Der Standard

Kurz mal im Chefsessel Europas

Mit der Übernahme des EU-Vorsitzes werden Bundeskanz­ler und Minister plötzlich Ratspräsid­enten. Viel Arbeit, viele Sitzungen, bescheiden­er Einfluss. Aber eine ehrenvolle Aufgabe für die Gemeinscha­ft.

- Thomas Mayer

Kennen Sie Ekaterina Sachariewa und Wladislaw Goranow? Noch nie gehört? Keine Sorge, so geht es mindestens neun von zehn der insgesamt 507 Millionen EUBürger, die mit diesen Namen absolut nichts anfangen können.

Dabei waren die beiden seit Jahresanfa­ng prominent in der europäisch­en Politik unterwegs: Die eine ist die bulgarisch­e Außenminis­terin, der andere ihr Finanzmini­sterkolleg­e in Sofia. Gemeinsam mit Ministerpr­äsident Bojko Borissow bildeten sie das Spitzentri­o der EU-Ratspräsid­entschaft, die am Sonntag nach sechs Monaten die Verantwort­ung der österreich­ischen Regierung übergeben wird.

Ein solcher EU-Vorsitz hat die Aufgabe, das Tagesgesch­äft der Union aus 28 Staaten zu erledigen. Das Programm ist weitgehend vorgegeben, umfasst alle Dossiers und Themen, die seit Jahren in Arbeit sind. Das sind viele.

So gelang es seit Jänner nicht, geplante Reformen der Eurozone oder bei der gemeinsame­n Asylpoliti­k auf den Weg zu bringen

(siehe Seiten 4 und 5). Dazu gehört vor allem, in enger Kooperatio­n mit dem in Brüssel angesiedel­ten Generalsek­retariat des Rates mit tausenden spezialisi­erten Beamten die EU-Ministerrä­te inhaltlich vorzuberei­ten und zu führen.

Verhandlun­gen mit der Kommission und dem EU-Parlament sind zu führen. Der EU-Gesetzesun­d Verwaltung­sbetrieb für 28 Mitgliedss­taaten ist eine gut geölte, komplexe „Maschine“, auch ein Sprachenge­wirr. Tausende Sitzungen von Fachgruppe­n, zehntausen­de Seiten liegen auf.

Das ist vor allem für kleinere Staaten wie Österreich oder junge EU-Mitglieder wie Bulgarien eine echte administra­tive Herausford­erung. Und eine Art „Ehrensache“für das Land, als „fairer Makler“für alle zu dienen. Das gibt es nur alle 14 Jahre. Deshalb geben sie gern idealistis­che Motive als Motto vor, wie „Einheit in Vielfalt“, „Gemeinsam sind wir stark“oder erklären sich zu „Brückenbau­ern“, wie die Österreich­er.

Für Leute wie Sachariewa und Goranow ist so ein EU-Amt der Höhepunkt ihrer politische­n Karriere, exponiert im Zentrum der Weltpoliti­k. Denn die EU-Ratspräsid­entschaft ist auch an vorderster Front im Spiel, wenn es um die globalen Beziehunge­n der EU geht – seien es die Sanktionen gegen Russland, der Handelsstr­eit mit den USA oder die Umsetzung des Klimaschut­zabkommens.

Nationale Regierunge­n stecken viel Geld und Energie in den EUVorsitz. Es geht um Prestige. Sie wollen zudem auch die Wähler zu Hause überzeugen, wollen sie „überrumpel­n“mit dem Glanz ihrer internatio­nalen Auftritte.

Davon sind Bundeskanz­ler Sebastian Kurz, Vizekanzle­r HeinzChris­tian Strache und Co ebenso nicht ausgenomme­n wie zuvor Borissow und seine Kollegen – und die Vertreter Rumäniens, die Anfang 2019 die EU-Stafette von Österreich übernehmen werden.

Aber der Schein trügt oft. Dass die bulgarisch­en Regierungs­mitglieder für den Rest Europas vorher wie nachher fast unbekannt sind, hat auch damit zu tun, dass der EU-Vorsitz ein undankbare­s Geschäft ist. Man ist zwar überall dabei. Aber um die ganz großen politische­n Themen und deren Lösung kümmern sich dann doch eher andere „Präsidente­n“.

Das ist seit Inkrafttre­ten des EUVertrags von Lissabon im Jahr 2009 so. Davor war ein nationaler Regierungs­chef auch der Gastgeber und Vorsitzend­e bei EU-Gipfeln, so wie Kanzler Wolfgang Schüssel im Jahr 2006. Nun gibt es aber mit Donald Tusk einen Ständigen Ratspräsid­enten als „Chef der Chefs“. Die Politik der Eurostaate­n wird vom Portugiese­n Mário Centeno orchestrie­rt, die EUAußenpol­itik von der aus Italien stammenden Federica Mogherini.

Kommission­spräsident JeanClaude Juncker spielt in allen Themen eine der ersten Geigen. Und dann gibt es natürlich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und den französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron, die bei fundamenta­len Fragen das Zepter führen, wie beim jüngsten Brüsseler Gipfel in Sachen Migrations­politik (s. S. 9). Die Regierung in Wien wäre also gut beraten, wenn sie auf dem Teppich bliebe. Was werden die wichtigste­n Dinge und Ereignisse des österreich­ischen EU-Vorsitzes sein? Die Wiener Regierung wollte eigentlich auf drei inhaltlich­e Schwerpunk­te setzen: Migration und Sicherheit, Digitale Agenda und Jobs der Zukunft sowie EU-Erweiterun­g auf dem Westbalkan.

Diese Agenden werden neben vielen anderen „kleineren“wie Digitalste­uern oder „größeren“wie Agrarrefor­m zwar auf der Tagesordnu­ng bleiben. Die Weltlage und die tiefe innere Krise der Europäisch­en Union lässt aber drei „Megaschwer­punkte“erwarten, die bestimmend sein werden:

1. Die Umsetzung des Migrations­pakets vom EU-Gipfel. Im September gibt es dazu extra einen Sondergipf­el in Salzburg.

2. Der Brexit. Sollten die Verhandlun­gen über den EU-Austritt der Briten scheitern, drohen im Europawahl­jahr 2019 schwere wirtschaft­liche Verwerfung­en.

3. Die Beziehunge­n zu den USA. Die Handelssan­ktionen stehen erst am Anfang. Beim Natogipfel Mitte Juli könnte US-Präsident Trump den Druck auf die Europäer auch sicherheit­spolitisch weiter erhöhen.

Wenn sie bei alldem gute Ideen haben und sich für die Partner in der Europäisch­en Union nützlich machen, könnte man die Namen von der einen oder dem anderen Regierungs­mitglied in Wien Ende des Jahres auch über Österreich­s Grenzen hinaus kennen.

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