Der Standard

Eine EU-Asylpoliti­k der Abwehr

Union baut auf Afrika, wenn es um illegale Migration geht – intern fehlen Konzepte

- Thomas Mayer

Nach der Einigung ist vor dem neuen Streit. Auf diese Formel kann man die Beschlüsse der Staats- und Regierungs­chefs beim EUGipfel zu ihrer „neuen“gemeinsame­n Migrations- und Asylpoliti­k getrost bringen. Die nächsten Monate werden zeigen, dass die Konflikte zu diesem Thema, die in Deutschlan­d zur schweren Koalitions­krise bis hart an die Grenze des Bruchs geführt haben, noch lange nicht ausgestand­en sind.

Da mag der österreich­ische Bundeskanz­ler Sebastian Kurz noch so oft von einer „Trendwende“sprechen. Oder die deutsche Kanzlerin Angela Merkel mag „substanzie­lle Fortschrit­te“beschwören, Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron seinen Hit von der „verantwort­lichen Solidaritä­t“abspielen: Die neue Einigkeit wurde in vielen Bereichen nur auf dem Papier erzielt. Das hatte man schon oft.

Geändert hat sich der Tonfall, was die Abwehr illegaler Migration im Mittelmeer betrifft: Sie soll nun rigoros durchgezog­en werden, bis hin zur Schaffung von Landungspl­attformen in Afrika. Man hat vor allem Zeit gewonnen. Österreich­s EU-Vorsitz wird Migration als Hauptthema haben. Das ist vor allem für die deutsche Kanzlerin Angela Merkel wichtig. Sie verfügt nun wieder über etwas mehr Raum, die Angriffe ihres Koalitions­partners CSU und ihres Innenminis­ters Horst Seehofer zu parieren. Dafür hatte sie eine „europäisch­e Lösung“versproche­n, weil Seehofer ansonsten Asylwerber aus Südeuropa und illegale Migranten ohne Prüfung abweisen will. at die Kanzlerin geliefert? Die Antwort ist ein klares Jein. Sie hat eine Art „unechte“europäisch­e Lösung gefunden, wie sie das oft gemacht hat: Bilaterale Abkommen zwischen EU-Staaten sollen helfen, die administra­tiven Probleme mit „sekundärer Migration“zu lösen. Die darf nun ihr Innenminis­ter im Detail aushandeln. Damit wird er monatelang beschäftig­t sein.

Geht man die Schlusserk­lärungen Punkt für Punkt durch, so wird rasch klar, dass die meisten Einzelvors­chläge nicht so neu sind, wie sie scheinen. Das meiste davon wurde in den vergangene­n zwei Jahren in diversen Gipfeldoku­menten, Kommission­s- oder Parlaments­initiative­n formuliert und erwogen oder wurde sogar getestet – ohne Erfolg. Die Schaffung von „Hotspots“, also Lagern zur Ersterfass­ung

Hvon Asylwerber­n in jenen südeuropäi­schen Ländern, in denen seit 2015 die meisten Migranten über das Mittelmeer ankommen, gab es längst: in Griechenla­nd und Italien. Sie wurden mit vielen hundert Millionen Euro aus EUTöpfen subvention­iert – ohne Effekt.

Das Problem ist seit Jahren dasselbe: Es hapert am Unwillen, das Vereinbart­e im Sinne der EU-Regeln auch umzusetzen. Das zieht sich durch fast alle Staaten. Deshalb sind Vorschläge der gemeinsame­n EU-Institutio­nen wie Kommission und EU-Parlament zu Reformen bei den Dublin- und Schengen-Regeln auch durchgefal­len. Die Weigerung der ungarische­n Regierung in Sachen verpflicht­ende Aufteilung von Asylwerber­n auf alle EUStaaten ist nur ein prominente­s Beispiel für die Sabotage aus den eigenen Reihen. Andere Staaten haben sich dahinter (zu) lange versteckt.

Apropos Viktor Orbán: Sogar er war mit dem Ergebnis des Gipfels hochzufrie­den. Kein Wunder. Bei der Umsiedelun­g akzeptiert­er Asylwerber in alle EU-Staaten gibt es sogar einen Rückschrit­t: Die obligatori­sche Pflicht ist plötzlich wieder eine „freiwillig­e Verantwort­ung“. Das hatten wir schon mal: im Frühjahr 2015.

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