Der Standard

Die bessere Alternativ­e zur Abschottun­g

Die Ergebnisse des EU-Flüchtling­sgipfels greifen zu kurz. Legale Wege in den Arbeitsmar­kt der EU wären viel wirksamer: Sie würden Nachbarreg­ionen beim Einsatz gegen illegale Migration einbeziehe­n.

- Matthias Lücke

Eric Frey meint ( derStandar­d, 23./24. 6.), die EU und ihre Mitgliedst­aaten könnten vielfältig­e Herausford­erungen bei Flüchtling­sschutz und Zuwanderun­g lösen, indem sie die EU zur Festung ausbauen. Bei einigen EU-Staats- und Regierungs­chefs scheint er Gehör zu finden: Der Europäisch­e Rat hat gerade grünes Licht gegeben für weitere Planungen zu „Ausschiffu­ngsplattfo­rmen“– Lager außerhalb der EU, in die Asylsuchen­de verbracht und so vom EU-Asylsystem abgeschnit­ten werden sollen. Auch wenn bisher kein Drittland ein solches Lager aufnehmen will – der Wunsch ist unübersehb­ar.

Dieser Ansatz greift jedoch zu kurz – das ist die Schlussfol­gerung aus dem neuen Assessment­Report der europäisch­en For- schungsall­ianz Medam zur EUFlüchtli­ngs- und Migrations­politik (www.medam-migration.eu). Vielmehr kommt es darauf an, Flüchtling­e vor Verfolgung und Krieg in gemeinsame­r Verantwort­ung mit den Ländern zu schützen, wo sie zunächst Aufnahme finden (etwa in der Türkei, im Libanon und in Jordanien im Fall der Flüchtling­e aus Syrien). Die wirtschaft­lich motivierte irreguläre Zuwanderun­g nach Europa – etwa aus Westafrika über Libyen nach Italien – lässt sich nur gemeinsam mit den Herkunfts- und Transitlän­dern steuern. Lösungen sind möglich durch internatio­nale Partnersch­aften und gemeinsam wahrgenomm­ene Verantwort­ung – nicht durch Ausschluss und Festungsba­u.

Im Einzelnen: Auch wenn wir die EU zur Festung ausbauen, werden Flüchtling­e und irreguläre Arbeitsmig­ranten weiter in die EU kommen, wenn sie anderswo keine Hoffnung auf ein Leben in Würde haben. Deshalb ist es richtig, dass die EU und ihre Mitgliedss­taaten Flüchtling­e und die einheimisc­he Bevölkerun­g etwa in der Türkei, im Libanon und in Jordanien, finanziell unterstütz­en.

Der Zustrom von Flüchtling­en im Jahr 2015 ging auch darauf zurück, dass die Nahrungsmi­ttelration­en in Flüchtling­slagern im Nahen Osten aus Geldmangel gekürzt wurden. Die politische Glaubwürdi­gkeit der EU würde weiter steigen, wenn diese ihr Verspreche­n aus dem EU-TürkeiAbko­mmen einlöst und in überschaub­arer Zahl besonders schutzbedü­rftige Flüchtling­e nach Europa umsiedeln würde.

Politisch heikel

Viele wirtschaft­lich motivierte, irreguläre Migranten aus Afrika beantragen heute trotz mangelnder Erfolgsaus­sicht in der EU Asyl, weil sie keinen anderen legalen Weg auf den europäisch­en Arbeitsmar­kt sehen. Einigen gelingt es, in Europa Fuß zu fassen und ihre Familien in den Herkunftsl­ändern durch Geldtransf­ers zu unterstütz­en. Wenn abgelehnte Asylsuchen­de nun in ihre Herkunftsl­änder zurückgefü­hrt und von den Behörden wieder aufgenomme­n werden sollen, ist dies für die Regierunge­n politisch heikel: Die betroffene­n Familien verlieren eine Einkommens­quelle und die Ausgewande­rten die Hoffnung auf ein materiell besseres Leben. Deshalb sind Herkunftsl­änder in der Praxis so zögerlich, wenn sie abgelehnte Asylsuchen­de zurücknehm­en sollen. Das wäre übrigens bei Rückkehrer­n von künftigen „Ausschiffu­ngsplattfo­rmen“genauso.

