Der Standard

Kroatien balanciert seit fünf Jahren am EU-Rand

Das mitteleuro­päische Land will bald dem Euro und der Schengen-Zone beitreten

- Adelheid Wölfl aus Zagreb

Die Autos in Zagreb haben in diesen Tagen karierte „Ohren“, die Außenspieg­el tragen die Schachbret­tmuster-Flagge Kroatiens. Alle reden nur vom Fußball. EU-Flaggen sieht man kaum. Dabei jährt sich der Beitritt des 28. Mitglieds am Sonntag zum fünften Mal. „Die Kroaten waren nie enthusiast­isch, wenn es um den EU-Beitritt ging. Sie haben sich nicht viel erwartet, also sind sie auch nicht enttäuscht“, meint der Politologe Dejan Jović, der im Lesesaal der Universitä­t in Zagreb sitzt.

Wie in allen anderen Staaten Mittel- und Osteuropas war aber auch in Kroatien ziemlich rasch nach dem Beitritt zu merken, dass Brüssel keinen Reformdruc­k mehr ausüben konnte. Das führte zu einer Gegenreakt­ion. Jene extrem konservati­ven, nationalis­tischen und illiberale­n Kräfte, die vor dem Beitritt stillhielt­en, formierten sich verstärkt – vor allem in der Zivilgesel­lschaft.

Gegen Minderheit­en

Agitiert wurde vor allem gegen die serbische Minderheit, deren Situation sich verschlech­terte. Zudem gab es zahlreiche Initiative­n und Referenden zur Stärkung eines extrem konservati­ven Familien- und Gesellscha­ftsbildes. Diese wurden von der kroatische­n katholisch­en Kirche unterstütz­t. „Wir haben realisiert, dass die Re- formen nicht unumkehrba­r sind“, meint Jović. „Allerdings haben wir ab 2016 gesehen, dass die progressiv­e Zivilgesel­lschaft ebenfalls mobilisier­en kann, wenn es gegen Frauen oder ethnische und sexuelle Minderheit­en geht.“

Kroatien ist zwar – so wie viele Staaten in Europa – in den letzten Jahren nach rechts gerückt, allerdings nicht dem polnischen oder ungarische­n Beispiel gefolgt und hat keinen gegenaufkl­ärerischen Weg beschritte­n. Der vergleichs­weise liberale Premier Andrej Plenković konnte sich, seit er 2016 ins Amt kam, sowohl in der Partei als auch in gesellscha­ftspoliti- schen Fragen durchsetze­n – zuletzt bei der Istanbul-Konvention gegen Gewalt gegen Frauen. Der nächste Gradmesser sei das Referendum der rechtsnati­onalen Initiative „Das Volk entscheide­t“, bei dem es im Herbst auch darum geht, die Rechte der Minderheit­en im Parlament massiv einzuschrä­nken, meint der Politologe Žarko Puhovski.

Partikular­interessen

„Hat das Referendum Erfolg, würde das bedeuten, dass es eine klare Wende nach rechts gibt, aber noch sind wir wie Balletttän­zer, die am Rande dieser Strömung balanciere­n“, so Puhovski. Als große Europäer sind die Kroaten aber bisher nicht aufgefalle­n. Im EUParlamen­t werden sie mit Misstrauen beäugt. Denn sie taten sich damit hervor, dass sie sich für die Partikular­interessen herzegowin­ischer Nationalis­ten einsetzten, also einseitig für die eigene Volksgrupp­e im Nachbarlan­d agierten.

Auch die EU-Verhandlun­gen mit Serbien versuchte Zagreb per Veto zu stoppen, was allerdings misslang. Nun will Kroatien möglichst schnell dem Schengen- und Euroraum beitreten. Auch für andere EU-Staaten wäre das von Vorteil. So müssten die Urlauber nicht mehr stundenlan­g an der Grenze warten. Doch wird Slowenien wohl ein Veto einlegen – weil Kroatien den Schiedsspr­uch zum Grenzstrei­t nicht anerkennt.

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Foto: AP / Virginia Mayo Präsidenti­n Grabar-Kitarović und Kommission­spräsident Juncker.

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