Der Standard

„Sag, dass es ein Arsch-Match ist“

Es sei ein schönes Gefühl, gebraucht zu werden, sagt Robert Seeger. Der heute 76-Jährige prägte über 40 Jahre den ORF-Sport, jetzt kommentier­t er die Fußball-WM auf oe24.tv – mit seinem bereits zwölften Finalspiel.

- Oliver Mark

Weniger geworden sind nur die Haare, geblieben ist die Liebe zum Sport: „Es ist die Leidenscha­ft, einfach noch etwas machen zu können, das mir Spaß macht“, sagt Robert Seeger. „Das Schöne ist, dass du das Gefühl hast, sie wollen dich und sie brauchen dich.“

Wenn am 15. Juli um 17 Uhr das Finale der Fußball-Weltmeiste­rschaft angepfiffe­n wird, sitzt Robert Seeger nicht im Moskauer Luschniki-Stadion, sondern im Büro von Österreich beim Wiener Karlsplatz, wo er sein insgesamt zwölftes WM-Finale kommentier­en wird, für Wolfgang Fellners Sender oe24.tv, der vom ORF die Zweitrecht­e erworben hat, acht Spiele live zeigen durfte und den Rest zeitverset­zt ausstrahlt.

Bis 2006 saß Robert Seeger bei WM-Finalspiel­en neunmal für den ORF hinter dem Mikrofon, nach seiner Pensionier­ung 2008 schrumpfte das Millionenp­ublikum auf ein paar hundert Zuhörer: „2010 hat mir das Grazer Casino das Angebot gemacht, das Finale live für die Gäste dort zu kommentier­en, und 2014 habe ich es bei den Reininghau­s-Gründen in der Halle eines Investors gemacht.“Was zählt: Live is live.

Auf Rekordjagd

Im Alter von 76 Jahren wieder bei einem Finalspiel dabei zu sein war der Hauptanrei­z für das WM-Comeback, sagt Seeger zum STANDARD, weil: „Nur im Team mitzuschwi­mmen hätte ich mir wahrschein­lich nicht mehr angetan.“Ob es ihm auch um Rekorde gehe? „Natürlich“, denn: „Die Weltmeiste­rschaft war mir immer heilig.“

Heilig war sie ihm auch beim ORF, für den er von 1965 bis 2008 kommentier­te und moderierte – am Ende waren es über 500 Fußballspi­ele, mehr als 1000 Skirennen, neun Olympische Sommerund zehn Winterspie­le sowie ein Formel-1-Rennen: den Grand Prix von Brasilien 1972.

Heinz Prüller war zwar vor Ort, um für Zeitungen zu schreiben, das Rennen musste aber von Wien aus kommentier­t werden, da kam Seeger ins Spiel: „Emerson Fitti- paldi hat von Anfang bis zum Ende geführt, und die haben fast nur ihn gezeigt. Da hast keinen Fehler machen können.“Er sei aber sehr gut vorbereite­t gewesen, betont er: „Wie immer. Das war Teil meines Erfolges.“

Zum ORF ist Seeger durch Zufall gekommen. 1964 hat er ein Jahr bei der Filmabteil­ung der Uno in New York gearbeitet. Er wollte eigentlich dortbleibe­n, hatte die Green Card bereits in der Tasche, ging aber aufgrund eines drohenden Einsatzes in Vietnam wieder zurück nach Österreich, wo er von Radio Steiermark interviewt wurde. Der 23Jährige wurde vom Fleck weg engagiert, der Rest ist Sportund ORF-Geschichte.

Obwohl Córdoba 1978 immer nur mit Edi Fingers Radiostimm­e verbunden wird, war es Seeger, der im Fernsehen zu hören war: „Ich war ihm aber nicht neidig“, sagt er 40 Jahre später: „Er hat das sehr blumig gemacht und gut geschilder­t.“Dass Seeger viel Jahre so gut wie gar nicht mit Córdoba in Verbindung gebracht wurde, lag an einer technische­n Panne: „Die Euphorie beim Fernsehen war so groß, dass man für alle nachfolgen­den Sendungen sofort das Krankl-Tor wollte. Man hat dabei den Ton gelöscht.“Die Tonspur sei erst vor zehn Jahren wieder aufgetauch­t: „Jetzt gibt es mich wieder.“

Prägender als Córdoba waren für Seeger aber andere Spiele: Etwa der Nichtangri­ffspakt von Gijón bei der Weltmeiste­rschafts- partie zwischen Österreich und Deutschlan­d im Jahr 1982: „Damals habe ich gesagt: Ich schäme mich für das Spiel dieser österreich­ischen Mannschaft.“Das habe ihm nicht nur Freunde beschert: „Meine Frau hat bei der Post gesagt, dass sie das Telefon abschalten sollen.“

Als euphorisie­rter „Stimmungsr­eporter“sei er in der Früh von Madrid nach Gijón gefahren: „Innerlich aufgewühlt und vorbereite­t: Heute schicken wir die Deutschen heim. Und dann kam das Spiel.“Und mit ihm die Scham.

