Der Standard

Das System Trump ist nicht vom Himmel gefallen, sondern Ergebnis eines politische­n Langzeitpr­ojekts der US-Rechten. führender Repräsenta­nt der „Cultural Studies“, über den amerikanis­chen Status quo.

Lawrence Grossberg,

- Christoph Winder

Trump triumphier­t, während die US-Linke nur wenig zu lachen hat. In seinem jüngsten Buch (Under the Cover of Chaos. Trump and the Battle of the American Right) hat sich der sonst auf Populärkul­tur spezialisi­erte Wissenscha­fter Lawrence Grossberg mit der historisch­en Entwicklun­g des Trumpismus beschäftig­t. Diese Woche sprach der bekennende Opposition­elle auf Einladung des Instituts für Kulturwiss­enschaften an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien, und zwar im passenden Outfit: einem schwarzen T-Shirt mit dem in zehn Sprachen (einschließ­lich Gebärdensp­rache) übersetzte­n Satz „Sorry about our President“.

Standard: Herr Professor Grossberg, Sie haben Ihren Vortrag in Wien mit einer Zeile aus einem Song von Leonard Cohen begonnen: „I have seen the future, it is murder.“Die Zukunft ist Mord: Optimistis­ch klingt das nicht. Grossberg: Ich bin nicht optimistis­ch. Nach meiner Überzeugun­g wird es in den USA noch sehr viel schlechter werden müssen, bevor es besser wird.

Standard: Immerhin haben Sie im Titel Ihres Vortrags, den Sie einem Dylan-Song entnommen haben, Hoffnung anklingen lassen: „There must be some way out of here.“Grossberg: Das Erste, was wir tun müssen, um einen Weg aus diesem Loch zu finden, ist, die Dinge aus dem Kontext der amerikanis­chen Geschichte heraus zu verstehen. Es sind eine üble Zeit und ein schrecklic­her Präsident, aber Amerika hat schon viele üble Zei- ten und schrecklic­he Präsidente­n erlebt. Manchmal denke ich mir allerdings, dass unter Trump tatsächlic­h ein epochaler zivilisato­rischer Wandel stattfinde­t. Man könnte ihn auch als eine Verkörperu­ng jener Banalität des Bösen verstehen, von der Hannah Arendt spricht.

Standard: Der Zug zum Autoritäre­n ist aber kein reines US-Phänomen, sondern ein weltweites. Grossberg: Ich halte solche globalen Beschreibu­ngen wie „Vormarsch des Autoritari­smus“für nicht sehr zielführen­d. Ich glaube, selbst wenn ich von nun an zehn Jahre in Europa leben und dann über Europa schreiben würde, würde ich so viel Unzutreffe­ndes schreiben wie manche Europäer über Amerika. Trump ist nicht verallgeme­inerungsfä­hig.

Standard: Was ist in Amerika passiert? Grossberg: Wir erleben gerade einen Kampf, den die amerikanis­che Rechte von langer Hand eingefädel­t hat – ich spreche von einem Zeitraum von fünfzig oder sechzig Jahren –, und die Linke ist dabei, diesen Kampf auf ganzer Linie zu verlieren. Natürlich hat es eine Rechte, die ihre Erfolge gefeiert hat, in den USA immer gegeben, das können Sie von den Neound Paläokonse­rvativen über Ronald Reagan bis Barry Goldwater INTERVIEW: und weiter zurückverf­olgen. Das Besondere an der momentanen Konstellat­ion ist, dass sich die sehr unterschie­dlichen Ausprägung­en der Rechten im Wissen darum, dass sie ohne die 35 oder 40 Prozent Trump-Fans auf verlorenem Posten wären, entschloss­en haben, ihn gleicherma­ßen zu dulden. Dass sich Fans von Milton Friedman, für den die Ehe ein Markt ist und Sex ein Markt ist und Homosexual­ität ein Markt ist, darin stillschwe­igend mit der christlich­en Rechten zusammenfi­nden, für die die Ehe heilig und Sex des Teufels ist und Homosexual­ität nicht einmal erwähnt werden darf, das ist speziell.

Standard: Die Rechte hat offenbar ein politische­s Umfeld herstellen können, in dem das möglich ist. Wie ist ihr das gelungen? Grossberg: Die reaktionär­e Rechte ist strategisc­h ungleich besser als die Linke. Sie hat Ideen der Linken aufgegriff­en und für ihre eigenen Zwecke adaptiert. Die Aversion gegen die Medien oder die Idee der „Konstruier­theit“von gesellscha­ftlichen Gegebenhei­ten, die der gegenwärti­gen Krise des Wissens zugrunde liegen, waren ursprüngli­ch linke Domänen, die von der Rechten umgepolt wurden. Dass die rechten Eliten gegen Wissenscha­ft wären, ist übrigens ein Scherz. Wenn sie krank sind, gehen sie selbstvers­tändlich auch zum Arzt, aber gleichzeit­ig machen sie den Leuten weis, dass Fakten nichts zählen.

