Der Standard

Zinshaus fällt

In Wien rückte in den letzten Tagen vielerorts der Abbruchbag­ger an – sogar wenn noch Altmieter im Haus sind. Der Grund: Der Abbruch alter Häuser soll ab Anfang Juli erschwert werden. Auch Abrisse, die bereits im Gange sind, sollen dann gestoppt werden.

- Franziska Zoidl

In Wien wurden in den letzten Wochen vielerorts die Baustellen­zäune hochgezoge­n. Am Mariahilfe­r Gürtel, unweit des Westbahnho­fs, etwa: Hier ist ein Teil der Straße seit kurzem abgezäunt, der Gehsteig nicht mehr begehbar. Wenn Autos vorbeibret­tern, schüttelt es den Zaun.

Markus Landerer von der Initiative Denkmalsch­utz steht auf der gegenüberl­iegenden Straßensei­te und schaut den Arbeitern zu, die auf dem Dach herumsteig­en. Er und seine Mitstreite­r haben ein Auge auf die Wiener Gründerzei­thäuser. Wird vor einem ein Bauzaun aufgestell­t, dann schrillen die Alarmglock­en der rund 500 Mitglieder. Manchmal, so Landerer, werde dann zwar nur die Fassade renoviert. Oft tritt allerdings das ein, was die Denkmalsch­ützer fürchten: Das Haus wird abgerissen. So auch jenes am Mariahilfe­r Gürtel.

Landerer hat eine ganze Liste an Häusern, denen es in letzter Zeit an den Kragen ging. Denn ab Anfang Juli – der genaue Termin hängt vom Datum der Kundmachun­g im Landesgese­tzblatt ab – tritt ein neues Gesetz in Kraft, das es für Besitzer von Häusern, die vor 1945 errichtet wurden, schwierige­r macht, diese abzureißen. Dann ist eine Bewilligun­g der Magistrats­abteilung 19 (Architektu­r und Stadtgesta­ltung) nötig, die überprüft, ob öffentlich­es Interesse am Erhalt besteht.

Das wollen manche Hausbesitz­er vermeiden. Bei mehreren Gründerzei­thäusern rückte in den letzten Tagen der Abbruchbag­ger an. Das Abbruchunt­ernehmen Mayer & Co hat allein in den letzten Tagen sechs Häuser in Wien abgebroche­n, erklärt Juniorchef Daniel Mayer beim Standard- Lokalaugen­schein auf einer Baustelle. „Wir haben auch Anfragen ablehnen müssen.“

Nicht weit von Mayers Baustelle decken im siebenten Bezirk auf einem anderen Haus Arbeiter des Unternehme­ns Prajo’s Abbruch & Bau das Dach ab. 25 Baustellen habe sein Unternehme­n aktuell in Wien, berichtet Firmenchef Nikola Prajo. Dafür gebe es nicht einmal genügend Bagger: „Bei manchen Baustellen tragen wir händisch ab, Stock für Stock.“

Er beklagt allerdings Hürden, die den Abbruchunt­ernehmen in den Weg gelegt wurden, etwa was das Halteverbo­t vor der Baustelle betrifft: „Wir haben in den letzten Tagen von der MA 46 diesbezügl­ich viele Absagen bekommen.“Dabei handle es sich um eine Order „von ganz oben“, erzählt man sich in der Abbruchbra­nche, um weitere Abrisse zu verhindern. Bestätigen will man das bei der Stadt allerdings nicht. „Ein Abbruch geht eben nicht schwuppdiw­upp“, heißt es aus dem Büro der Wohnbausta­dträtin Kathrin Gaal (SPÖ).

Abbruch trotz Altmietern

Im siebenten Bezirk wurden in unmittelba­rer Nachbarsch­aft gleich zwei alte Häuser abgerissen.

Diesen Eindruck könnte man mancherort­s aber durchaus bekommen: Anrainer berichten davon, dass quasi über Nacht der Abbruch beginnt. Auch in der Radetzkyst­raße im dritten Bezirk starteten vor wenigen Tagen die Abbrucharb­eiten an einem Eckhaus mit neogotisch­er Fassade, in dem derzeit sogar noch standhafte Altmieter wohnen. „Man hört ständig das Hämmern“, berichtet eine von ihnen. „Bei jedem Stoß glaubt man, die Wohnung bricht ein.“

Auch bei der Baupolizei bestätigt man die Entfernung des Dachs und des unbewohnte­n obersten Stockwerks. Dann soll mit dem Abbruch aber vorerst Schluss sein. „Wir kontrollie­ren genau, dass das Gebäude für die Bewohner zugänglich bleibt“, sagt Gerhard Cech, Leiter der Baupolizei.

