Gewerkschafter drohen
Vor der entscheidenden Parlamentssitzung zum Zwölfstundentag diese Woche wird der Ton zwischen Gewerkschaften und Regierung rauer. In zahlreichen Betriebsversammlungen wollen Gewerkschafter ihren Unmut gegen die neue Regelung zum Ausdruck bringen.
Vor dem Beschluss des Zwölfstundentags wird der Ton zwischen Gewerkschaften und Regierung rauer.
Nach der Großdemonstration gegen die Reform des Arbeitszeitgesetzes mit je nach Perspektive 100.000 ( ÖGB) oder 80.000 Teilnehmern (Polizei) geht der Protest der Arbeitnehmerverbände zu Wochenbeginn weiter. Der Fokus richtet sich dabei zusehends auf innerbetriebliche Maßnahmen.
Am Montag werden bei der ÖBB Betriebsversammlungen zum Zwölfstundentag abgehalten. Dadurch dürfte es zu Zugausfällen und Verspätungen kommen. Die Eisenbahnergewerkschaft will die Versammlungen im Laufe des Vormittags so abhalten, dass möglichst viele Bedienstete „informiert“werden können. Die Produktionsgewerkschaft Pro-Ge wird ab Montag unter anderem an den Standorten der Voestalpine, bei Böhler, der OMV und der Andritz AG Betriebsversammlungen durchführen.
Die Gewerkschaften wollen damit vor der entscheidenden Parla- mentssitzung am Donnerstag Druck auf die türkis-blaue Regierung aufbauen. ÖVP und FPÖ haben einen Initiativantrag im Nationalrat eingebracht, der die strikten Voraussetzungen, unter denen bisher zwölf Stunden gearbeitet werden darf, aufweicht. ÖVP und FPÖ haben sich im Parlament darauf festgelegt, dass die Beschlussfassung am Donnerstag erfolgen soll.
Die Fronten scheinen sich dabei weiter zu verhärten. Die Betriebsversammlungen in den Unternehmen werden nur unterbrochen, können also jederzeit wieder fortgesetzt werden. Vor allem die ProGe macht Druck: Die Produktionsgewerkschaft kündigt an, sich über die Kollektivvertragsverhandlungen im Herbst alles zurückzuholen, was Arbeitnehmern genommen wird.
Die FPÖ attackierte am Sonntag die Gewerkschaften. „Bevor die letzten Mohikaner von Gewerkschaft und Sozialismus zum Sturz der Regierung aufrufen und damit auch Tür und Tor für Auseinandersetzungen abseits des Bogens des demokratischen Diskurses öffnen, sollen diese besser wieder rasch ihr rotes Kriegsbeil begraben“, forderte der freiheitliche Generalsekretär Harald Vilimsky.
Der Grund für seine Kritik war eine Aussage des Vorsitzenden der Postgewerkschaft, Helmut Köstinger, bei seiner Rede am Heldenplatz im Zuge der ÖGB-Demo. Köstinger hatte vor zehntausenden Zuhörern dazu aufgerufen, die „unsoziale“Regierung zu „stürzen“. Der Postgewerkschafter wurde gleich darauf vom ÖGBChef Wolfgang Katzian korrigiert. Katzian wies in seiner Rede ausdrücklich daraufhin, dass der ÖGB natürlich jede gewählte Regierung akzeptiere – aber eben nicht jede Maßnahme.
Davor hatte sich schon ÖGBVize Norbert Schnedl von Köstinger distanziert. Der Chef der Christgewerkschafter betonte bei seiner Ansprache auf dem Heldenplatz, er sei nicht dafür da, die Regierung zu stürzen, sondern um die Arbeitsbedingungen der Beschäftigen zu verbessern. Ansonsten zeigte sich aber auch der schwarze Gewerkschafter durchaus entschlossen – er forderte den Ausbau der Sozialpartnerschaft und glaubt an die Durchschlagskraft der Gewerkschaft: „Die kommende Dekade ist die Dekade der Gewerkschaften.“
Gewerkschaftsbund-Chef Katzian hatte zum Abschluss der ÖGB-Großkundgebung gegen die Ausweitung der Höchstarbeitszeit von der Regierung ein Referendum zum Zwölfstundentag gefordert: „Fragt das Volk“, forderte der ÖGB-Präsident die Koalition auf. Katzian betonte in seiner Rede, dass die Demonstration am Wochenende erst der Anfang der Proteste sei und definitiv nicht das Ende.
Für österreichische Verhältnisse wird der Konflikt rund um den Zwölfstundentag ungewöhnlich scharf ausgetragen. Die Gewerkschaft droht mit „Arbeitskampf“, sollten Zuschläge für Überstunden als Folge der türkis-blauen Reform des Arbeitszeitgesetzes wegfallen. Der ÖGB sieht sich in seinem Kurs gestärkt, nachdem am Samstag trotz Urlaubszeit bis zu hunderttausend Menschen dem Protestaufruf der Gewerkschaften gefolgt waren.
Läuft alles auf Streiks im Zuge der Lohnverhandlungen im Herbst hinaus? Droht das Ende der Sozialpartnerschaft? Die Ausgangslage spricht dagegen. Die Drohung mit Streik kann die Gewerkschaft nur dort umsetzen, wo sie sich stark fühlt. Das ist im produzierenden Gewerbe der Fall, wo Mitgliederdichte und Entschlossenheit beim ÖGB hoch sind. Gerade in der österreichischen Industrie, bei den Maschinenbauern, Pkw-Zulieferern und Stahlverarbeitern läuft es rund, 2018 und 2019 könnte es so weitergehen.
Solange der Erfolgslauf anhält, spricht viel dafür, dass die Unternehmer in der Industrie wenig Interesse an einem Konflikt mit dem ÖGB wegen der Überstundenentlohnung haben und man sich rasch einigt. Durchschlagen wird das neue Arbeitszeitgesetz in Branchen, in denen die Gewerkschaften schwach aufgestellt sind wie im Handel oder dort, wo es schlecht läuft. Dort werden die Gewerkschafter den offenen Konflikt scheuen, dort könnte das Muskelzeigen bloße Drohgebärde bleiben.