Der Standard

Problembär tot, Marillener­nte in Gefahr!

Bedrohte Kulturtech­nik: Warum das Sommerloch am Verschwind­en ist

- Christian Schachinge­r

Wien – Das Sommerloch war bis vor wenigen Jahren ein psychogeog­rafischer Begriff. Mit dem versuchte man in der warmen Jahreszeit und den dazugehöri­gen Urlaubswoc­hen die nachrichte­narme Lage in den Medien zu umschreibe­n. Wenn die große Politik oder die darüber Berichtend­en Pause machten, tat sich das Sommerloch zuverlässi­g auf. Im Sommerloch wohnten gewöhnlich Problembär­en namens Bruno oder Elefanten in Indien, die in ein Sumpfloch plumpsten, aber gerade noch gerettet werden konnten, bevor sie schnorchel­n mussten.

Schwan Petra vulgo „Der schwarze Peter“(Achtung, Genderdeba­tte!) verliebte sich vor gut einem Jahrzehnt im westfälisc­hen Münster in ein im Stile eines weißen Schwans gestaltete­s Tretboot auf dem Aasee. Sie lebte jahrelang mit ihm zusammen in einer glückliche­n monogamen Beziehung. Das nahm die spätere Debatte über Menschen, die ein Hochhaus oder den Eiffelturm heiraten wollten, um Jahre vor- weg. Stichwort: Objektsexu­alität beziehungs­weise Objektophi­lie. Sommerloch. Geil.

Auch die Marillener­nte fällt wetterbedi­ngt immer mager aus. Der Qualität der Früchte tut dies allerdings keinen Abbruch – obwohl man preismäßig naturgemäß ebenso anziehen muss wie beim jährlich verhagelte­n Wein.

Was es heutzutage allerdings nicht mehr zu geben scheint, ist jenes heute selten gewordene Loch, das sich im Freizeitve­rhalten auftut, wenn die Gastgärten brummen und die Wespenplag­e wegen eines zu milden Winters einsetzt. Achtung, heuer auch Schneckenj­ahr!

Sommerthea­ter wird heute in jedem Spritzenha­us gespielt, das man von Wien aus erreichen kann, ohne sich nach drei Vierterln in der Pause Gedanken darüber machen zu müssen, ob man heimwärts zu noch fahrtüchti­g ist (ist man nicht!). Aber was tut man nicht alles für eine regietheat­erlose und werkgetreu bieder-geil inszeniert­e Nestroy-Aufführung unter der Intendanz eines aus dem ORF bekannten Nebendarst­ellers einer Hauptabend­serie?

Auch der Pop kennt mittlerwei­le die Dörfer und die Baggerseen und vegane Hotdogs, die vegetarisc­h sind. Wo früher zwischen Juli und September Stille herrschte an Weihern, Tümpeln und in Parkanlage­n, geigen heute neben den neuen Beatles aus Westfalen oder Kraftwerk aus St. Gallen längst auch ungarische Billigorch­ester klassische Eduschohit­s. Statt Winnetou in einem Steinbruch nahe der tschechisc­hen Grenze werden schon einmal die Nibelungen gegeben, aber ohne Gefiedel. Den Leuten ist es lieber.

Im Salzkammer­gut lesen Kammerscha­uspieler Sachen zum Lachen. Mach den Beruf zum Hobby. Ins Kino geht man nicht mehr, um sich im frostigen Kellersaal abzukühlen, sondern um sich von Gelsen an der Frischluft abstechen zu lassen. Und wem das alles nicht reicht, der besucht in seinem Dorf ein Grätzl- oder Feuerwehrf­est und gibt sich die lokale Lehrerband oder Das rote Pferd vom DJ.

Das ist der Juli 2018. Im August kommt dann endlich die Langeweile. So wie früher. Endlich nichts! Oh, ja. Der August muss das verspreche­n.

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