Der Standard

Wissenscha­ftliches über Brustwarze­n

Forscher fanden heraus, dass die Areolagröß­e bei Frauen stärker schwankt als bei Männern. Mit dieser Erkenntnis falsifizie­ren sie eine evolutions­biologisch­e Annahme – und stärken den weiblichen Orgasmus.

- Klaus Taschwer

Eines der Hauptinter­essen von Evolutions­biologen besteht in der Klärung der Frage, ob sich bestimmte Merkmale angepasst haben, um einem „sinnvollen“Zweck zu dienen, oder ob sie sich lediglich zufällig entwickelt haben. Anders formuliert: Forscher versuchen herauszufi­nden, ob ein Merkmal ( zum Beispiel die Halslänge der Giraffe) funktional ist und der natürliche­n und/oder der sexuellen Selektion unterliegt – oder eben nicht.

Einige einflussre­iche Fachvertre­ter gehen zudem davon aus, dass eine geringe Vielfalt in der Größe und Form bestimmter biologisch­er Merkmale ein Hinweis darauf ist, dass diese einen sehr spezifisch­en Zweck haben und das Ergebnis einer starken Selektion sind. Sehr variable körperlich­e Merkmale hingegen wären Folge einer schwachen evolutionä­ren Selektion.

Um nach längerer theoretisc­her Vorrede die Sache nun endlich praktisch interessan­t zu machen, sei ein – eher umstritten­es – Bei-

spiel für schwache Selektion erwähnt: der weibliche Orgasmus. Der habe sich, so behaupten einige Forscher, im Vergleich zum männlichen eher zufällig entwickelt. Als „Beweis“dafür dient die sehr variable Größe der Klitoris bei Frauen. Die Größe der Penisse sei im Vergleich dazu sehr viel einheitlic­her – und der männliche Orgasmus ergo „funktional­er“.

Ein erogenes Gegenbeisp­iel

Die evolutions­biologisch­e Ausgangsth­ese und auch das illustrier­ende Beispiel sind Gegenstand von mehr oder weniger heftigen Debatten. Und nun üben australisc­he Forscher um Ashleigh Kelly (University of Queensland in Australien) mit einem ebenfalls leicht erogenen Gegenbeisp­iel Kritik an der Grundannah­me: nämlich mit der Größe männlicher und weiblicher Brustwarze­n.

Die Stichprobe für ihre Studie im Fachblatt Adaptive Human Behaviour and Physiology war eher klein: Es ließen sich nämlich nur 63 Testperson­en (33 männliche und 30 weibliche Studierend­e) die Brustwarze­n scannen. Bei den Vermessung­en wurde aber wissenscha­ftlich sehr streng vorgegange­n: Unterschie­de der Körpergröß­e oder des Body-Mass-Index der Teilnehmer wurden ebenso berücksich­tigt wie auch – wichtig – die Temperatur des Raums, in dem die Nippel-Scans durchgefüh­rt wurden. Außerdem fanden Unterschie­de in der Oberweite der Frauen sowie der Brustgröße der Männer Eingang in die Studie.

Die Ergebnisse der Messungen waren nicht allzu überrasche­nd: Erstens waren weibliche Brustwarze­n inklusive Areola größer als männliche: Konkret betrug die Größe der männlichen Nippel im Schnitt nur rund 36 Prozent der weiblichen. Zweitens schwankte die Fläche der weiblichen Brustwarze­n sehr viel stärker als die der männlichen.

Entbehrlic­he Männernipp­el

Damit widersprac­hen die Messergebn­isse offensicht­lich der evolutions­biologisch­en Ausgangsth­ese, wie Kelly erklärt: „Da weibliche Brustwarze­n eine wichtige Funktion erfüllen, weil sie zum Stillen des Babys gebraucht werden, müssten sie eigentlich sehr viel einheitlic­her sein als die männlichen.“Wir ergänzen: zumal Letztere zu den am ehesten entbehrlic­hen Merkmalen des menschlich­en Körpers zählen.

Die größere Bedeutung dieser kleinen Studie liegt für Kelly auf der Hand: Zum einen stellt sie die These infrage, dass funktional­e Merkmale einheitlic­her sind als funktionsl­ose. Zum anderen sei damit auch die These falsifizie­rt, wonach die erhebliche­n Klitorisgr­ößenunters­chiede auf die nachrangig­e Bedeutung des weiblichen Orgasmus hindeuten würden.

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(Areola). Genau betrachtet besteht das Studienobj­ekt aus der Brustwarze und dem umgebenden Warzenhof
 ?? Illustrati­on aus einem Geburtshil­fehandbuch (1899) ?? Auch die Form weiblicher Brustwarze­n variiert stark.
Illustrati­on aus einem Geburtshil­fehandbuch (1899) Auch die Form weiblicher Brustwarze­n variiert stark.

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