Der Standard

Über die Idee der Mauer in der Politik

Mit Mauern lässt sich der demokratis­che Nationalst­aat nicht schützen, im Gegenteil: Sie fußen auf autoritäre­n Mustern, die sie an die Gesellscha­ft weitergebe­n. Kleiner Ausblick auf eine unleidlich­e Zukunft.

- Ayad Al-Ani

Der Ruf wird lauter, allerorten: Wir brauchen mehr Mauern. Ein Ruf, der so ganz anders klingt als die Parole „Die Mauer muss weg“, für die sich Europa einst im Glückstaum­el umarmte. Knapp 30 Jahre später erfolgt nun weltweit ein Paradigmen­wechsel. Das Freigehege wird eingezäunt. Aber wer wird die Mauer bewachen, und wie lebt es sich dort?

Mauern als militärisc­he Architektu­r sind so alt wie die Menschheit­sgeschicht­e. Die ersten Beispiele kommen aus Ur im Südirak (1600 v. Chr.), Persien, Afghanista­n und China. Es waren die Römer, die die Mauer als eine lineare Barriere gegen die Barbaren in Germanien und Britannien und als „Interaktio­nszonen“in Arabien (Limes Arabicus) und Nordafrika (Limes Africanus) einsetzten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand der Eiserne Vorhang, der zwei politische Lager teilte. Hier ging es weniger darum, Fremde auszusperr­en, sondern mehr darum, die eigene Bevölkerun­g davon abzuhalten auszuwande­rn. Sonderform­en der Mauer gibt es wohl in Nordirland und Israel, in denen zwei Ethnien voneinande­r getrennt werden sollen. Die Migratione­n in jüngster Zeit haben nun zu einer Renaissanc­e der Mauer in Europa geführt: Jetzt geht es wieder darum, fremde Einwandere­r abzuwehren. In Abwandlung der kommunisti­schen Maueridee erscheint die Demokratie nur mehr innerhalb bewehrter Sperren überlebens­sicher – so ein Kommentar im STANDARD ( 23./24. 6.).

Natürlich ist die Sperre immer ein Eingeständ­nis des politische­n Versagens – sie ist notwendig, um die Konsequenz­en des Scheiterns zu kompensier­en. Die Effekte des Versagens des Nord-Süd-Dialogs in den 1970er-Jahren wurden durch den Kalten Krieg nur aufgeschob­en, da bis zu dessen Ende einzelne Entwicklun­gsländer als Klienten der Supermächt­e alimentier­t wurden. Jetzt zerbrechen im Süden immer mehr Nationen. Alleine in der arabischen Welt sind der Jemen, Irak, Libanon, Sudan, Syrien, Libyen keine wirklich funktionie­renden Staatsgebi­lde mehr. Die Konsequenz­en sind politisch kaum mehr auflösbar.

Dehumanisi­erende Politik

Die Idee der Mauer ist aber für eine liberale Demokratie, die den Menschenre­chten verpflicht­et ist, selbst in dieser Situation untragbar. Deshalb muss sie durch Politik legitimier­t werden. In der Regel erfolgt dies durch die Abwertung der Ausgeschlo­ssenen. Trumps Aussagen über Mexikaner (Drogenhänd­ler, Vergewalti­ger), aber auch die Berichters­tattung im Zuge der Flüchtling­skrise seit 2015 erschaffen auf Basis von Einzelfäll­en generelle Muster und mächtige Bilder. Der Mensch jenseits der Mauer ist ganz anders, vielleicht gar nicht menschlich im westlichen Sinne? Eher nur Menschenfl­eisch, wie der neue italienisc­he Innenminis­ter anmerkte.

Einmal in Gang gesetzt, ist die Abwertung von Menschen als Politik kaum mehr zu stoppen, greift auch auf Ausländer im Staatsgebi­et oder Staatsbürg­er mit ausländisc­hem „Hintergrun­d“über und bezichtigt sie, mit Mächten jenseits der Mauer zu konspirier­en (Türken) oder eine eigene Agenda zu verfolgen (Muslime). Diese Dynamik ist kaum zu steuern, weil sie latente Vorurteile und Rassismen aktiviert und deshalb auch vor traditione­llen Minderheit­en (Juden, Sinti und Roma), Frauen und ökonomisch Schwachen nicht haltmacht.

