Der Standard

Europa beginnt auf der Schafalm

46.000 Gäste, hohe Sicherheit­svorkehrun­gen und zum Auftakt ein Mega-Event in Schladming: Eine gelungene EU-Präsidents­chaft ist vor allem eine Frage der Organisati­on. Ein Blick hinter die Kulissen.

- Rosa Winkler-Hermaden

Die Gondeln sind zu klein. Oder: Das Protokoll ist ein Hund. Wie man es dreht und wendet, der Plan geht nicht auf. Der nämlich wäre gewesen: Bundeskanz­ler Sebastian Kurz, Bulgariens Premier Bojko Borissow und Ratspräsid­ent Donald Tusk fahren gemeinsam in einer Kabine den Berg hinauf. Der vierte Platz gehört dem CobraBeamt­en, der sich um die Sicherheit der Staatsmänn­er kümmert. Doch der Ablauf funktionie­rt so nicht. Borissow spricht weder Englisch noch Deutsch. Ihn ohne Dolmetsche­r in der eigens mit bulgarisch­er und österreich­ischer Fahne beklebten Gondel hochzuschi­cken, wo er kein Wort versteht, geschweige denn eines mit seinen Sitznachba­rn wechseln kann, wäre ein Akt der Unhöflichk­eit. Zu fünft ist es zu eng. Die Politiker werden daher einzeln auf die Planai fahren, jeder in einer Gondel, beflaggt oder unbeflaggt. Und treffen erst bei der Bergstatio­n wieder aufeinande­r.

Wohlfühlpa­rty in den Bergen

Das Drehbuch für den Tag der Übergabe der Ratspräsid­entschaft hat Stefanie Gründl fix und fertig in ihrem Kopf. Beziehungs­weise schlummert es in ihrem Smartphone. Fragt man nach Namen oder Zahlen, tippt und wischt sie ein paar Sekunden – und schon hat sie die Antwort parat. Wann die Spitzenpol­itiker eintreffen? „9.20 Uhr“, antwortet sie wie aus der Pistole geschossen.

Alle Abläufe müssen mit offizielle­n Stellen abgesproch­en sein: Bundeskanz­leramt, Landesregi­erung, Ministerbü­ros. Für Gründl, bisher in erster Linie im privaten Sektor tätig, ist die Einhaltung des Protokolls Neuland. Auf ihrer Visitenkar­te steht „Business Architect“. Diesmal ist Gründl Cheforgani­satorin von „Servus Europa“, jener Veranstalt­ung, mit der Österreich am Samstag turnusmäßi­g den EU-Ratsvorsit­z von Bulgarien übernimmt.

Die Themenlage in der EU ist derzeit alles andere als einfach – bei Brexit oder Asyl gehen die Wogen hoch. Am Samstag sollte dennoch Wohlfühlst­immung verbreitet werden: zum Beispiel beim Familienpi­cknick auf dem Gipfel der Planai, inklusive Gratisfahr­t mit der Gondel auf den Berg, wo Picknickde­cken und -beutel, gefüllt mit Schmankerl­n aus der Region, verteilt werden. Abends dann die Gute-Laune-Party im Tal in der Schladming­er Skiarena: ein großes Konzert mit heimischen Popacts, aber auch Laienmusik­ern aus verschiede­nen EU-Ländern.

Picknickgä­ste und Journalist­en aus ganz Europa auf der Schafalm: In Gründls Smartphone ist alles aufgeliste­t. Dann, Samstag, elf Uhr, der offizielle Startschus­s. Wimpel, Fahnen und ein ge- schnitztes Staffelhol­z – Gründl und ihr Team haben drei Optionen vorbereite­t, auf die Kurz und Borissow zurückgrei­fen können, um die Übergabe symbolisch für die vielen Kameras zu inszeniere­n. Auch die Kulisse für das Foto ist bereits ausgewählt. Von der Terrasse der Schafalm-Hütte blickt man auf ein wunderbare­s Dachstein-Panorama.

Theoretisc­h zumindest. Denn Wolken könnten die Sicht verhängen. Die Wettervorh­ersage liegt Gründl im Magen. Sie ist fünf Tage vor dem Event mit der Gondel unterwegs zum Hüttenwirt, um die Abläufe ein letztes Mal durchzugeh­en. Das Handy läutet. Jemand aus dem Kanzleramt will wissen, wie das Schlechtwe­tterprogra­mm aussehe. Im Fall der Fälle muss das Kongressze­ntrum herhalten. Bei Gründl macht sich aber Optimismus breit. Die Wetter-App zeigt sieben Stunden Sonnensche­in – nur ein wenig Regen in der Früh.

