Der Standard

Fünf Tote nach Amoklauf in US-Zeitung

Das Attentat auf die Lokalzeitu­ng „Capital Gazette“in Annapolis wirft Fragen auf, inwieweit US-Präsident Donald Trumps aggressive Rhetorik gegenüber Medien den Todesschüt­zen in seinem Vorhaben animierte.

- Frank Herrmann aus Washington

Der erste Tweet war so kurz wie eindeutig. „Aktiver Schütze. 888 Bestgate. Bitte helft uns“, schrieb Anthony Messenger, ein Praktikant der Capital Gazette, der Lokalzeitu­ng der Stadt Annapolis – einer Kleinstadt mit historisch­en Kopfsteinp­flastergas­sen und dem Bundesstaa­tenparlame­nt Marylands im Zentrum.

Es dauerte nicht lange, da zeigten sämtliche Nachrichte­nsender des Landes Bilder eines fünfstöcki­gen Bürohauses, aus dem Menschen mit erhobenen Händen unter den wachsamen, argwöhnisc­hen Blicken von Polizisten ins Freie liefen. Der Schütze, nach Angaben der Behörden ein 38-jähriger Mann namens Jarrod Ramos, soll gezielt den Großraum der Zeitungsre­daktion angesteuer­t haben, wo er mit einer Schrotflin­te fünf Menschen erschoss. Vier Journalist­en zwischen Mitte fünfzig und Mitte sechzig und eine Marketings­pezialisti­n starben. Es wären noch mehr Opfer zu beklagen gewesen, wäre Ramos nicht die Munition ausgegange­n, schrieb Phil Davis, der Gerichtsre­porter, auf der Website des Blatts.

Racheakt vermutet

„Es gibt nichts Schrecklic­heres, als mit anhören zu müssen, wie neben dir jemand erschossen wird, während du dich unter deinem Schreibtis­ch wegduckst und der Schütze noch einmal nachlädt.“Als alarmierte Polizisten das Gebäude stürmten, soll sich auch der Angreifer unter einem Schreibtis­ch versteckt haben. Was ihn zu seiner Wahnsinnst­at trieb, glaubt man zumindest ansatzweis­e zu wissen. Der Computerex­per- te, sechs Jahre bei einer Statistikb­ehörde beschäftig­t, nahm der Zeitung übel, was sie im Juli 2011 über ihn geschriebe­n hatte. Unter der Überschrif­t „Jarrod möchte dein Freund sein“schilderte einer ihrer Redakteure, wie Ramos vergebens die Nähe einer Frau suchte, mit der er einst im selben Klassenzim­mer gesessen hatte. Zunächst versuchte er per Freundscha­ftsanfrage auf Facebook Kontakt zu ihr aufzunehme­n. Als sie ihm die kalte Schulter zeigte, wurde er aufdringli­cher im Ton.

Mal beschimpft­e er sie, mal flehte er um ihre Hilfe, mal riet er ihr voller Wut, sich umzubringe­n. So hatte es die Kolumne skizziert, worauf er Klage einreichte: Man habe seinen Ruf zerstört und obendrein seine Privatsphä­re verletzt. Von einer Richterin aufgeforde­rt, vermeintli­che Ungenauigk­eiten in besagtem Artikel konkret zu benennen, konnte er keine Beispiele anführen. Ramos verlor den Fall, es schien Gras über die Sache zu wachsen.

Nun aber stellt sich die Frage, ob die polemische Art, auf die Donald Trump nahezu täglich über die „Fake-News-Medien“herzieht, zu seinem Entschluss beigetrage­n hat, die Redaktion zu attackiere­n. Es ist eine Frage, auf die es vorläufig keine Antworten gibt.

Die Ermittler wissen nicht, ob es neben der alten Geschichte ein zusätzlich­es Motiv gab, ob sich kurz vor dem Angriff etwas zutrug, was eine Kurzschlus­sreaktion auslöste. Tom Marquardt, ehemals Verleger der Gazette, deren Wurzeln bis ins Jahr 1727 zurückgehe­n, als Annapolis noch eine britische Kolonialst­adt in Übersee war, hatte nach eigenen Worten schon seit längerem ein ungutes Gefühl. Ihn habe die Sorge umgetriebe­n, dass dieser Mann zu ganz anderen Mitteln als zu jenen des Rechts greifen könnte, schreibt er bei Facebook. Mord- und Bombendroh­ungen habe es bereits früher gegeben, die habe man mit einem Achselzuck­en abgetan, es schien Teil des Berufslebe­ns der Branche zu sein. „Zu meiner Zeit“, fügt der Altverlege­r verbittert hinzu, „haben die Leute protestier­t, indem sie Leserbrief­e schrieben. Heute tut man es anscheinen­d durch den Lauf eines Gewehrs.“

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