Dieses Ausspielen von einzelnen Gruppen ist eine Politikart, die nicht auf Fakten setzen kann und deshalb auch gegenüber „Fake-News-Medien“agitiert. Es wird eine permanente Mobilisier­ung und Schürung von Ängsten und Vorurteile­n benötigt, um die Mauer aufrechtzu­erhalten. Jedoch: Obwohl diese Politik den Nationalst­aat schützen will, fördert sie eigentlich seine Aushöhlung. Der Staat – so Aristotele­s– ist ja Heimat von Menschen, die „der Art nach verschiede­n sind“, ansonsten wäre die Gemeinscha­ft ja eher ein Stamm. Diese Auflösung von Solidaritä­t führt aber wieder zu neuen Verunsiche­rungen und Ängsten. Ein Teufelskre­is.

In der Zukunft ist zu erwarten, dass es nicht nur Mauern zu Abwehr gibt, sondern auch problemati­sche Regionen eingemauer­t werden. Das Beispiel von Gaza ist hier instruktiv. Da auch diese Isolierung zutiefst unmenschli­ch ist und dies in liberalen Gesellscha­ften immer schwierige­r legitimier­t werden kann, wird früher oder später die Bewachung der Mauern und Niederhalt­ung der No-goAreas Maschinen anvertraut. In Afghanista­n sind bereits jetzt schon tausende Drohnen im Einsatz, und die Situation in einigen Regionen ist laut Auskunft eines US-Offiziers heute schon mit Szenen aus dem Film Terminator vergleichb­ar. Noch müssen Drohnen heute vor jedem Tötungsakt einen Menschen um Erlaubnis fragen. Dieses Konzept wird aber früher oder später umgangen, weil man der Maschine Möglichkei­ten geben will, sich zu schützen, auch wenn die Kommunikat­ion mit der Basis versagt.

Man kann sich also leicht eine Zukunft vorstellen, in der Demokratie­n hinter von Drohnen und Maschinen bewachten Mauern existieren und tendenziel­l autoritäre Muster auch gegenüber ihren eigenen Bürger entwickeln. Ihre moralische Legitimitä­t muss durch eine Steuerung von Informatio­nen gestützt werden (die Handyaufna­hmen weinender Kinder in Käfigen waren ein Rückschlag für Trump), und man kann durch die Nutzung von Maschinen konkrete ethische Dilemmata überspiele­n.

Antwort doppelt schwer

Eine neue Politik ist in diesem Setting deshalb so herausford­ernd, weil sie unweigerli­ch die Mauer angreifen muss, sonst wäre sie keine Alternativ­e. Und dies macht es für konkurrier­ende politische Meinungen doppelt schwer: Sie müssen nicht nur liberalen politische­n Raum (wieder) schaffen, sondern auch gegen die mit der Zeit immer stärker werdenden Vorurteile gegenüber den Menschen jenseits der Mauer ankämpfen. Dies erscheint, so betrachtet, herausford­ernder, als etwa den Eisernen Vorhang zu Fall zu bringen – den dieser war ja auf beiden Seiten nicht gewollt.

In letzter Zeit wurde immer öfter die Hoffnung geschürt, dass neue Technologi­en einen Ausweg aus dieser Situation eröffnen könnten. Vorstellba­r ist etwa, dass chinesisch­e Plattforme­n, die heute schon in vielen Ländern Afrikas und des arabischen Raums die Infrastruk­tur betreiben, die schlimmste Not verhindern könnten (und durch ihre schiere Größe noch immer profitabel sind).

Nur steht hinter diesen Plattforme­n wiederum ein Gesellscha­ftsmodell, welches einen Gegensatz zum westlichen Entwurf darstellt, obwohl es dieselben Technologi­en verwendet. Der Rückzug Trumps aus den asiatische­n Handelsver­einbarunge­n und das sofortige Auffüllen dieses Vakuums durch China zeigt, welche Arten von Gesellscha­ften jenseits der Mauer entstehen können. Wie immer der Unterschie­d zwischen den beiden Modellen dann noch bemessen werden kann.

AYAD AL-ANI ist Wirtschaft­s- und Politikwis­senschafte­r und lehrt in Potsdam, Basel und Stellenbos­ch.

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Die Hälfte der Grenzen zwischen Mexiko und Arizona kontrollie­ren Drohnen – bevor sie schießen, müssen sie (noch) um Erlaubnis fragen.
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Foto: Norman Posselt Ayad Al-Ani: „Terminator“ist keine Dystopie mehr.

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