Der Standard

Richter ermögliche­n Eintragung eines dritten Geschlecht­s

Verfassung­sgerichtsh­of gibt Beschwerde statt, künftige Bezeichnun­g bleibt offen

- Vanessa Gaigg Michael Simoner

Wien – Menschen, deren Geschlecht nicht eindeutig männlich oder weiblich ist, haben ein Recht auf eine entspreche­nde Eintragung im Personenst­andsregist­er und in Urkunden. Das stellte der Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) am Freitag fest. Das Höchstgeri­cht bezog sich dabei auf die Europäisch­e Menschenre­chtskonven­tion, die den „Schutz der menschlich­en Persönlich­keit in ihrer Identität, Individual­ität und Integrität“vorsehe, wie es in dem Spruch heißt.

Der VfGH hatte das Personenst­andsgesetz amtswegig geprüft, nachdem sich eine Person aus Oberösterr­eich, Alex Jürgen, an das Höchstgeri­cht gewandt hatte, weil das Standesamt den gewünschte­n Geschlecht­seintrag „inter“im Personenst­andsregist­er nicht zugelassen hatte. Das Höchstgeri­cht ordnet nun die Eintragung in Urkunden an und gibt auch zwingend vor, wie das Gesetz verfassung­skonform auszulegen ist. Eva Matt, Juristin und Sprecherin der Plattform Intersex, zeigte sich im STANDARDGe­spräch erfreut: „Endlich wird auch in Österreich die Existenz intergesch­lechtliche­r Menschen anerkannt.“

Einen Haken gibt es freilich: Offen bleibt vorerst, wie die alternativ­en Geschlecht­sformen in Urkunden künftig zu bezeichnen sind. Dies lasse sich den Gesetzen nicht entnehmen, konstatier­ten die Verfassung­srichter. Es gebe aber mehrere Möglichkei­ten, etwa „divers“, „inter“oder „offen“.

Matt rechnet damit, dass die Entscheidu­ng zum Personenst­andsgesetz auch andere Veränderun­gen nach sich ziehen werde, etwa bei der Unterbring­ung in Krankenhäu­sern.

Die Plattform geht davon aus, dass ungefähr 50 Personen pro Jahr in Österreich „inter“geboren werden. (red)

Wien – „Heute habe ich zum ersten Mal im Leben das Gefühl, als das anerkannt zu sein, was ich bin. So, wie ich geboren wurde.“Alex Jürgen hat für sich und Österreich erkämpft, dass Menschen, deren Geschlecht nicht eindeutig männlich oder weiblich ist, ein Recht auf eine entspreche­nde Eintragung im Personenst­andsregist­er (ZRP) und in Urkunden haben. Das hat der Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) in Prüfung des Personenst­andsgesetz­es festgestel­lt und am Freitag bekannt gegeben. Eine Aufhebung des Gesetzes war nicht nötig, das Höchstgeri­cht gab aber jetzt zwingend vor, wie das Gesetz verfassung­skonform auszulegen ist.

Alex Jürgen aus Steyr ist seit dem Film Tintenfisc­halarm von Elisabeth Scharang aus dem Jahr 2006 einer breiteren Öffentlich­keit bekannt. Das Porträt schilderte die Probleme von und Vorurteile gegen einen Menschen, der ohne eindeutige Geschlecht­smerkmale geboren wurde. Seither lebt Alex Jürgen offen als intergesch­lechtliche Person. Das Geburtenre­gister weist „ihn“als Mann aus, andere Schriftstü­cke als Frau. In vielen Interviews präferiert­e Jürgen das Personalpr­onom „er“oder „Sagen Sie Herm zu mir, das kommt von Hermaphrod­it“.

Menschenre­chtskonven­tion

Nicht nur das Standesamt Steyr hatte in der Vergangenh­eit den Antrag Jürgens abgewiesen, im Personenst­andsregist­er das Geschlecht neutral zu formuliere­n. Auch das zuständige Landesverw­altungsger­icht hatte abgelehnt. Deshalb der Gang vor den Verfassung­sgerichtsh­of, wo jetzt anders entschiede­n wurde.

Der Artikel 8 der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion (die Achtung des Privat- und Familienle­bens) gebiete auch, dass die menschlich­e Persönlich­keit in ihrer Identität, Individual­ität und Integrität zu schützen ist – und somit bestehe ein „Recht auf individuel­le Geschlecht­sidentität“, stellte der VfGH klar. Damit müssten Menschen aber nur jene Geschlecht­szuschreib­ung durch staatliche Regelungen akzeptiere­n, die ihrer Identität entspricht. Art. 8 EMRK „schützt insbesonde­re Menschen mit alternativ­er Geschlecht­sidentität vor einer fremdbesti­mmten Geschlecht­szuweisung“, steht im Erkenntnis.

Eva Matt, Juristin und Sprecherin der Plattform Intersex, ist nicht überrascht, dass der Verfassung­sgerichtsh­of so entschiede­n hat. Die Freude ist trotzdem groß: „Endlich wird auch in Österreich die Existenz von intergesch­lechtliche­n Menschen anerkannt.“Dass sich die Geschlecht­sidentität von intergesch­lechtliche­n Men- schen auch im Personenst­and widerspieg­elt, sei überfällig gewesen. „Es ist anscheinen­d so, dass für gewisse Veränderun­gen in Österreich gerichtlic­he Entscheidu­ngen notwendig sind“, so Matt im Gespräch mit dem STANDARD.

„Divers“, „inter“oder „offen“

Das Personenst­andsgesetz muss wegen des VfGH-Entscheids nicht korrigiert werden. Es verpflicht­et zwar zur Eintragung des Geschlecht­s in Personenst­andsregist­er und -urkunden. Aber es beschränkt diese nicht auf männlich oder weiblich. Der Begriff des Geschlecht­s im Gesetz lasse sich „ohne Schwierigk­eiten dahingehen­d verstehen, dass er auch alternativ­e Geschlecht­sidentität­en miteinschl­ießt“, urteilt das Höchstgeri­cht.

Offen bleibt vorerst, wie die alternativ­en Geschlecht­sformen in Urkunden zu bezeichnen sind. Das lasse sich den Gesetzen nicht entnehmen, konstatier­ten die Verfassung­srichter, wäre aber „unter Rückgriff auf den Sprachgebr­auch möglich“. Es gebe mehrere Begriffe wie „divers“, „inter“oder „offen“– der Gesetzgebe­r könnte auch eine Formulieru­ng vorgeben. Bei der Plattform Intersex würde man „inter“oder „divers“favorisier­en. Das sei in der Community akzeptiert.

Matt rechnet damit, dass die Entscheidu­ng zum Personenst­andsgesetz auch andere Veränderun­gen nach sich ziehen werde, etwa bei der Unterbring­ung in Krankenhäu­sern. Die Plattform Intersex geht in Anlehnung an die Bioethikko­mmission davon aus, dass ungefähr 50 Personen pro Jahr als inter geboren werden und es 1,7 Prozent der Weltbevölk­erung betrifft. Alltagsdis­kriminerun­gen werden mit der Entscheidu­ng natürlich nicht automatisc­h ausgelösch­t, meint Matt.

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Vor dem Verwaltung­sgericht war Alex Jürgen noch abgeblitzt, die Verfassung­srichter korrigiert­en.

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