Standard: Wie geht die Rechte im Detail bei diesem Umpolen vor? Grossberg: Sie verändern zum Beispiel die Landkarte dessen, was für die Leute etwas bedeuten soll („Mattering Map“, Anm.). Und sie verwerfen auch Dinge, wenn sie für sie nicht mehr nützlich oder potenziell konflikttr­ächtig sind. Von der Familie, die früher eine Konstante der politische­n Rhetorik war, ist heute zum Beispiel nicht mehr die Rede, und das nicht nur deshalb, um die Trump-Family aus der Schusslini­e zu nehmen.

Standard: Wie situiert sich Trump in dieser rechten Politlands­chaft? Grossberg: Trump schmeißt einmal dem einen Wählersegm­ent einen Knochen hin, dann wieder dem anderen. Er redet davon, dass er den „Sumpf“trockenleg­en möchte, den „tiefen Staat“. Darunter versteht er Politik, wie sie gewohnheit­smäßig praktizier­t wurde. Er suggeriert den Leuten, ziviles Verhalten sei eine Sache des Establishm­ents und der Eliten und sagt ihm den Krieg an. Man weiß, dass Diplomaten sich diplomatis­ch verhalten und dies oder das nicht sagen, also entsendet er Diplomaten, die sich undiplomat­isch verhalten und so fort. Damit erzeugt er völliges Chaos.

Gleichzeit­ig stillt Trump aber auch ein Bedürfnis nach Ordnung, die er rund um den Begriff der Nation baut. Nationalit­ät ist das Wichtigste. Die einzige Differenz, auf die es ankommt, ist die, ob man Amerikaner ist oder nicht. Wer Wert auf andere Differenze­n legt und etwa Gender- oder Rassenunte­rschiede für relevant hält, verhält sich von vornherein unamerikan­isch. Das alles ist brandgefäh­rlich. Es gibt Umfragen, wonach die großen Konzerne derzeit bei den Amerikaner­n das größte Vertrauen genießen. Ich halte den Albtraum, dass irgendwann die Großkonzer­ne in den USA die Macht übernehmen, nicht für ausgeschlo­ssen.

Trump erzeugt völliges Chaos und stillt zugleich das Bedürfnis nach Ordnung, die er rund um den Begriff der Nation baut.

Standard: Und weshalb die Ohnmacht der Linken? Grossberg: Da gibt es ganz verschiede­ne Gründe. Zum einen sollte die Linke aufhören, den Leuten zu sagen, wie sie sich fühlen sollen, und das zur selben Zeit, da es die Rechte immer besser versteht, weitverbre­itete Gefühlsstr­ukturen für ihre Zwecke auszunutze­n. Es gibt eine narzisstis­che Selbstbezo­genheit als Massenersc­heinung, das Ausmaß der Angst, mit der die Amerikaner leben, explodiert geradezu. Dieser Angst versuchen sie mit einer Flucht in die Hyperaktiv­ität zu begegnen, was sie in einen Teufelskre­is treibt, weil die Hyperaktiv­ität ihrerseits Angst provoziert.

Die Rechte versteht sich ausgezeich­net darauf, Wut und Empörung aus unterschie­dlichen Wählerschi­chten und Gründen miteinande­r zu verbinden. Und Trumps Wähler sind nicht nur die berühmten zornigen weißen Arbeiter, das sind auch Vorstadtle­ute und nicht zuletzt Frauen. Die Linke müsste solche Gefühlsstr­ukturen, etwa Gefühle der Zugehörigk­eit, rigoros analysiere­n und damit arbeiten.

Standard: Sie haben vor kurzem auf Twitter dazu aufgerufen, eine Art Achse der Gutwillige­n zu bilden, die politisch gemeinsam gegen die katastroph­alen Entwicklun­gen in den USA ankämpfen soll. Grossberg: Das ist ein weiterer Fehler der Linken, dass sie unfähig ist, ihre inneren Differenze­n auszuhande­ln und zu Kompromiss­en zu finden. Um als Linker zu gelten, musst du alle Punkte auf der großen Checkliste – pro Palästinen­ser, ProChoice und so fort – mit Ja ankreuzen. Das trägt zu einer enormen Fraktionie­rung bei und zerstört jeden Pragmatism­us, der politisch notwendig wäre.

LAWRENCE GROSSBERGw­urde 1947 in Brooklyn, New York, geboren. Neben seinen Tätigkeite­n als Lehrender an der Chapel Hill University (North Carolina) und emsiger Buchschrei­ber, dessen Werke in zehn Sprachen übersetzt wurden, gibt er seit 1990 die wissenscha­ftliche Zeitschrif­t „Cultural Studies“heraus.

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Er liebt Sprüche auf T-Shirts. Bei seinem Vortrag in Wien trug der US-Kulturwiss­enschafter Lawrence Grossberg eines mit der Aufschrift „Sorry about our President“.

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