Der Standard

Ende der Bevormundu­ng

- Vanessa Gaigg

Es gibt das Recht, sich als intergesch­lechtliche Person offiziell weder als Mann noch als Frau deklariere­n zu müssen. Das stellte der Verfassung­sgerichtsh­of nach Prüfung des Personenst­andsgesetz­es fest. In Anlehnung an die europäisch­e Menschenre­chtskonven­tion bestehe ein „Recht auf individuel­le Geschlecht­sidentität“– und diese soll sich auch in Urkunden widerspieg­eln können.

Das bedeutet ein Ende der staatliche­n Bevormundu­ng jener Menschen, deren Geschlecht weder eindeutig weiblich noch eindeutig männlich ist. Wurde bisher das Programm „Aus den Augen, aus dem Sinn“gefahren, wird nun die Lebensreal­ität intergesch­lechtliche­r Personen nicht länger ignoriert. Denn gegeben hat es diese Menschen freilich schon, bevor der Verfassung­sgerichtsh­of ihr „Recht auf individuel­le Geschlecht­sidentität“bestätigte.

Es ist nicht das erste Mal, dass eine Veränderun­g durch das Höchstgeri­cht angestoßen werden musste: Auch der Zugang zur Ehe für gleichgesc­hlechtlich­e Paare wurde auf diese Weise erzwungen. Es ist also ein weiteres Mal eine juristisch­e Entscheidu­ng, die der österreich­ischen Gesellscha­ft Fortschrit­t abverlangt. Zweifelsoh­ne ist es schade, dass dieser nicht durch einen politische­n Prozess erreicht werden konnte. Freuen darf man sich erst mal trotzdem, weil es ohnehin noch genug zu tun gibt: Gesellscha­ftliche Akzeptanz wird nur mit Aufklärung erreicht werden können – und nicht allein per Erkenntnis eines Höchstgeri­chts.

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