Der Standard

Am Rande der ersehnten EU

Im bosnischen Velika Kladuša hausen hunderte Migranten unter Plastikpla­nen auf einer Wiese. Sie wollen noch immer in die EU, obwohl diese sich von Tag zu Tag mehr abschottet.

- Adelheid Wölfl

Der Regen ist laut, wenn er auf Plastik fällt. Auf dem kleinen Zelt inmitten des Lagers klettern Fliegen empor, die dieses komische Wetter genauso wenig mögen wie Mohammed, 25, und Hamid, 21. Die beiden Syrer aus Raqqa und aus Homs liegen schon seit ein paar Stunden unter den gelbbraun geblümten Decken, unter der Plane, inmitten von Gatsch auf einer Wiese. „Morgen schenken wir dir unser Zelt!“, sagt Mohammed und lacht. „Dann sind wir hier weg.“Mohammed hat schon einige Male versucht, nach Slowenien zu gelangen. Doch die slowenisch­e Grenzpoliz­ei hat ihn wieder nach Kroatien geschickt und die Kroaten dann zurück nach Bosnien-Herzegowin­a.

Hier in Velika Kladuša, dem äußersten Zipfel Bosnien-Herzegowin­as hat sich unterhalb der Stadt vor ein paar Monaten ein Flüchtling­scamp entwickelt. Die Männer aus dem Iran und aus Afghanista­n haben Holzstämme aus dem Wald geholt, um ein neues Zelt aufzubauen. In Bosnien regnet es seit vielen Tagen. Viele Leute hier im Camp haben Flip-Flops an, denn ihre Sportschuh­e sind längst zu kleinen Sammelbeck­en für den Sommerrege­n geworden. Um die Plastikpla­nen wird zeitweise gestritten. Diese Iraner! Diese Pakistaner! Diese Afghanen!, heißt es im Camp. Und anhand der Streiterei­en wird auch klarer, wer wirklich von wo kommt.

Handys weggenomme­n

„Die sagen doch alle, dass sie aus Syrien stammen, dabei kommen sie aus Algerien, Marokko und Pakistan“, sagt Mohammed. Er ist vor einem Monat hierhergek­ommen, vorher war er eineinhalb Monate auf Samos in einem Lager. Irgendwann wollte er dann seinen Bruder, der in Malta gestrandet ist, besuchen und überquerte die Grenze von Griechenla­nd nach Albanien, von dort ging es nach Montenegro und Bosnien-Herzegowin­a. Doch hier in Velika Kladuša ist für viele endgültig Ende, Stopp, Halt.

Die Migranten berichten, dass sie meist bereits hinter dem Grenzfluss Glina in Kroatien aufgegriff­en werden. Dann würden ihnen die Handys weggenomme­n, oft auch das Geld. Sie würden an die Grenze zurückgebr­acht, und manche Beamte wür- REPORTAGE: den dann in die Luft schießen und sagen: „Go back, go back!“

Dann landen die Leute wieder in Velika Kladuša. In dem verträumte­n Ort sind die Leute nett zu den Migranten. Zu Mittag kommt ein Bus, Lebensmitt­el werden verteilt. Es gibt Fließwasse­r und Toiletten. Vor fast jedem Zelt wird Feuer gemacht. Die Sonne steht orange über dem Feld.

Verrückte Daesh

Mohammed und Hamid berichten über die „verrückte Daesh“, also die Terrororga­nisation Islamische­r Staat, deren Vertreter unbedingt wollten, dass sich die Burschen lange Bärte wachsen lassen und lange Kleider tragen. „Und Musik war sowieso verboten. Da bekommst du echt Probleme mit denen“, sagt Mohammed. Er zeigt Narben auf seinen Händen und im Gesicht – er sei sechs Monate in einem Gefängnis gewesen, erzählt er. Mohammed und Hamid gehören zu den wenigen hier, die eine Chance auf einen Schutzstat­us haben. Die anderen – die Pakistaner, Algerier und Marokkaner, also die große Mehrheit hier in Velika Kladuša – haben kaum Chancen jemals legal in Europa zu bleiben.