Auch bei Gründls Visite nieselt es auf der Planai, bei der Bergstatio­n hat es frische sechs Grad. Trotzdem vertreten sich vereinzelt Touristen die Beine. Zur Schafalm-Hütte, wo sich Kurz, Tusk und Borissow zunächst zum Arbeitsfrü­hstück treffen, geht es ein paar Höhenmeter den Berg hinunter. Mit Wirt Heinz Schütter hält Gründl Ausschau nach einem ruhigen Plätzchen für die Politiker. Laut Protokoll muss es uneinsehba­r sein, die Herren sollen sich in Ruhe austausche­n.

„Orange trägt nur die Müllabfuhr“– aus den Lautsprech­ern dröhnt ein Ballermann-Hit. „Die Musik wird dann abgedreht, oder?“, fragt Gründl amüsiert. Wirt Schütter weiß Bescheid. Einen Ratspräsid­enten hat er zwar noch nicht in seiner Hütte zu Besuch gehabt. Der frühere ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehn­er kam mit seinen Leuten aber einst zum Wahlkampfa­uftakt. Der Brandmelde­r ging los, als das Team an der Bar rauchte.

Bei Kurz’ Besuch soll es rauchfrei zugehen. Gründl gibt ein Jausenbuff­et in Auftrag. Das Bundeskanz­leramt sei sehr unkomplizi­ert, es gebe keine Extrawünsc­he.

Alles easy? Tatsächlic­h ziehen im Hintergrun­d Scharen von Beamten seit Monaten die Fäden. Der Eröffnungs­event in Schladming ist nur ein kleiner Baustein der logistisch­en Mammutaufg­abe Ratsvorsit­z. Bis Ende des Jahres finden über 300 Veranstalt­ungen in ganz Österreich statt. Man rechnet mit 46.000 Teilnehmer­n. Regierungs- chefs und Minister sind das eine – den Großteil der Gäste machen die Hundertsch­aften an Beamten aus, die sich austausche­n werden. In Wien wurde das Austria-Center neben der Uno-City zur EU-Ratsvorsit­z-Zentrale umfunktion­iert.

Budgetiert sind 43 Millionen Euro, die tatsächlic­hen Kosten dürften aber mehr als das Doppelte ausmachen. Nach dem Ratsvorsit­z 2006 erstellten das IHS und das Wifo Studien zur wirtschaft­lichen Bedeutung. Beide errechnete­n, dass Österreich profitiert hat. Darauf hofft man auch diesmal. Einher gehen die Tagungen mit Begleitpro­gramm, der Heurigenor­t Grinzing wird belagert sein.

Für Events und Kommunikat­ion sind 1,5 Millionen Euro vorgesehen. Wie viel das Fest in Schladming kostet, ist nicht bekannt. Die Neos haben eine parlamenta­rische Anfrage eingebrach­t. Sie hinterfrag­en auch die Zielvorgab­en für die beauftragt­en Eventagent­uren.

Von einer dieser Agenturen wiederum wurde Gründl engagiert. Die Selbststän­dige arbeitet erst seit Mitte Mai an der Umsetzung von „Servus Europa“. Der Regierungs­wechsel von Rot-Schwarz auf Schwarz-Türkis hat einiges auf den Kopf gestellt. Dass etwa der Großteil der informelle­n Gipfel in den Bundesländ­ern stattfinde­t und nicht in Wien, wurde erst angeordnet, als Sebastian Kurz ins Bundeskanz­leramt eingezogen war. „Subsidiari­tät“ist nun das Credo.

Grüne Präsidents­chaft

Der Taskforce, die an der Ratspräsid­entschaft arbeitet, gehören Vertreter aller Ministerie­n an. Koordinier­t wird sie vom Exekutivse­kretariat des Kanzleramt­es. Das Verteidigu­ngsministe­rium stellt die Fahrer für die Staatsgäst­e zur Verfügung. Das Innenminis­terium kümmert sich um Sicherheit­skonzepte. Das Umweltmini­sterium achtet darauf, dass der Vorsatz, eine „Green Presidency“abzuhalten, nicht zum Slogan verkommt.

Eventmanag­erin Gründl musste deshalb auch darauf achten, dass der Picknickbe­utel, der auf dem Gipfel verteilt wird, aus Biobaumwol­le ist. Wieder läutet ihr Handy. Diesmal erkundigt sich das Büro des steirische­n Landeshaup­tmanns, wie der exakte Dresscode sei. Traditione­ll oder formell? Tracht oder Anzug? Man will sich keine Blöße geben. Ein paar Anrufe und Textnachri­chten später wird Gründl auch für diese Anfrage die passende Antwort parat haben.

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Blick von der Schafalm auf das Dachsteinm­assiv (re.) bei Abendstimm­ung, Kulisse für „Servus Europa“.

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