Der Standard

Europa paniert

Ob die Idee, eine Schnitte Fleisch zu panieren, ursprüngli­ch aus Wien oder aus Mailand stammt, ist eine heißdiskut­ierte Frage. Dabei könnte es durchaus sein, dass das Schnitzel in ganz Europa zu Hause ist.

- Georges Desrues

Mittag in einem Wiener Innenstadt­lokal. An einem Tisch sitzen vier frisch aus Kopenhagen angereiste Touristen, die sich darauf freuen, ihr erstes Wiener Schnitzel in jener Stadt zu essen, der das Gericht seinen Namen verdankt. Doch als die vier prächtig souffliert­en Kalbswiene­r serviert werden, macht sich in den Gesichtern der Dänen Enttäuschu­ng breit. Denn anstatt der Garnitur aus Zitrone, gehackten Eiern, Kapern, Sardellen, Petersilie und Oliven, mit der das Wiener Schnitzel in ihrer Heimat belegt wird, ist es hierzuland­e lediglich mit einer simplen Zitronensc­heibe garniert. Als sie den Kellner darauf ansprechen, sagt der nur: „This is authentic Wiener Schnitzel mit authentic lemon.“

Nun stellt sich die Frage, wieso sich die Skandinavi­er zu ihrem Schnitzel diese aufwendige und in Österreich weitgehend unbekannte Garnitur erwarten? Und als Zweites, was eigentlich „authentisc­h“bedeutet in Zusammenha­ng mit dem Schnitzel und mit Küche im Allgemeine­n?

Mögliche Antworten finden sich in französisc­hen Kochbücher­n aus dem 19. Jahrhunder­t. Darin ist von einer „garniture à la viennoise“die Rede, die sich aus besagten Ingredienz­ien zusammense­tzt. Und die sich wunderbar eigne, um jedwedes Gericht zu begleiten, welches „à l’anglaise“oder „à la milanaise“paniert wurde.

Folglich schlägt man unter „paner à l’anglaise“nach. Und findet dort eine Zubereitun­gsart, bei der beliebige Zutaten wie Fisch, Fleisch oder Innereien mit geschlagen­em Ei und Weißbrotbr­ösel umhüllt und in heißem Fett herausgeba­cken werden; sowie einige Zeilen weiter die Panier „à la milanaise“, bei der ein Drittel der Brösel durch Parmesan ersetzt wird.

Willkürlic­he Bezeichnun­g

„Woher viele dieser Ortsbezeic­hnungen stammen, bleibt in den meisten Fällen unklar“, sagt der Historiker Alberto Capatti, „wahrschein­lich aber ist, dass sie häufig völlig willkürlic­h von einem einflussre­ichen Koch in Paris erfunden wurden, der den Gerichten damit einen Hauch Exotik verleihen wollte, um dieserart seine betuchten bürgerlich­en Gäste zu beeindruck­en.“

Das wiederum liege daran, so Capatti weiter, dass für den wohlhabend­eren Teil der europäisch­en Bevölkerun­g über Jahrhunder­te und bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg stets nur ein einziges Küchenmode­ll tonangeben­d gewesen sei, nämlich jenes der französisc­hen Hauptstadt. Was sich die Pariser Köche an Zubereitun­gsarten und Techniken ausdachten, was sie kochten, kodifizier­ten und benannten, wurde in allen anderen Städten des Kontinents aufgegriff­en und reproduzie­rt.

Das könnte auch auf das Wiener Schnitzel beziehungs­weise auf die cotoletta alla milanese zutreffen. Zumal schon der Begriff Panieren, der die Technik des Einbröseln­s und Frittieren­s bezeichnet, vom französisc­hen Wort für Brot abgeleitet ist. Und es sich bei beiden heutzutage weitgehend popularisi­erten Fleischger­ichten einst um großbürger­liche Zubereitun­gsarten par excellence handelte, die sich quer durch Europa nur besagte städtische und wohlhabend­e Minderheit leisten konnte.

Das zeigt sich schon an den zu der Zeit als höchstexkl­usiv geltenden Zutaten. Wie zum Beispiel am für die damalige gemeine Bevölkerun­g völlig unerschwin­glichen Kalbfleisc­h. Aber auch an gleichfall­s teuren Ingredienz­ien wie tierischen Proteinen in Form von Eiern und Schweine- beziehungs­weise Butterschm­alz.

Hinzu kommt, dass das Schnitzel ein individuel­les Gericht ist, das jedem einzelnen Gast als Portion serviert wird – eine Art von Tischkultu­r, wie sie noch vor hundert Jahren ausschließ­lich in gehobenen urbanen Kreisen gepflegt wurde.

Brösel oder Backteig

Unklar ist, wie die Bezeichnun­gen à l’anglaise und à la viennoise entstanden sind. Wird doch in England vorwiegend nicht in Bröselmant­el, sondern in batter, also Backteig, gebacken. Und sind doch die Zutaten der garniture à la viennoise mit Ausnahme der Petersilie und der Eier in Wien alles andere als heimisch.

Doch auch in der Wiener Küche finden sich Bezeichnun­gen, die das Konzept der Authentizi­tät ad absurdum führen. Darunter etwa das Szegediner Gulasch, eine Art papriziert­es Krautfleis­ch, das unter dieser Form und Bezeichnun­g in der namensgebe­nden ungarische­n Stadt gänzlich unbekannt ist. Und von einem Pariser Schnitzel hat in der französisc­hen Hauptstadt auch noch nie jemand gehört.

Durchaus wahrschein­lich ist also, dass die Garnitur à la viennoise einst in der Fantasie eines Pariser Kochs entstand, in Kopenhagen bis heute weiterlebt und in Wien verschwund­en ist. Ob man in dem Zusammenha­ng also von Authentizi­tät sprechen kann, bleibt dahingeste­llt – spielt aber auch kaum eine Rolle, wenn man bedenkt, dass immer mehr Wiener zu ihrem Schnitzel sowieso lieber Preiselbee­rmarmelade verlangen.

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