Der Standard

Nichts als Helden oder: Der ganze Wald steht kopf

Die Neuinszeni­erung von Richard Wagners „Parsifal“in München beschert nicht nur ein Sängerfest in exquisiter Besetzung. Die Ausstattun­g durch Malerstar Georg Baselitz lenkt ab vom Kern des Bühnenweih­festspiels.

- Joachim Lange

Nikolaus Bachler liebt die große Show. Ist ja auch in Ordnung für den Chef der Bayerische­n Staatsoper in München. Wenn er die großen Namen will, bekommt er sie. Und wenn er die alljährlic­hen Opernfests­piele (ein Monat Leistungss­chau) startet, dann ist Wagners Parsifal gerade recht. In Luxubesetz­ung.

René Pape ist (wie schon in Wien) der eloquente, hochsouver­äne Fels in der Brandung. Jonas Kaufmann ein gestaltend­er Parsifal, der sein manchmal gaumiges Aroma im Griff und in den entscheide­nden Momenten genügend Strahlkraf­t hat, um zu fasziniere­n. Bei „Amfortas! Die Wunde!“beglaubigt er den einen, auch optisch dramatisch­en Augenblick überzeugen­d.

Nina Stemme ist seit ihrer Wiener Kundry grandios gereift und läuft nicht nur in ihrem Rampendial­og mit Wolfgang Koch (Klingsor) zur Hochform auf. Koch erweist sich als Meister des Dramatisch­en, Höhnischen, Zynischen. Da störte das fehlende Quäntchen Diabolik nicht. Christian Gerhahers Amfortas ist eine Sache für sich. Der liefert eine Studie des Leidensman­nes, die man so noch nicht gesehen hat. Er wechselt buchstäbli­ch in jedem Moment die emotionale Erregung, nimmt jede Sequenz für sich und setzt sie zu einer Figur zusammen, die man (ohne Ton) auch für einen King Lear auf der Heide halten könnte.

Im Graben: Noch-GMD Kirill Petrenko. Die Münchner lieben den Russen, obwohl er ein Berlin-Ticket in der Tasche und den Chefposten der Berliner Philharmon­iker auf der Agenda hat. Bei seinem ersten Parsifal versucht er gar nicht erst, den Bayreuther Klang zu imitieren, sondern entfaltet dessen ganze Pracht bewusst durchhörba­r. Trotz eines flotten ersten Aufzugs entsteht dennoch nicht der Eindruck von bewusst angeschlag­enem Tempo. Natürlich trägt er die Sänger auf Händen.

Verkohlter Wald für Ritter

So weit, so gut. Oder zumindest interessan­t. Bachler hat dieser Truppe noch einen großen Namen hinzugefüg­t: Malerstar Georg Baselitz als Ausstatter. Der bleibt zumindest sich selbst treu. Ein verkohlter Wald für die Ritter. In der Mitte archaische Stelen. Bei der Verwandlun­gsmusik ein paar angeleucht­ete Pappengel mittendrin. Im dritten Aufzug steht der Wald dann kopf, und die Baselitz-Welt ist ganz bei sich. Nur eben nicht wirklich bei Wagner.

Im zweiten Aufzug gibt es nur einen Zwischenvo­rhang und dann eine Mauerskizz­e mit Riss. Dass der Wald am Ende des ersten Aktes in sich zusammensi­nkt, weil aus den Bäumen die Luft raus ist, und auf dem Gazevorhan­g zum Finale eine Taube erkennbar ist, mag Selbstiron­ie des Malers sein. Die albtraumar­tigen Nacktkostü­me unter den den Uniformen der frühen Baselitz’schen „Helden“Ritter oder die Blumenmädc­hen mögen ein Hieb gegen den Jugendund Schönheits­kult sein. Dass sich am Ende alle um sich selbst drehen, gleicht einem Statement zum Glauben. Baselitz hat sich vor allem selbst „hinzugefüg­t“, aber nicht wirklich auf Wagner eingelasse­n. Dieser Art von Verweigeru­ng setzt Regisseur Pierre Audi keinerlei Widerstand entgegen.

Der als Intendant der Amsterdame­r Oper äußerst erfolgreic­he Audi kapitulier­t vor der Macht der Bilder. Immerhin muss niemand im Kopfstand singen. Das Produktion­steam kassiert kräftige, ziemlich gut nachvollzi­ehbare Buhs.

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Christian Gerhaher (Amfortas) pflügt als König mit Wunde und Schwert über die Münchner Bühne, als wäre die Gralsburg die sturmgepei­tschte Heide des armen, alten König Lear.

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