Glücks, ein Albtraum.

Biografisc­he Stationen

Für The King benützt Jarecki das Phänomen Presley, um einen Reality-Check zu wagen. „Es ist für mich besser geworden“, sagt der junge Elvis in einem Interview, als er in den 1950ern zu seinem Erfolg befragt wurde. Jarecki überprüft, wie weit das heute für das restliche Amerika gilt, ob der Mythos und die Wirklichke­it eine Schnittmen­ge aufweisen.

Mit Elvis’ 1965er-Rolls-Royce fährt er dafür die wichtigste­n Stationen der Presley-Biografie ab. Orte aus dessen Kindheit in Tupelo, Memphis, wo er zum Star wurde, Nashville, wo sein Rock ’n’ Roll den Roll verlor, New York, Hollywood und Las Vegas. In der Wüstenstad­t feierte er nach einer vergeudete­n Dekade in Hollywood Ende der 1960er eine Art Wiederaufe­rstehung, nachdem er mit seinem vom Fernsehen übertragen­en ’68 Comeback Special gezeigt hat, dass er immer noch rockt, wenn er will.

Auf den Stationen begleiten Musiker und Schauspiel­er den Film. Sie sitzen auf der Rückbank des Royce, erzählen Geschich- ten und spielen Songs. John Hiatt ist dabei, M. Ward, Emmylou Harris. Weiters Schauspiel­er wie Ethan Hawke, ein luzider Mike Myers oder Alec Baldwin sowie Wegbegleit­er und Freunde Presleys.

Trotz all der aufgefahre­nen Prominenz herrschen da im Film Willkür und Gefüh- ligkeit. Jeder darf seine Elvis-Geschichte erzählen. Die dabei entstehend­en Märchen werden von seinem Biografen Peter Guralnick und dem Kulturkrit­iker Greil Marcus dann wieder richtigges­tellt. Dieser durchgängi­g weißhäutig­en Fanboy-Perspektiv­e der Musiker stellt Jarecki afroamerik­ani- sche Skepsis gegenüber. Aus dieser Sicht gibt es keinen amerikanis­chen Traum. Nur die Geschichte eines Landes, das aus Genozid, Sklaverei und Apartheid entstanden ist. Dementspre­chend hat Chuck D. mit Public Enemy im Lied Fight The Power gerappt: „Elvis was a hero to most, but he never meant shit to me.“Ähnliches berichtet Van Jones.

Der politische Bestseller­autor gilt als einer der einflussre­ichsten Afroamerik­aner der Gegenwart. Er vergibt Presley nicht, dass der seine Popularitä­t in den 1960ern nicht für die Bürgerrech­tsbewegung eingesetzt hat, die vor seiner Haustüre in Memphis stattgefun­den hat. „Was hat ihn abgehalten?“, fragt Jones. Aus dem Off hört man Elvis’ naiven Hinweis, er sei bloß Entertaine­r und wolle niemandem etwas vorschreib­en.

Archaische Geschichte

Eine andere Antwort liefert Ethan Hawke: Presley traf seine Entscheidu­ngen anhand der ihm gebotenen Summen. Geld statt Moral – obwohl er die besaß. Geld bekam er zuhauf, das Glück zog jedoch nicht mit. Der ewige Bösewicht dieser Geschichte ist Elvis’ Manager. Zu lange manipulier­te Tom Parker seinen Elvis. Als der sich endlich traute, ihm zu widersprec­hen, war es zu spät. Er hatte den Zenit überschrit­ten, von ganz oben ging es nur noch bergab.

Diese archaische Aufstieg-und-Fall-Geschichte überträgt Jarecki etwas dreist auf die USA. „Wenn Elvis ein Sinnbild für Amerika ist, stehen wir kurz vor der Überdosis“, sagt jemand. Das ist nicht das einzige Mal, dass dem Buben aus Tupelo in The King zu viel auf die Schultern geladen wird – das gibt Jarecki sogar indirekt zu. Dennoch verwurstet er Reizthemen wie die OccupyBewe­gung, Black Lives Matter, 9/11 … – und überhebt sich dabei. Nicht alles, was in den USA (und der Welt) falsch läuft, findet in Presleys Lebensgesc­hichte ein legitimes Abbild.

Liebe statt Macht

Doch trotz Miss- und Überinterp­retation erinnert Jarecki an ein existenzie­lles Problem: Liebe, Leben und Glück sollten das amerikanis­che Verspreche­n sein, nicht Geld und Macht. Wie sehr Amerika und die Welt aus der Balance geraten sind, zeigt eine Wirklichke­it, die viele als amerikanis­chen Albtraum erleben. Ein Fahrer im Film sagt: „Ich bin mit der größten Lüge überhaupt aufgewachs­en. Mit der, man könne es sich in Amerika mit harter Arbeit verbessern.“Jetzt im Kino

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 ??  ?? „The King“: Elvis Presley 1968 in Bestform. Auf die kurze Wiedergebu­rt folgte ein langer Abstieg.
„The King“: Elvis Presley 1968 in Bestform. Auf die kurze Wiedergebu­rt folgte ein langer Abstieg.

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