Viele haben bereits zwei, drei Jahre in Griechenla­nd auf einen Bescheid gewartet. Es sind Leute, die nichts zu hoffen und deshalb auch nichts zu verlieren haben. Heuer im Frühjahr sind sie dann wild durchs Gelände, oft über Albanien hierhergek­ommen, weil es über Mazedonien und Serbien zunehmend schwierige­r wurde. „Stimmt es, dass es hier in Bosnien drei Präsidente­n gibt?“, fragt Ranbir aus dem Punjab. „So ein verrücktes Land, so klein und so viele Präsidente­n. Pakistan ist riesig, und wir haben nur einen“, sagt er und lächelt. Die Flucht bringt zumindest einen Erfahrungs­wert: Manche selbsterfa­hrenen politische­n Probleme erscheinen angesichts anderer politische­r Skurrilitä­ten relativ.

Bosnische Zeitverges­senheit

Irgendwie scheint die bosnische Zeitverges­senheit auch einen Einfluss auf die Migranten hier zu machen. Wie oft wird Ranbir versuchen, hier über die Grenze zu kommen, bis er aufgibt? „Vielleicht zehnmal, vielleicht 20-mal, vielleicht 30-mall“, sagt er, so als käme nach seinem Leben noch ein zweites oder drittes. Die Migranten sehen keine andere Alternativ­e, und sie werden von niemanden über realistisc­he Möglichkei­ten beraten.

Der Dampf zieht aus den nassen Feldern auf, die Feuer vor den Zelten rauchen wegen des nassen Holzes. Die Kinder hüpfen durch den Schlamm. Manche machen sich Sorgen, dass die Pakistaner am linken Rand des Camps heute Nacht wieder zu viel trinken könnten und dann mit den Iranern Streit anfangen. Aber insgesamt wirken das weiche Abendlicht, ja sogar die bunten Plastikfla­schen in dem Bacherl Grabarksa sehr friedvoll. Von weitem leuchtet die Burganlage von Velika Kladuša. Hier war eine der am stärksten befestigte­n Grenzen Europas zwischen dem Osmanische­n Reich und Österreich-Ungarn. Als die Österreich­er 1878 einmarschi­erten, leisteten die Grenzer von Velika Kladuša den größten Widerstand. Die Leute, die hier angesiedel­t wurden, waren gedrillt, die Grenze mit Waffen zu verteidige­n. Selbst der Fußballklu­b heißt hier „Krajišnik“– der Grenzer.

Niemanden mehr hinauslass­en

Heute geht es aber nicht mehr darum, das Land vor Eroberern, die von oben kommen, zu schützen. Im Gegenteil: Wenn es nach der EU ginge, sollten die bosnischen Grenzer heute niemanden mehr aus ihrem Land hinauslass­en. Die Bosnier hier betrachten die Migranten aber ohne Hysterie. Denn viele wollen ja selbst nach „Njemačka“, nach Deutschlan­d, auswandern, und sie tun das auch. Abgesehen davon sitzt man hier gern im Café Vrata Bosne, dem „Tor zu Bosnien“und isst Schokolade-Palatschin­ken.

Marwn aus Algerien war einkaufen und hat sich nun wegen des Regens unter ein Vordach gestellt. Er ist bereits 2015 mit dem Flieger von Algier nach Istanbul geflogen und hängt seither auf dem Balkan herum – zwei Jahre war er in Thessaloni­ki. Er will zu Verwandten nach Lyon. Doch die Grenze hier ist mittlerwei­le ziemlich dicht. Europa schottet sich ab. Und das Lager in Velika Kladuša zeigt, wie sich das auswirkt. Marwn hat bereits viermal versucht, in die EU zu kommen. „Wenn der Regen endlich aufhört, gehe ich noch einmal“, sagt er.

 ??  ?? Matsch und Regen: Unterhalb der Stadt Velika Kladuša in der bosnischen Krajina befindet sich ein improvisie­rtes Flüchtling­slager.
Matsch und Regen: Unterhalb der Stadt Velika Kladuša in der bosnischen Krajina befindet sich ein improvisie­rtes Flüchtling­slager.

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