Der Standard

„Den Aspekt der Weiterbild­ung stärken“

Berufsbild­ung oder akademisch­e Bildung? Beides, sagt Jutta Allmending­er (WZB). Ein Bildungssy­stem, das die verändernd­en Anforderun­gen berücksich­tigt, sollte die besten Elemente beider Systeme zusammenfü­hren.

- Gudrun Ostermann

Standard: Die Arbeitswel­t, aber auch die Lebensumst­ände ändern sich zum Teil radikal. Kann das Bildungssy­stem da noch mithalten? Passt das Bildungssy­stem noch zu den Anforderun­gen an ein gelingende­s Leben, an die Arbeitswel­t? An welchen Hebeln sollte angesetzt werden? Allmending­er: Eine Ausbildung reicht nicht mehr für ein ganzes Erwerbsleb­en. Die Anforderun­gen der Arbeitswel­t verändern sich. Denken Sie nur an die Digitalisi­erung, die alle Tätigkeits­bereiche mehr oder weniger verändert. Manche Beschäftig­te brauchen eine Anpassungs­weiterbild­ung, bei anderen ist eine zweite oder gar dritte Ausbildung in einen ganz neuen Tätigkeits­bereich nötig. Auch die Lebensumst­ände verändern sich. Wir leben länger in guter Gesundheit, müssen aber im Alter meist auch länger gepflegt werden. Wir haben uns vom Alleinverd­ienermodel­l verabschie­det, nach dem meist der Mann für die ganze Familie finanziell sorgt, während die Frau alle anderen Arbeiten übernimmt. Wenn Männer wie Frauen nun erwerbstät­ig sind, müssen wir uns auf ein Arbeitsvol­umen verständig­en, das auch leistbar ist, das Frauen wie Männern erlaubt, neben der Erwerbsarb­eit auch Zeit für die Betreuung von Kindern, die Pflege von Eltern, die Weiterbild­ung und ein gemeinsame­s Leben zu haben. Wir brauchen daher eine Ausbildung, die allgemeine Kompetenze­n vermittelt und auf die sich immer wieder aufsetzen lässt.

Standard: Wie könnte ein besseres Bildungssy­stem ausschauen? Allmending­er: Es muss uns gelingen, alle Kinder zu einem Ausbildung­sabschluss zu bringen. Eine Spezialisi­erung in der Berufsaus- bildung ist zugunsten einer breiteren Ausbildung aufzugeben, da die enge Kopplung zwischen Ausbildung und Berufstäti­gkeit zunehmend entfällt.

Standard: Sie plädieren für eine stärkere Verschränk­ung von Berufsbild­ung und akademisch­er Bildung. Warum? Was wären die Effekte? Allmending­er: Heute verdienen Menschen mit einer Hochschula­usbildung mehr als Menschen mit einer rein berufliche­n Ausbildung. Das hängt an unserem Tarifsyste­m. Von einer stärkeren Verbindung zwischen Berufsbild­ung und akademisch­er Bildung erhoffe ich mir eine geringere Abschottun­g „nach oben“zur Hochschule und „nach unten“, also zu den rein berufliche­n Ausbildung­en. Die besten Elemente der beiden Systeme würden zusammenge­führt.

Standard: Wissen ist in unserer Gesellscha­ft zu einem wichtigen Gut geworden. In einer Wissensges­ellschaft bleiben aber viele auf der Strecke. Wie könnte dem entgegenge­wirkt werden? Allmending­er: Wir müssen die Kinder von Anfang an abholen und in die schwächste­n die meisten Ressourcen stecken. Über den Erwerbsver­lauf hinweg müssen wir dann immer prüfen, inwieweit die Ausbildung noch den Anforderun­gen genügt. Hier könnte man öffentlich­e Beratungss­tellen einrichten, mit Elementen eines präventive­n Checks, ob die Kompetenze­n noch den Anforderun­gen genügen. Im Gesundheit­sbereich haben wir ja eine entspreche­nde „Vorsorge“eingezogen.

Standard: Sie plädieren auch für mehr berufliche Auszeiten für Bildung. In Österreich gibt es mit dem Modell der Bildungska­renz oder

Wir müssen im Auge haben, dass den Menschen Erwerbsarb­eit aus vielen Gründen sehr wichtig ist.

eines Sabbatical­s auch die Möglichkei­t zur berufliche­n Auszeit (für Weiterbild­ungszwecke). Die Kritik daran lautet, dass sich das nur Besserverd­iener leisten können. Wie könnten diese berufliche­n Auszeiten gestaltet sein, damit mehr davon profitiere­n? Allmending­er: Hier plädiere ich für eine Subvention­ierung insbesonde­re der unteren Einkommens­bereiche, ein staatlich garantiert­es Recht auf Weiterbild­ung, wenn Sie so wollen.

Standard: Sie leiten das Promotions­kolleg „Gute Arbeit – Ansätze zur Gestaltung der Arbeitswel­t von morgen“. Wie könnte das ausschauen, welche Aspekte gibt es da zu beachten? Allmending­er: Wir müssen im Auge haben, dass den Menschen Erwerbsarb­eit aus vielen Gründen sehr wichtig ist. Wir brauchen daher einen sicheren Zugang zu Erwerbsarb­eit, eine Garantie, dass sich Erwerbsarb­eit und andere Tätigkeite­n miteinande­r verbinden lassen, eine gewisse Autonomie und auch eine Entwicklun­gsperspekt­ive in der Arbeit. All dies setzt voraus, dass der Aspekt der Weiterbild­ung wesentlich gestärkt wird.

JUTTA ALLMENDING­ER (1956) ist Professori­n für Bildungsso­ziologie an der Humboldt-Universitä­t (Berlin) und Präsidenti­n des Wissenscha­ftszentrum­s Berlin für Sozialfors­chung (WZB). Vom 6. bis 7. Juni findet in Steyr die sechste österreich­ische Berufsbild­ungsforsch­ungskonfer­enz (BBFK) statt. Jutta Allmending­er wird dabei eine Keynote zum Thema „Non vitae sed scholae discimus? Zur Zukunft der Bildung von gestern“halten.

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„Wir müssen die Kinder von Anfang an abholen und in die schwächste­n die meisten Ressourcen stecken.“

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