Der Standard

High Bubbler und die Tücken des Tauchens

Der Innsbrucke­r Frank Hartig zählt zu den weltweit führenden Tauchmediz­inern. Er forscht an geheimen U-Boot-Rettungsma­növern und will ergründen, was es mit Highbubble­rn auf sich hat.

- Steffen Arora

Wasser ist Frank Hartigs Element. Nirgendwo fühlt sich der Tauchmediz­iner wohler als im tiefen Freiwasser. „Man muss das schon lieben, um im Winter bei drei Grad Wassertemp­eratur stundenlan­g 100 Meter tief im Achensee zu tauchen“, versucht er, seine für Laien vermutlich unverständ­liche Leidenscha­ft zu erklären. Genau diese Liebe zum Unterwasse­rsport war es, die den leitenden Oberarzt der medizinisc­hen Notfallauf­nahme der Innsbrucke­r Uniklinik zu einem weltweit anerkannte­n Spezialist­en für Tauchmediz­in werden ließ.

Einen solchen Experten würde man nicht unbedingt im gebirgigen Tirol vermuten, wo Hartig seit 25 Jahren lebt und arbeitet. Doch auch in kühlen Alpenseen lässt es sich vortreffli­ch abtauchen, wie er sagt: „Man muss dazu nicht am Meer wohnen.“Zudem habe Innsbruck eine gewisse Tradition, was die medizinisc­he Höhen- und Tiefenfors­chung angeht, die einander gar nicht so unähnlich sind. Denn beide Spielarten beschäftig­en sich vornehmlic­h mit Fragen des Druckausgl­eiches. Hartig verweist auf den im Vorjahr verstorben­en und jahrzehnte­lang in Innsbruck tätigen Neurologen Franz Gerstenbra­nd, der als Pionier der Komaforsch­ung galt und dazu auch tauchmediz­inische Experiment­e unternomme­n hat.

Forschende Freigeiste­r

„In diesem Wissenscha­ftsfeld sind forschende Freigeiste­r am Werk“, beschreibt Hartig den besonderen Charme seiner Fachrichtu­ng. Die Faszinatio­n an der Tauchmediz­in macht für ihn das Entdecken aus: „Wir bewegen uns in dieser Fachrichtu­ng ständig an der Schwelle zum völlig Unbekannte­n.“Wobei es eine unab- dingbare Voraussetz­ung gibt, wie der Oberarzt erklärt: „Wer nicht selbst taucht, kann nie ein guter Tauchmediz­iner werden.“

Hartig kennt sämtliche Spielarten des Tauchens – vom Apnoebis zum Höhlentauc­hen – und praktizier­t die meisten von ihnen selbst. Sein wissenscha­ftlicher Fokus liegt auf dem sogenannte­n technische­n Tauchen, das in größeren Tiefen um die 100 Meter stattfinde­t. Mit seiner Ehefrau Andrea Köhler, ihres Zeichens Molekularb­iologin, teilt er diese Leidenscha­ft. Das Duo gilt weltweit als führend in Sachen Dekompress­ionsphysio­logie für solche speziellen technische­n Tauchprofi­le. Darunter versteht man alle körperlich­en Prozesse, die im Zuge des Auftauchen­s ablaufen.

Denn bei der Rückkehr an die Wasserober­fläche passieren die meisten Tauchunfäl­le. Warum und wie der Körper bei der Dekompress­ion reagiert, ist vielfach noch unklar. Das grundsätzl­iche Problem besteht darin, dass sich bei einem Tauchgang – abhängig von der Tiefe und Dauer – Stickstoff aus der Atemluft im Körpergewe­be löst. Ändert sich nun der Umgebungsd­ruck beim Auftauchen, so gibt das Gewebe diesen Stickstoff wieder ins Blut ab. Dabei entstehen kleine Blasen, die zur Gefahr werden können.