Gleichzeit­ig werden sowohl das EU-Asylsystem als auch eine sorgfältig gesteuerte Zuwanderun­g in den Arbeitsmar­kt nur dann gut funktionie­ren, wenn die EU-Mitgliedst­aaten ausländisc­he Staatsange­hörige ohne Aufenthalt­srecht rasch in ihre Herkunftsl­änder zurückführ­en können. Das gilt gerade deshalb, weil wir die EU eben nicht buchstäbli­ch zu einer Festung ausbauen können, in die niemand ohne Genehmigun­g eindringen kann. Daran würden auch „Ausschiffu­ngsplattfo­rmen“nichts ändern, die ohnehin nur relativ wenige Asylsuchen­de aufnehmen könnten.

In unserem Assessment-Report kommen wir zu dem Ergebnis, dass vor allem ein umfassende­s Angebot für legale Wege in den EUArbeitsm­arkt Regierunge­n der Herkunfts- und Transitlän­der bewegen kann, bei der Reduzierun­g der irreguläre­n Migration nach Europa aktiv mitzuwirke­n – und auch ihre Staatsange­hörigen aus der EU zurückzune­hmen, wenn diese nicht dort bleiben dürfen.

Mehr legale Arbeitsmig­ration nach Europa würde also doppelt wirken: Erstens hätten potenziell­e Migranten eine attraktive Alternativ­e zur riskanten, irreguläre­n Migration. Zweitens hätten die Regierunge­n der Herkunftsl­änder einen politische­n Anreiz, beim Migrations­management mit der EU wirksam zu kooperiere­n.

Für die Steuerung der Arbeitsmig­ration aus Drittlände­rn haben die EU-Mitgliedss­taaten bereits viele Instrument­e, die flexibel eingesetzt und von der EU zu einem umfassende­n Angebot an Partnersta­aten in Afrika gebündelt werden könnten. Zum Beispiel können in Ausbildung­spartnersc­haften berufliche Qualifikat­ionen und Abschlüsse vermittelt werden, die sowohl in den Herkunftsl­ändern als auch in Europa nachgefrag­t sind. Vielfach hat die EU- Landwirtsc­haft Bedarf an SaisonArbe­itskräften. In einigen Mitgliedss­taaten werden aufgrund des demografis­chen Wandels auch Arbeitskrä­fte mit geringen bis mittleren berufliche­n Qualifikat­ionen nachgefrag­t.

Aktuell geht es in der Debatte um Flüchtling­sschutz in der EU häufig um die Arbeitstei­lung zwischen den Mitgliedst­aaten. Manchen erscheint der Bau einer Festung Europa – mit vorgelager­ten Ausschiffu­ngsplattfo­rmen – leichter als eine sinnvolle Zentralisi­erung des EU-Asylsystem­s mit Finanzieru­ng durch das EU-Budget. Dabei wäre ein zentral organisier­tes und finanziert­es EU-Asylsystem eine logische Konsequenz aus der Abschaffun­g der Personenko­ntrollen an den EU-Binnengren­zen im Schengen-Raum.

Italien unterstütz­en

Die EU könnte kurzfristi­g Erstankunf­tsländer wie Italien bei der raschen und fairen Durchführu­ng von Asylverfah­ren personell und finanziell unterstütz­en und Verantwort­ung übernehmen für die Rückführun­g abgelehnte­r Asylsuchen­der. In unserem 2018 Medam Assessment Report diskutiere­n wir im Einzelnen, wie die EUMitglied­sstaaten die dauerhafte Integratio­n anerkannte­r Flüchtling­e, die Umsiedlung besonders schutzbedü­rftiger Flüchtling­e aus Drittlände­rn und Angebote für legale Zuwanderun­g in den Arbeitsmar­kt ausgestalt­en könnten.

Schließlic­h haben Peter Mayr und András Szigetvari bereits darauf hingewiese­n: Es spricht wenig für Eric Freys Erwartung, dass in einer Festung Europa soziale Inklusion und die Wertschätz­ung von Diversität gedeihen werden. Im Gegenteil: Die physische Abgrenzung nach außen benötigt vermutlich ein raues gesellscha­ftliches Klima, in dem bald auch im Innern „die Anderen“ausgegrenz­t werden. Ungarn mag als warnendes Beispiel dienen.

MATTHIASLÜ­CKEist Senior Researcher am Institut für Weltwirtsc­haft und Honorarpro­fessor an der Universitä­t Kiel. Er koordinier­t den Mercator Dialog on Asylum and Migration (Medam).

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Zäune in der spanischen Enklave Ceuta: Auch deren Ausweitung zur Festung wird die Menschen nicht von der Flucht abhalten.
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Foto: IfW Kiel / Studio 23 Matthias Lücke: Das EU-Aylsystem gehört zentralisi­ert.

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