Queere Flirts mit Gefahrenpotenzial
Wenn der Teufel mit der Liebe spielt: Die Nurejew-Ballett-Gala zum Saisonabschluss in der Staatsoper
Wien – Die Liebe ist immer noch das ultimative Abenteuer. Eine Reise in ein Utopia der Gefühle, das im Ritterstand des Mittelalters als Hohe Minne und seit dem Aufbruch der Moderne als romantische Liebe gilt. Wie die alten Muster der Liebe gehäkelt sind, zeigt sich auch im Ballett – etwa in der Nurejew-Gala, die seit 2011 am Spielzeitabschluss des Wiener Staatsballetts im Opernhaus am Ring zelebriert wird.
Wer diesen jedes Mal anders gestalteten Abend als Leistungs- schau der Compagnie genießt, kommt trotz der Überlänge von vier Stunden unter Garantie auf seine Rechnung. Die Tänzer zeigten sich von ihren besten Seiten, und Manuel Legris, der Rudolf Nurejew seine Traumkarriere als Tänzer verdankt, kann heuer aus dem Vollen schöpfen: Nurejew wäre dieses Jahr 80 geworden, aber auch der Geburtstag des Choreografengenies Marius Petipa jährt sich zum 200. Mal.
Im Mittelpunkt stand Frederick Ashtons Marguerite and Armand, nach Alexandre Dumas’ Roman Die Kameliendame. Ashton hatte das Stück vor 55 Jahren für Rudolf Nurejew und Margot Fonteyn geschaffen, am Freitag tanzten die Gäste Marianela Nuñez und Vadim Muntagirov: Liebe zwischen Tugendterror und romantischem Aufbegehren – ein Thema, das bestens in die Sixties des vorigen Jahrhunderts passte.
Dazu in abgründigem Verhältnis stand Petipas ebenfalls 1848 uraufgeführtes Ballett Satanella, das noch nie in Wien gezeigt worden ist. Das Buch hinter diesem Spiel zwischen Teufel und jungem Mann, Le Diable amoureux (1772), stammt von Jacques Cazot- te und zählt zum Urgestein der heutigen Fantasyliteratur. In dem für die Gala ausgewählten Pas de deux Venezianischer Karneval tanzten brillant Kiyoka Hashimoto und Mihail Sosnovschi zur Musik von Cesare Pugni.
Hashimotos Interpretation des in Gestalt der schönen Biondetta auftretenden Leibhaftigen zeigte eine queere Figur. Es wäre wirklich spannend, einmal das gesamte Ballett zu sehen. Zwischen der von Ashton ins 20. Jahrhundert gezogenen Marguerite und Petipas Biondetta spannte sich der Tanz am Abgrund der romanti- schen Liebesspiele, die von George Balanchine – etwa in der Valse fantaisie (Natascha Mair, Jakob Feyferlik) oder bei Jewels (Olga Smirnova, Semyon Chudin) – in abstrahierte Formen verwandelt wurden.
Legris selbst tanzte in Roland Petits Le Rendez-vous einen Mann, dem von seinem nächtlichen Flirt (Isabelle Guérin) die Kehle durchgeschnitten wird. Und von John Neumeier stammte Opus 100, eine Hommage auf die Männerfreundschaft. Nach dem Schlussapplaus wurde Legris zum Ehrenmitglied der Staatsoper ernannt.