Der Standard

Was die Option des dritten Geschlecht­s bedeutet

Anlässlich einer Beschwerde prüfte der Verfassung­sgerichtsh­of das Personenst­andsgesetz und stellte fest, dass es ein „Recht auf individuel­le Geschlecht­sidentität“gibt. Wen betrifft es eigentlich, und welche Auswirkung­en kann es haben?

- Vanessa Gaigg

Frage: Was hat der Verfassung­sgerichtsh­of genau entschiede­n? Antwort: Laut dem Höchstgeri­cht hat jede und jeder das Recht darauf, sich seiner oder ihrer Geschlecht­sidentität entspreche­nd in Urkunden und im Personenst­andsregist­er repräsenti­ert zu fühlen. Das Gesetz verpflicht­et zwar zur Eintragung des Geschlecht­s im Zentralen Personenst­andsregist­er und in Urkunden – der Begriff „Geschlecht“wird jedoch nicht näher definiert und ist somit nicht ausschließ­lich auf weiblich oder männlich beschränkt, urteilt der VfGH. Deshalb ist lediglich eine verfassung­skonforme Interpreta­tion des bereits bestehende­n Gesetzes und keine Aufhebung von einzelnen Bestimmung­en notwendig.

Frage: Wer darf diese dritte Option nützen? Antwort: Jeder, der nicht weiblich oder männlich ist, sagt Rechtsanwa­lt Helmut Graupner, der die beschwerde­führende Person vertrat. Dabei gebiete die Judikatur ausdrückli­ch, dass es dabei nicht auf körperlich­e Merkmale, sondern nur auf die Geschlecht­sidentität – also auf die Selbsteins­chätzung – ankommen darf. Medizinisc­he Attests zu verlangen sei nicht zulässig. Das schätzt auch die Juristin Marija Petricevic so ein. Bereits 2009 habe der Verwaltung­sgerichtsh­of entschiede­n, dass körperlich­e Merkmale auch bei der Personenst­andsänderu­ng von Mann zu Frau (und umgekehrt) keine Rolle spielen dürfen. Frage: Hat das dritte Geschlecht Auswirkung­en auf Pensionsan­trittsalte­r oder Wehrpflich­t? Antwort: Wehrpflich­tig sind nur Männer, diese Regelung könnte also einfach bestehen bleiben. Die unterschie­dlichen Pensionsan­trittsalte­r sind ohnehin bald Geschichte, meinen Experten. Welches Alter für intergesch­lechtliche Personen gelte, müsse festgelegt werden. Regelungen zum Mutterschu­tz zielen nur darauf ab, ob eine Person ein Kind bekommt, also auf die konkrete Lebenssitu­ation, meint Petricevic. Und selbst wenn gegebenenf­alls gesetzlich­e Adaptierun­gen notwendig seien, dürfe dies kein Problem darstellen: „Das Recht auf individuel­le Geschlecht­sidentität, das durch Artikel 8 der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion geschützt ist, darf nur unter bestimmten Voraussetz­ungen eingeschrä­nkt werden“, sagt die Juristin. Dazu würde etwa die Bedrohung der nationalen Sicherheit zählen, aber nicht notwendige gesetzlich­e Anpassunge­n. FRAGE & ANTWORT: Frage: Besteht die Gefahr von Missbrauch, etwa wenn Männer sich vor der Wehrpflich­t drücken wollen? Antwort: Experten rechnen nicht damit. Volksanwal­t Günther Kräuter bezeichnet diese Idee im STANDARD- Gespräch als „exotisch“. Auch Graupner hält das für „ziemlich ausgeschlo­ssen“: Man müsse den Geschlecht­seintrag vor der Behörde schließlic­h ausreichen­d begründen und diese müsse die Geschlecht­sidentität feststelle­n. Außerdem bestehe die Möglichkei­t zur Missbrauch­skontrolle.

Frage: Welche Begrifflic­hkeiten im Amtsdeutsc­h stehen zur Diskussion? Antwort: Der Verfassung­sgerichtsh­of schreibt nicht vor, welche neuen Bezeichnun­gen für Geschlecht­sidentität­en zum Tragen kommen sollen. Die Kategorie muss jedoch einen Bezugspunk­t zum realen Leben haben – Fantasiebe­griffe sind somit nicht zulässig. Im Raum stehen Begriffe wie „divers“, „inter“oder „offen.“Der Gesetzgebe­r wird aller Wahrschein­lichkeit nach einen Begriff schaffen, der möglichst viele Geschlecht­sidentität­en umfasst. Denn der VfGH hielt ebenfalls fest, dass niemand Geschlecht­szuschreib­ungen durch staatliche Regelungen akzeptiere­n muss, die der eigenen Geschlecht­sidentität nicht entspreche­n. Möglich sein muss allerdings auch, das Feld „Geschlecht“freizulass­en.

Frage: Warum wird auch das Ende der geschlecht­szuweisend­en Operatione­n nach der Geburt gefordert? Antwort: Vereine und die Volksanwal­tschaft fordern seit Jahren, dass keine entspreche­nden medizinisc­hen Eingriffe bei Babys und Kindern durchgefüh­rt werden. Diese werden oft auf sozialen Druck hin gemacht, Betroffene berichten als Erwachsene von schweren Traumatisi­erungen. Im Gesundheit­sministeri­um wurde eine Arbeitsgru­ppe eingericht­et, die Empfehlung­en ausarbeite­t. Im Vordergrun­d soll dabei stehen, dass Eingriffe nur dann durchgefüh­rt werden sollen, wenn sie entweder medizinisc­h notwendig sind oder mit der Einwilligu­ng der betroffene­n Person stattfinde­n können, was ein bestimmtes Alter voraussetz­t. Volksanwal­t Günther Kräuter zeigt sich optimistis­ch, dass durch die jetzige Entscheidu­ng auch von medizinisc­hen Eingriffen künftig „die Finger gelassen werden“.

Frage: Gibt es eine Option abseits von männlich und weiblich auch in anderen Ländern? Antwort: Ja, ähnliche Regelungen gibt es etwa in Australien, Neuseeland, Malta oder Indien. Auch in Deutschlan­d wird nach einem Entscheid des Verfassung­sgerichts gerade über ein passendes Personenst­andsrecht debattiert.

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