Experiment fehlgeschlagen
Eine Union gibt es in Europa schon lange nicht mehr, Demokratie mit echten Wahlmöglichkeiten in wenigen Staaten. Die längst nicht mehr neue Konzentration auf den Nationalstaat hat Folgen: Immer wieder gibt es Streit und Konflikte, gerade erst drohte wieder ein Krieg zwischen Ungarn und der Ukraine. Kurz: Es ist ein düsteres Szenario, das den Europäern im Sommer 2038 jeden Mittwoch um 20.15 Uhr in der Serie National präsentiert wird. Die historische Fiktion gibt es nicht als Stream, ihre exklusive Ausstrahlung im TV soll für Spannung und Erlebnischarakter sorgen. Es funktioniert, sie ist ein Hit, Menschen treffen sich zu TV-Schau-Gruppen.
Ihr Fokus liegt auf den Folgen des EU-Auflösungsreferendums von 2030. Sie erzählt, was passiert wäre, hätten sich nicht 51,9 Prozent der Europäer für das Paket zum Fortbestand der Union entschieden. Alles oder nichts war das Motto, und eigentlich hatte alles für „nichts“gesprochen: Seit Jahren waren die meisten Staaten von EUKritikern regiert worden, die Beteiligung an der EU-Wahl 2029 lag bei 17 Prozent. Die Staatenlenker hatten sich sicher gefühlt, das EU-Aus von den Bürgern absegnen zu lassen. Auch weil sie ihm ein zynisch überzogenes Zentralmodell gegenüberstellten, das unwählbar schien.
Doch das Kalkül mit der Direktdemokratie schlug aus Sicht der EU-Gegner fehl. Bürgergruppen stellten sich dem EU-Aus entgegen, mitfinanziert von Industrieverbänden. Seither liegen Außenpolitik und Budget in den Händen einer gewählten EU-Regierung. Gesetze werden von Gruppen zufällig ausgewählter Bürger und Experten kollaborativ erarbeitet, dann wird via E-Voting abgestimmt. 2038 hält das System – noch. Der Widerstand jener, die sich um ihre staatliche Heimat betrogen fühlen, ist groß. Die National- Schauspieler erhalten täglich Drohschreiben. Europa ist vereint und dennoch tief gespalten.