Ausreichend Munition
Die Busse sind bestellt, die Züge gut gebucht. Für die Gewerkschaft geht es bei der großen Demonstration gegen den Zwölfstundentag in Wien um viel. Um die Vertretung ihrer Mitglieder, um die Zukunft der Sozialpartnerschaft und – ja – auch um eine Machtdemonstration.
Die Gewerkschaft hat jeglichen Einfluss auf die Regierungspolitik verloren. Die Arbeitgeber schwimmen auf der türkis-blauen Welle, die auch die Umsetzung zahlreicher Forderungen der Betriebe an Land spült. Das schwächt die Arbeitnehmerbewegung auf den ersten Blick, kann sie letztlich aber auch stärken. Nämlich dann, wenn eine Aushöhlung der Rechte der Beschäftigten zu einer Solidarisierung führen sollte, die es seit Schwarz-Blau I nicht mehr gegeben hat.
Mit ausreichender Rückendeckung kann der ÖGB nicht nur Betriebe, Verkehr und vieles mehr lahmlegen, sein Einfluss reicht zugleich viel weiter. Eine scharfe Waffe hat er bei den Tarifverhandlungen in der Hand. Spätestens im Herbst müssen die Arbeitgeber mit einer Retourkutsche in Form hoher Lohnforderungen rechnen.
Sie lebt also noch, die Gewerkschaft. Ihre Macht hängt stark vom Vertrauen bei den Mitgliedern und in der Bevölkerung ab. Übertreiben darf sie es mit ihrem Protest nicht, sonst würden parteipolitische Motive ruchbar. Doch für einen Warnschuss wurde dem ÖGB allemal ausreichend Munition geliefert.