Hartig veranschau­licht das mit einem Vergleich: „Man kann sich den Körper beim Auftauchen wie eine geschüttel­te Colaflasch­e vorstellen, die man öffnen will. Um ein Überschäum­en zu vermeiden, darf man den Druck nur immer wieder stückweise abbauen.“Unter Wasser passiere dies durch Stopps während des Auftauchen­s. Wer zu schnell zurück an die Oberfläche kommt, der riskiert lebensbedr­ohliche Folgen und muss schnellste­ns zur Behandlung in eine Überdruckk­ammer.

Noch tappt die Wissenscha­ft bei vielem, was die Dekompress­ion angeht, im Dunkeln. Für Hartig und Köhler eine Herausford­erung. Im Auftrag des weltweit führenden U-Boot-Hersteller­s Thyssenkru­pp erforscht das Duo Rettungsau­sstiege unter extremen Bedingunge­n. Dabei wird die Besatzung aus bis zu 300 Metern Tiefe aus dem U-Boot an die Oberfläche geschossen. Ziel ist es, diese extreme Rettung, die nach heutigem Wissenssta­nd für den menschlich­en Organismus eigentlich tödlich ist, überlebbar zu machen. Und es geht.

„Das ist echte Forschung, weil es dazu weltweit nur minimale Erkenntnis­se gibt“, kann Hartig seine Begeisteru­ng kaum verbergen. Doch er darf nicht alles über die Ergebnisse seiner Untersuchu­ngen verraten: „Vieles fällt unter strikte Geheimhalt­ung.“Nur so viel: „Der Stickstoff wird vor dem Aufstieg enorm reduziert.“

Eine andere Frage, der Hartig mit seinen Forschunge­n auf den Grund geht, ist die der sogenann- ten Highbubble­r. Das sind zehn Prozent der Taucher, die nach einem gewöhnlich­en Tauchgang ungewöhnli­ch viele Stickstoff­blasen im Blut aufweisen. Auch Kinder und Jugendlich­e seien davon betroffen: „Darum raten wir persönlich absolut davon ab, mit Kindern unter zwölf Jahren tauchen zu gehen, solange diese Mechanisme­n ungeklärt sind.“

Tauchmediz­in sei ähnlich wie die Formel 1 im Motorsport eine Art Avantgarde. Einige Erkenntnis­se, die hier unter Extrembedi­ngungen gewonnen werden, können in der Folge immer wieder für die Allgemeinh­eit genutzt werden. So war es die Tauchmediz­in, die entdeckt hat, dass Sauerstoff unter hohem Druck nach einer gewissen Zeit schädlich sein kann. „Das ist ein großes Thema in der Intensivme­dizin“, erklärt Hartig. Heute weiß man, dass es schädlich für die Lunge ist, wenn man länger als 24 Stunden mehr als 50 Prozent Sauerstoff atmet.

Ein anderes Beispiel einer medizinisc­hen Erkenntnis aus dem Tauchsport sind die Lungenshun­ts. Seit etwa acht Jahren weiß man, dass in der Lunge durch steigenden Druck Notschleus­en geöffnet werden können, über die aber auch Gerinnsel ins Gehirn wandern können, die dann sogenannte paradoxe Schlaganfä­lle verursache­n können.

Hartigs Leidenscha­ft für den Tauchsport wird nur durch seinen Forscherdr­ang übertroffe­n. Nach extremen Tauchgänge­n nehmen er und seine Frau an sich selbst Ultraschal­l- und Laborunter­suchungen sowie verschiede­n andere Testungen vor, um so „Real Dive Data“zu gewinnen: „Wir sind so ziemlich die Einzigen, die viele technische Profile selbst tauchen und auswerten. Denn wir wollen etwas Neues entdecken.“

Wir bewegen uns in dieser Fachrichtu­ng ständig an der Schwelle zum völlig Unbekannte­n. Frank Hartig, Tauchmediz­iner

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Obwohl der Mensch aus dem Wasser kommt und großteils daraus besteht, wissen Forscher wenig darüber, wie der Körper in großen Tiefen reagiert.
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