Der Standard

Korrektur in Polen

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Die internatio­nalen Medien berichten fast täglich über gewalttäti­ge Angriffe auf Juden bzw. jüdische Einrichtun­gen in Frankreich und Schweden und auch über antisemiti­sche Handlungen muslimisch­er Migranten in Deutschlan­d. Die zahlreiche­n Berichte über den Judenhass der jungen Muslime dürfen allerdings nicht die Unterschät­zung der Gefahr des Wiederaufl­ebens des „klassische­n“Antisemiti­smus in Mittel- und Osteuropa zur Folge haben. Die saloppen Hinweise auf den Holocaust in den Reden mancher Würdenträg­er der rechtsradi­kalen Allianz für Deutschlan­d und die Verhöhnung der Opfer des Massenmord­es an Juden in Liederbüch­ern von Burschensc­haften in Österreich spiegeln den verlogenen Umgang mit der Vergangenh­eit. Dazu gehört auch die fast automatisc­he Verharmlos­ung solcher Vorfälle durch die rechtspopu­listischen Politiker.

Deshalb löste das Ende Jänner vom Warschauer Parlament beschlosse­ne und von Staatspräs­ident Andrzej Duda unterschri­ebene skandalöse Gesetz, welches für Hinweise auf eine polnische Mitschuld am NS-Verbrechen „zur Wahrung des guten Rufs Polens“eine Strafe von bis zu drei Jahren Haft vorsieht, vor allem in Israel und in den Vereinigte­n Staaten Empörung aus. Ursprüngli­ch ging es darum, die oft aus Ignoranz oder Gedankenlo­sigkeit auftauchen­de Bezeichnun­g „polnische Lager“für die von den deutschen Besatzern errichtete­n Vernichtun­gslager zurückzuwe­isen. Der von der rechtskons­ervativen, nationalis­tischen Regierungs­partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS) durchgepei­tschte Text wurde aber auch von un- abhängigen Wissenscha­ftern und Kommentato­ren als Versuch gewertet, das Reden über die Mitwirkung von Polen am Naziverbre­chen unter Strafe zu stellen.

Polen war vor allem ein Land der Opfer und des Widerstand­es. Das Ausmaß des Naziverbre­chens an der nichtjüdis­chen Bevölkerun­g war beispiello­s. Aus keinem Land sind so viele „Gerechte“, Judenrette­r, in der Gedenkstät­te Yad Vashem in Jerusalem registrier­t wie aus Polen. Zugleich ist aber die Diskussion über die Rolle jener Polen, die jüdische Flüchtling­e – aus Angst, aus judenfeind­lichen Vorurteile­n oder aus Geldgier – denunziert haben, bis heute ein Tabu geblieben. Erst das bahnbreche­nde Buch des amerikanis­chen Historiker­s jüdisch-polnischer Herkunft Jan Tomasz Gross über das Pogrom von Jedwabne (400 Tote) brach das lange Schweigen über das traurige Kapitel der polnischen Täter.

Das nicht nur im Ausland, sondern auch von der liberalen Opposition und gemäßigten konservati­ven Kreisen in Polen heftig kritisiert­e Gesetz wurde vorige Woche völlig überrasche­nd durch ein Eilverfahr­en im Parlament von der Regierungs­partei geändert und der umstritten­e Artikel über die Strafandro­hung gestrichen. Dieses von vielen extrem rechten PiS-Anhängern scharf kritisiert­e Zurückweic­hen vor den amerikanis­ch-israelisch­en Protesten wird von den Medien dem wachsenden Einfluss des pragmatisc­hen Ministerpr­äsidenten Mateusz Morawiecki zugeschrie­ben. Da gegen Polen (wie auch gegen Ungarn) ein EU-Verfahren wegen der Gefahr einer „schwerwieg­enden Verletzung der Rechtsstaa­tlichkeit“droht, lag die Bereinigun­g des Konflikts mit den USA und mit Israel im elementare­n Staatsinte­resse.

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