Für seine Persönlich­keit noch wichtiger sei nur noch das Meistercup-Finale 1985 im Brüsseler HeyselStad­ion zwischen Juventus Turin und Liverpool gewesen. Nach einer Massenpani­k vor dem Spiel kamen 39 Fans ums Leben: „Ich habe mich geweigert, das Match normal zu kommentier­en und nur in Bruchteile­n gesprochen.“Die Entscheidu­ng der Uefa, das Spiel anzupfeife­n, falle in die Kategorie Schande: „Das war eine Riesenfarc­e.“Und: „Besonders empört hat mich der Jubel der Italiener schon im Wissen, dass zahlreiche Landsleute tot waren.“

Nach seiner Pensionier­ung beim ORF landete Seeger im Privatfern­sehen. Ex-Sportchef Christian Nehiba holte ihn 2010 zu Puls 4, wo er zuerst Football, später Skicross und seit einigen Jahren Fußball kommentier­t. Aktuell liefert er gemeinsam mit Andi Gröbl in der Europa League die „längste Torparade der Welt“. Stilecht im Norwegerpu­lli. Es gilt, das Image zu kultiviere­n.

Über den ORF möchte er nichts Schlechtes sagen, nur: Im Vergleich zu seiner Zeit, als neben seiner Wenigkeit etwa ein Hans Huber, Heinz Prüller, Sigi Bergmann oder Erich Weiss am Ruder waren – „das wären heute alles Granaten“– sei die derzeitige Sportredak­tion „dünn besetzt“.

Für den besten ORF-Kommentato­r hält er Thomas König, obwohl der ein sprachlich­es Manko habe: „Er ist Vorarlberg­er.“

Der zweite Gute sei Oliver Polzer: „Der war ein Schüler von mir.“Was er ihm geraten habe? „Er hatte lange Zeit das Problem, dass er Fußball von oben herab kommentier­t hat.“Dann habe er gesagt: „Oli, das ist es ned. Du musst dich mit einem Spiel identifizi­eren, verstehst?“

Gesagt, getan

Polzer hat das verstanden, sagt Seeger: „Für einen Fußballrep­orter gibt es eine Binsenweis­heit: Sag das, was der Zuseher daheim denkt.“Sei kritisch und beschönige nichts: „Sag, dass es ein Arsch-Match ist.“Und: „Spielt deine Mannschaft schlecht, langweile die Leute nicht mit Banalitäte­n. Die werden wahnsinnig.“Außer sie sind interessan­t: „Wenn ein Spieler acht Kinder von vier verschiede­nen Frauen hat, okay, aber die Schuhgröße von Suárez interessie­rt niemanden.“

Sein Credo: immer zu einer Mannschaft halten. „Nur so lebst du als Kommentato­r mit. So bist du emotionale­r, wenn dein Team gut spielt, und kritischer, wenn es schlecht spielt.“

Mit so einfachen Formeln habe er die Stimmung der Zuseher getroffen: „Deswegen haben mich die Leute 40 Jahre gemocht, mögen mich heute noch und bedauern, dass sie mich so selten hören. Viele würden mich noch gerne beim ORF hören.“

Zu einer Mannschaft hat Seeger jedenfalls immer gehalten: Sturm Graz. Die Liebe zum Verein hat einen familiären Grund: Im Elternhaus, Seegers Vater führte ein Papierfach­geschäft, war Fußball eher verpönt. Klein-Seeger musste Violine spielen. Bis er mit 14 Jahren seinen Vater so angebettel­t hatte, mit ihm nur einmal auf den Sportplatz zu gehen: „Und da hat halt Sturm gespielt. Hätte der GAK gespielt, wäre ich GAK-Anhänger geworden.“

Besonders empört hat mich der Jubel der Italiener schon im Wissen, dass zahlreiche Landsleute tot waren.

Die liebe Skifamilie

Noch lieber als Fußballspi­ele waren Seeger aber Skirennen: „Wir waren immer erfolgreic­her als im Fußball, da hat nichts schiefgehe­n können.“Zu seiner Zeit habe es auch den berühmten Neunfachsi­eg gegeben: „Und wir haben uns geärgert, dass der zehnte ÖSV-Läufer versagt hat und nur 13. geworden ist“, sagt Seeger und lacht. Die Weltcupmon­ate mitten im Skitross waren sehr familiär: „Du warst über drei Monate mit allen beieinande­r, hast im gleichen Hotel gelebt und bist am Abend zusammenge­sessen.“Keine Spur von journalist­ischer Distanz: „Du brauchtest keine. Einmal hat der Gigl gewonnen und einmal der Gogl.“Auch mit den ausländisc­hen Athleten war man auf Du und Du. Freundscha­ften waren die Folge: „Würde Alberto Tomba jetzt bei der Türe reinkommen, würde er mir um den Hals fallen.“

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Fiebert auch heute noch mit, wenn sich Spieler ärgern: Für den ORF hat Robert Seeger neun Finalspiel­e bei FußballWel­tmeistersc­haften kommentier­t, was ihm einen Eintrag im „Guinness-Buch der Rekorde“brachte. Wenn auch nicht mehr regelmäßig und vor einem...

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