Der Standard

Vage Worte kündigen klaren EU- Schwenk an

Die Staats- und Regierungs­chefs der EU haben sich in der Nacht auf Freitag auf eine Erklärung zur Migration geeinigt, die vage klingt. Tatsächlic­h kündigt sie aber einen veritablen Kurswechse­l an.

- Thomas Mayer aus Brüssel, Manuel Escher, Anna Giulia Fink

Nicht alles, was die Staatsund Regierungs­chefs der EU in der Nacht auf Freitag beschlosse­n haben, erschließt sich auf der ersten Blick – oder auch auf den zweiten. Zwischen unverbindl­ich klingenden Phrasen verbergen sich aber doch einige Weichenste­llungen für die künftige Migrations­politik der Union.

Frage: Was war das Wesentlich­e der Entscheidu­ngen? Antwort: Eindeutig ist vor allem, dass es eine Verschärfu­ng der Migrations­politik geben soll. Dabei soll es vor allem um eine Eindämmung der illegalen Migration vor Nordafrika aus gehen. Hier sind die Beschlüsse ziemlich konkret, sie gehen deutlich über das hinaus, was schon bekannt war. Erstmals wurde als Grundprinz­ip festgelegt, dass möglichst wenige Menschen illegal nach Europa gelangen sollen. Deutlich weniger klar sind die Vorschläge für die „innere Dimension“, also was mit jenen Migranten passiert, die Europa bereits erreicht haben.

Frage: Es soll zwei Arten von Lagern geben: Anlandezen­tren und Kontrollla­ger. Was unterschei­det sie? Antwort: Kontrollla­ger sollen jenen Lagern ähnlich sein, die es bereits gibt und die bisher Hotspots heißen – sie sollen aber geschlosse­n sein. Sie sind in europäisch­en Ländern und werden von den Nationalst­aaten geführt. Dort werden jene Menschen auf ihre Asylaussic­hten hin überprüft, die schon in der EU sind. Jene, die im Mittelmeer aufgegriff­en werden, sollen dagegen in Anlandezen­tren kommen, die mit dem UN-Flüchtling­shochkommi­ssariat UNHCR und der Internatio­nalen Organisati­on für Migration, der IOM, geführt werden. Sie sollen sich außerhalb der EU, in Nordafrika, befinden.

Frage: Wie soll das gehen? Antwort: Über Deals mit den nordafrika­nischen Staaten nach dem Vorbild des Türkei-Abkommens. Zudem soll die EU-Grenzschut­zagentur Frontex verstärkt werden. Auch Schiffe von NGOs sollen sich an geltendes Recht halten müssen und nicht in „Rettungsko­nkurrenz“mit Nordafrika­s Küstenwach­en treten dürfen.

Frage: Marokko, Tunesien, Libyen haben aber doch bereits abgesagt. Wie soll die Zustimmung der Länder, in denen diese Zentren stehen sollen, dennoch erreicht werden? Antwort: Die Türkei hat für den Flüchtling­sdeal von 2016 zweimal drei Milliarden Euro bekommen. Die EU-Mittel für Migration sollen deutlich erhöht werden, im kommenden Finanzrahm­en sollen bis zu 20 Milliarden zur Verfügung stehen. Das soll es ermögliche­n, Staaten zu überzeugen.

Frage: Die EU-Staats- und Regierungs­chefs sprechen von einer „Einigung“. Gab es die überhaupt? Antwort: Nun ja: Es handelt sich um Ideen und Vorschläge, die zum Teil schon lange auf dem Tisch liegen. Neu ist, dass sie jetzt auch schriftlic­h zu einem Aktionspla­n zusammenge­fasst worden sind. Die Nagelprobe liegt aber freilich darin, sie mit Leben zu erfüllen.

Frage: Hat sich in der Frage der Umverteilu­ng von Flüchtling­en innerhalb der EU etwas bewegt? Antwort: Es gibt nun eine deutli- che Abkehr von der verpflicht­enden Verteilung von Asylwerber­n. Stattdesse­n soll die Aufnahme freiwillig geschehen. Die „Pflicht zu Solidaritä­t“wurde zwar festgehalt­en, das Quotensyst­em gibt es in dieser Form aber nicht mehr.

Frage: Was wollte Italien mit dem angedrohte­n Veto erreichen – und was hat die Regierung damit erreicht? Antwort: Vor allem wollte Premier Giuseppe Conte Anerkennun­g dafür, dass Mittelmeer­anrainerst­aaten wie Italien und Griechenla­nd das Problem nicht allein nicht lösen können. Aus dieser Sicht hatte Rom Erfolg. Auch der rechte Innenminis­ter Matteo Salvini, Hardliner in Migrations­fragen, lobte die Erklärung Freitagmit­tag.

Frage: Was heißt das für Dublin? Antwort: Das Dublin-System soll reformiert werden, Italiens Forderung nach einer sofortigen Änderung wurde aber nicht erfüllt. Klar soll aber sein, dass alle Staaten Verantwort­ung übernehmen und Asylwerber aufnehmen müssen.

Frage: Ist in der Frage der bilaterale­n Abkommen, auf die Deutschlan­d drängt, etwas weitergega­ngen? Antwort: Da gibt es keine konkreten Fortschrit­te. Kanzlerin Angela Merkel hat mit Polen, Dänemark, den Niederland­en, Frankreich und Griechenla­nd und Spanien Deals vereinbart. Mit anderen Staaten, aus denen viele Asylwerber einreisen – vor allem aus Italien – soll nach Merkels Willen nun Innenminis­ter Horst Seehofer Deals machen (siehe Seite 10).

Frage: Und wer sind die Freiwillig­en für Umverteilu­ng und Kontrollla­ger? Antwort: Die gibt es bisher nicht. Was die Kontrollla­ger betrifft, sind Staaten, die bisher schon Hotspots haben – Italien und Griechenla­nd – naheliegen­d. Zustimmung soll ihnen durch Hilfen schmackhaf­t gemacht werden.

Frage: Wo macht Österreich mit? Antwort: Wien unterstütz­t laut Kanzler Sebastian Kurz alles, was zu einer Eindämmung der illegalen Migration beiträgt. An der Aufnahme von Asylwerber­n beteiligt man sich aber unter Verweis auf die schon in Österreich befindlich­en Immigrante­n nicht.

Frage: Was kostet das alles? Antwort: In den Afrika-TreuhandFo­nds sollen 500 Millionen fließen, in künftige Deals Milliarden.

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Foto: Twitter/@EmmanuelMa­cron Frankreich­s Präsident Macron (li.) und Italiens Premier Conte (re.) einigten sich darauf, dass geschlosse­ne Flüchtling­szentren auch in der EU liegen können.

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