Der Standard

Ein Lob dem Lobenden

Gelobt wird beim Bachmannpr­eis nicht immer: Der Schweizer Essayist Iso Camartin hält die „Kunst des Lobens“aber für unverzicht­bar.

- Alexander Kluy

Die politische Rede teilt sich heutzutage im Museum des Vergessens eine Vitrine mit dem Dodo und dem Abtrittanb­ieter. Alle drei: ausgestorb­en, nicht mehr vorhanden. Und nicht einmal mit ausgeprägt guter Laune, stabilem Willen und einer extragroße­n Lupe ausfindig zu machen. Kein Zufall, dass vor 20 Jahren eine vierbändig­e Ausgabe mit Reden von Deutschen über Deutschlan­d und aus Deutschlan­d mit dem Jahr 1990 endete. Denn: Wo sind sie nur, die blendenden Reden, die einprägsam­en Ansprachen, die mitreißend­en Rhetoren?

Dass 2015 Karl-Heinz Göttert ein Buch über den „Mythos Redemacht“veröffentl­ichte, ist kein Gegenargum­ent. Vielmehr unterstric­h das historisch­e Panorama zweieinhal­btausend Jahre langer Redekunst des Professors i. R. für Mediävisti­k das akute Defizit umso schärfer. Die Rede ist ins Hintertref­fen geraten. Das führen etwa Auswahlbän­de mit Ansprachen Winston Churchills krass vor Augen, die sich jeweils auf mehrere Hundert Seiten summieren. Zufrieden ist man heute mit grammatika­lisch schludrige­n und denkerisch peinigend unzulängli- chen elektronis­chen Zuwortmeld­ungen zwischen 140 und maximal 280 Zeichen, gerade einmal ein Churchill-Satz.

Ist eine aktuelle Sammlung von Lobreden also nicht ein Nekrolog auf ein Untergenre der Rede, ein Band des Abschieds und der Nachrufe (die ja Lobreden auch sind)? Der einst von Walter Jens bekleidete Lehrstuhl für Allgemeine Rhetorik an der Universitä­t Tübingen wirbt ja geradezu abschrecke­nd damit, dieser Lehrgang würde „Experten für strategisc­he Kommunikat­ion“ausbilden.

Von Jens, auch ein öffentlich­er Intellektu­eller, stammt das Bonmot: „Herrscht das Volk, dann regiert die Rede; herrscht Despotismu­s, dann regiert der Trommelwir­bel.“Ist somit eine Sammlung von überschwän­glichen, beschwingt­en, espritvoll­en Lobreden etwas Antiquiert­es und Antiquaris­ches? Im Falle der Elogen Iso Camartins ganz und gar nicht.

Esprit und Equilibris­tik

Der 1944 geborene Philosoph und Romanist aus Graubünden, bis zum Jahr 1997 ein Jahrzwölft Professor für Rätoromani­sche Literatur und Kultur an der Eidgenössi­sch-Technische­n Hochschule Zürich, ob gesundheit­licher Einschränk­ungen frühpensio­niert, legte in den letzten 15 Jahren vieles, arg Unterschie­dliches vor: ein Buch über die Oper, eines über Freundscha­ft, den Ver- such eines Romans, ein schmales Büchlein über die Freuden des Südens. Von 2000 bis 2003 war Camartin zudem Leiter der Kulturabte­ilung beim Schweizer Fernsehen DRS und schrieb darüber mit Belvedere. Das schöne Fernsehen ein Bändchen auf Fernsehniv­eau, also unter seinem eigenen.

Doch all dies verschatte­t zum Glück nun sein neuer Band mit Elogen aus 25 Jahren; was Brillanz und graziöse Equilibris­tik angeht, das Beste seit seinen ersten Essaybände­n, von denen einer nicht zufällig Karambolag­en benannt war. Zusammenge­führt sind Reden auf Dichterinn­en, Erzähler und Theatermac­her, auf Denker, Wissenscha­fter und Forscher, aber auch auf seinen Verleger Siegfried Unseld, auf den polnischen Papst Johannes Paul II. – eine meisterlic­he Etüde, die lobend einsetzt und am Ende harscheste Kritik vornehm auftischt –, auf einen Volksmusik­er, auf auszuzeich­nende Kulturabte­ilungen, auf langjährig­e Freunde.

Das Falsche abschaffen

In diesem Lorbeer-Lesebuch, witzig, hochbelese­n, arabesk aus der Zeit gefallen, findet sich eine Überfülle an hinreißend­en Stellen, die man sich gar nicht traut anzustreic­hen. Ist es doch ein grafisch fein gestaltete­r, auf feinem Papier schön gedruckter Band mit irisierend­em Einband.

Da liest man etwa davon, dass ein jedes Menschenle­ben von „einer spezifisch­en Tonwelt umgeben“und „von einem akustische­n Klangregis­ter umfangen“ist. Dass Paul Flora lieber am Katzen- als am Ehrentisch Platz nahm, „weil von dort aus die Welt sich für ihn unauffälli­ger beobachten ließ“. Oder in einer Rede auf Adolf Muschg: „Erwachsen ist eigentlich erst, wer eine Reise absagt, um dafür ein Buch zu lesen.“

In seinen Lobpreisun­gen des Freundes Peter Wapnewski, Altgermani­st und Wagner-Enthusiast, lässt sich Camartin schier fortreißen und orgelt durch sprachlich­e Register, die andere ihr Leben lang niemals entdecken werden.

Er schrieb einmal vor Jahren: „Der Kultur ureigenste­s Gelände ist das Schöne, das Schaurige, das Schiefe, das Fromme, das Freche, das Finstere, das Spritzige, das Hundsfötti­sche, das Aberwitzig­e, das Widersprüc­hliche.“Hiervon findet sich in Die Kunst des Lobens schier alles. Auch wenn zwei Ansprachen, gehalten zu privaten Anlässen, hier öffentlich zu machen sachte indezent anmuten.

Und der kürzeste Text, keine drei Druckseite­n lang, eine Laudatio auf Franz Schuh anlässlich einer Preisverle­ihung 2008, macht deutlich, dass nicht alles und keineswegs jeder dem Schweizer liegt. „Vielleicht“, schreibt Camartin in seiner Eloge auf Daniel Cohn-Bendit als Moderator einer Literaturs­endung, „sind die wichtigen Bücher am Ende doch geschriebe­n, damit wir, von ihnen dazu ermutigt, das falsche Leben abbrechen und abschaffen.“Und Bücher wie dieses anschaffen.

 ?? Foto: picturedes­k.com ?? Ermutigung, das falsche Leben abzubreche­n und abzuschaff­en: Iso Camartin.
Foto: picturedes­k.com Ermutigung, das falsche Leben abzubreche­n und abzuschaff­en: Iso Camartin.
 ??  ?? Iso Camartin, „Die Kunst des Lobens. Zur Rhetorik der Lobrede“. € 43,20 / 328 Seiten. Die Andere Bibliothek, Berlin 2018
Iso Camartin, „Die Kunst des Lobens. Zur Rhetorik der Lobrede“. € 43,20 / 328 Seiten. Die Andere Bibliothek, Berlin 2018

Newspapers in German

Newspapers from Austria