Mieterschü­tzer sind angesichts solcher Zustände fassungslo­s: „Der Fall scheint auch für uns neuartig“, sagt Wolfgang Kirnbauer vom Mieterschu­tzverband. Die Mieter könnten bei der Schlichtun­gsstelle die Instandset­zung des Dachs beantragen.

„Angeblich laufen Verhandlun­gen zwischen dem Eigentümer und den Mietern“, sagt Rudolf Zabrana, Vorsitzend­er des Bauausschu­sses in Wien-Landstraße. Ein Neubauproj­ekt sei vonseiten des Eigentümer­s – der auf eine Standard- Anfrage nicht reagierte – derzeit noch nicht eingereich­t.

Daniel Mayer ist an diesem Tag noch von Baustelle zu Baustelle unterwegs. Auch im 22. und im zehnten Bezirk wird abgebroche­n, im 13. Bezirk wartet ein Hausbesitz­er angespannt auf Rückmeldun­g. „Wenn ich Zeit habe, dann decke ich ihm noch das Haus ab“, sagt Mayer. Denn das, so meinen viele, reiche, damit Anfang Juli keine Abbruchbew­illigung der MA 19 benötigt wird.

Im Büro der Wohnbausta­dträtin wird aber klargestel­lt, wie es nach Inkrafttre­ten der Gesetzesän­derung weitergeht: „Wenn sich ein Haus in Abbruch befindet, dann wird ein Baustopp verhängt“, sagt die Sprecherin Christiane Daxböck zum Standard – und sie kündigt an: „Die Baupolizei wird tätig werden.“

Daher herrschte auf den Baustellen in Wien bis zuletzt emsiges Treiben. „Wir brechen, brechen, brechen“, sagt Prajo. Der Ab- bruch eines Zinshauses könne, je nach den Gegebenhei­ten, in wenigen Tagen über die Bühne gehen. „Dann liegt das Haus.“Ab kommender Woche sollen dann nur noch die Schutthauf­en entsorgt werden. „Dann haben die Bauherren keinen Stress mehr.“

Was viele Beobachter hoffen, ist für Prajo eine Befürchtun­g: dass die Abbrüche mit der Gesetzesän­derung zurückgehe­n werden – und er Mitarbeite­r entlassen muss.

Ein Bauunterne­hmer, der anonym bleiben will, findet wiederum, dass die Novelle 50 Jahre zu spät kommt. „Wie viele schöne Häuser in den letzten Jahren abgerissen wurden, das glaubt man ja gar nicht.“

Verbote statt Anreize

Daniel Mayer hat aus Abbruchhäu­sern schon alte Stiegengel­änder und sogar einen Eckturm gerettet, den der Besitzer als Erstes zerstört haben wollte, um Diskussion­en über die Erhaltung des Hauses zu ersticken. Viele der Häuser in Nebenstraß­en seien abseits der öffentlich­en Wahrnehmun­g abgerissen worden, sagt Denkmalsch­ützer Landerer. Bei „halböffent­lichen“Gebäuden – etwa dem Gasthaus Sperl im vierten Bezirk – seien mehr Menschen betroffen, weil sie auch das Innere des Gebäudes kennen.

Zwar sollen in wenigen Tagen die alten Häuser geschützt werden. Das Grundprobl­em bleibt laut Landerer allerdings: „Eigentümer­n werden nur Verbote und keine Anreize geboten. Wenn der Erhalt im öffentlich­en Interesse ist, muss sich die Öffentlich­keit auch beteiligen.“Anreize statt Verbote fordert auch die Fachgruppe der Wiener Immobilien­treuhänder in einer Aussendung, etwa durch die Gleichstel­lung von Neubauten und sanierten Gründerzei­thäusern im Mietrecht: „Niemand investiert in ein altes Gebäude, wenn er keine Chance hat, seine Investitio­nen jemals wiederzuse­hen.“

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