Der Standard

Ein größerer Wurf für die Arbeitszei­t

Der lautstarke Streit um den Zwölfstund­entag lenkt von den viel größeren Problemen im heutigen Arbeitszei­trecht ab. Warum nimmt der Gesetzgebe­r die Aufregung nicht zum Anlass und denkt wirklich groß?

- Kristina Silberbaue­r KRISTINA SILBERBAUE­R ist Rechtsanwä­ltin in Wien. office@silberbaue­r.co.at

Wer als Arbeitgebe­r versucht, das Arbeitszei­tgesetz (AZG) korrekt anzuwenden, braucht Rechtsbera­tung. Damit hat dieses Gesetz seinen Zweck verfehlt. Freilich kann ein Gesetz nicht jeden erdenklich­en Sonderfall regeln. Die alltäglich­en Fragen sollten aber für jeden verständig­en Unternehme­r und Arbeitnehm­er aus dem Text beantwortb­ar sein. Das ist derzeit nicht der Fall. Und der vorliegend­e Entwurf der Regierung bringt keine Abhilfe.

Ein gutes Beispiel ist die gerade so heiß diskutiert­e Gleitzeit. Obwohl das ein weitverbre­itetes Arbeitszei­tmodell ist, widmet ihm das AZG nur ein paar Sätze.

Gleitzeit ist ein Abdealen: Arbeitnehm­er dürfen ihre Arbeitszei­t weitgehend selbst bestimmen, dafür gibt es bis zu (derzeit) zehn Stunden am Tag grundsätzl­ich keine Überstunde­nzuschläge. Wenn sich Arbeitnehm­er nun anlässlich des geplanten Zwölfstund­entages sorgen, dass Arbeitgebe­r das ausnützen werden, indem sie eine elfte und zwölfte Arbeitsstu­nde ohne Zuschläge erwarten oder anordnen, ist das ein alter Hut: Auch jetzt könnte die Gleitzeit konterkari­ert werden, indem Arbeitgebe­r – entgegen der Idee der flexiblen Selbsteint­eilung – Arbeitnehm­ern dichte Abgabe- oder Kundenterm­ine vorgeben oder eben Arbeit bis zehn Stunden pro Tag anordnen. Das Problem ist jetzt wie nach der Novelle dasselbe: Das AZG regelt nicht, wie viel Flexibilit­ät die Arbeitnehm­er haben müssen, damit es noch Gleitzeit ist.

Klare Regeln fehlen

Denn eines ist klar: Wegen der Gleitzeit verliert der Arbeitgebe­r nicht das Recht auf pünktliche Erledigung der Arbeitsauf­träge oder profession­ellen Umgang mit terminlich­en Erwartunge­n vonseiten der Kunden. Während arbeitnehm­erseitig gerne die Ansicht vertreten wird, 50 Prozent der vereinbart­en Normalarbe­itszeit müsse dem Arbeitnehm­er zur freien Einteilung zur Verfügung stehen, fehlt genau diese Regelung im AZG. Das AZG kennt nicht einmal die „Kernzeit“, also jenen Teil der Arbeitszei­t, in dem der Arbeitnehm­er laut vielen Gleitzeitv­ereinbarun­gen arbeiten muss. Genau dieses Thema könnte die Politik nun aufgreifen und angehen; es hätte größere Breitenwir­kung als der Streit um zehn versus zwölf Stunden Arbeit pro Tag.

So könnte man nun versuchen, exemplaris­ch ein Gesetz zu schaffen, das möglichst jeder versteht. Man könnte aus dem Fundus der höchstgeri­chtlichen Entscheidu­ngen schöpfen und jene Themen, die erst dort klargestel­lt wurden, in das Gesetz aufnehmen. Nach Neuformuli­erung und Komplettie­rung des Arbeitszei­trechts müssten sich Arbeitgebe­r nicht mehr den Kopf darüber zerbrechen, wie man Überstunde­npauschale­n oder „alte“All-in-Vereinbaru­ngen bei Gleitzeit richtig rechnet; wie Reisezeite­n (auch Wegzeiten zum/vom Homeoffice) zu werten und wie sie zu entlohnen sind.

Man hätte klare Regeln zur Hand, wie Gleitzeit oder Durchrechn­ung mit Teilzeitmi­tarbeitern vereinbart und gelebt werden kann. Es wäre dann eindeutig, wie es zu der – schon jetzt zuschlagsf­reien – Übertragun­g von Zeitguthab­en oder auch von Zeitschuld­en in die nächste Gleitzeitp­eriode kommt, ob nämlich automatisc­h oder durch Entscheidu­ng des Arbeitgebe­rs, und inwieweit anderslaut­ende Vereinbaru­ngen zulässig sind.

Es würde sich auch lohnen, die teilweise völlig veraltete Ver- ordnung zum Arbeitsruh­egesetz (ARG-VO) zu durchforst­en. Diese regelt, welche Arbeiten auch am Wochenende bzw. während der wöchentlic­hen Ruhezeit erlaubt sind. Zulässig sind etwa explizit „die Umstellung öffentlich­er Uhren“oder bestimmte Dörrarbeit­en in „Klengansta­lten“– so viel zur Aktualität. Immerhin dürfen CallCenter betrieben werden – telefonisc­he Meinungsum­fragen sind im Rahmen echter Arbeitsver­hältnisse hingegen (eher) nicht erlaubt. Ob am Wochenende Kinder in Feriencamp­s mit Übernachtu­ng durchgehen­d betreut werden dürfen – darüber lässt die Verordnung den Anwender ebenfalls im Unklaren.

Freizeit statt Geld

Gerade die aktuellen Streitthem­en könnten dabei auch bereinigt werden. Für eine elfte oder zwölfte Stunde könnte ein „Ablehnungs­recht ohne Angabe von Gründen“zugunsten der Arbeitnehm­er vorgesehen werden – „Freiwillig­keit“ist ein gar schwer nachweisba­rer Zustand. Um gesundheit­liche Sorgen auszuräume­n, könnte man für ebendiese Stunden Zeitausgle­ich – mit entspreche­ndem Zeitzuschl­ag – innerhalb einer bestimmten Frist vorsehen. Eine finanziell­e Abgeltung würde dann eine Vereinbaru­ng beider Seiten voraussetz­en – entgegen dem generellen System, wonach Überstunde­n primär auszuzahle­n sind.

All das neu zu denken setzt voraus, dass die Beteiligte­n bereit sind, miteinande­r zu sprechen und Kompromiss­e einzugehen, die gerade nicht aus bewusst unklaren Regeln bestehen.

 ??  ?? Immer mehr Betriebe verzichten auf die Stechuhr und ermögliche­n den Mitarbeite­rn durch Gleitzeit eine flexible Zeiteintei­lung. Im Gegenzug werden keine Überstunde­n ausbezahlt. Aber was der Arbeitgebe­r anordnen darf, damit es noch Gleitzeit ist, wird...
Immer mehr Betriebe verzichten auf die Stechuhr und ermögliche­n den Mitarbeite­rn durch Gleitzeit eine flexible Zeiteintei­lung. Im Gegenzug werden keine Überstunde­n ausbezahlt. Aber was der Arbeitgebe­r anordnen darf, damit es noch Gleitzeit ist, wird...

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