Der Standard

Juncker hält Grenzschut­zpläne für EU-konform

Österreich reagiert auf deutsche Asyleinigu­ng, Maßnahmen an Südgrenze

- Birgit Baumann aus Berlin

Wien/Berlin/Straßburg – Der von den deutschen Regierungs­parteien CDU und CSU vereinbart­e Asylkompro­miss, der unter anderem Transitzen­tren an der Grenze zu Österreich vorsieht, ist nach einer ersten Einschätzu­ng von EU-Kommission­spräsident JeanClaude Juncker mit europäisch­em Recht vereinbar. Laut der deutschen Einigung sollen Flüchtling­e künftig leichter nach Österreich zurückgesc­hickt werden können, wofür mit der Regierung in Wien aber eine Vereinbaru­ng geschlosse­n werden müsse. Noch gibt es eine solche nicht.

Kanzler Sebastian Kurz erklärte am Dienstagab­end, dass Österreich auf alle Szenarien vorberei- tet sei, um „Schaden von der Republik abzuwenden“. Österreich werde auf nationale Maßnahmen der Deutschen mit Maßnahmen an der Südgrenze reagieren.

Der italienisc­he Innenminis­ter Matteo Salvini begrüßt Österreich­s Pläne zur Schließung der Südgrenze. Er sei bereit, „schon ab morgen auf italienisc­her Seite BrennerKon­trollen einzuführe­n, davon kann Italien nur profitiere­n“.

Der deutsche Innenminis­ter Horst Seehofer will am Donnerstag nach Wien kommen, um die Details des neuen Grenzmanag­ements zu besprechen. (red)

Einen kleinen Hinweis darauf, wie sie sich künftig die Zusammenar­beit zwischen CDU und CSU vorstelle, wollte sich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel am Dienstag nicht verkneifen. Sie hoffe, dass man jetzt „eine ruhige Arbeitsmet­hode“an den Tag lege, sagte sie vor der CDU-Fraktion im Bundestag.

Dafür gab es spontanen Applaus. CSU-Chef und Innenminis­ter Horst Seehofer, der auch gekommen war, erhielt hingegen keinen Beifall. So mancher in der Fraktion hatte schon nicht mehr damit gerechnet, ihn dort zu sehen. Schließlic­h war Seehofer nur einige Millimeter vor dem Rücktritt gestanden. Doch dann rettete ihn der Kompromiss mit Merkel.

Dieser sieht Transitzen­tren an der österreich­isch-deutschen Grenze für Flüchtling­e vor, die schon in einem anderen EU-Staat registrier­t worden sind, aber nach Deutschlan­d einreisen wollen. Wo genau die Zentren in Bayern stehen und wie sie aussehen werden, ist noch unklar.

Orientiere­n will man sich dabei am sogenannte­n „Flughafenv­erfahren“. Diese Sonderrege­lung im Asylrecht wird an den Airports Berlin-Schönefeld, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg und München praktizier­t. Die Besonderhe­it: Betroffene kommen in einen Transitber­eich und betreten quasi die Bundesrepu­blik Deutsch- land gar nicht. Das Verfahren läuft dann nach dem „Unverzügli­chkeitsgru­ndsatz“.

Das bedeutet: Antrag auf Asyl, positiver Bescheid oder Ablehnung – und im zweiten Falle Berufung erfolgen sehr rasch. „Damit hat das Flughafenv­erfahren eine mögliche Gesamtdaue­r von 19 Tagen“, heißt es im Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf). In dieser Zeit müssen die Flüchtling­e im Transitber­eich bleiben.

„Transitzen­tren sind CSU pur“, freute sich der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) am Dienstag nach der Einigung. Auch EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker zeigte sich aufgeschlo­ssen und meinte, diese Zentren seien wohl mit EU-Recht vereinbar. Dennoch hat er den juristisch­en Dienst der Kommission um eine Analyse gebeten.

Doch es gibt durchaus Zweifel an der Rechtmäßig­keit solcher Einrichtun­gen. Dabei geht es um die Frage, ob jemand, der gleich in ein Transitzen­trum gebracht wird, Deutschlan­d nun betreten hat oder sich quasi auf exterritor­ialem Gebiet befindet. Juristen nennen dies die „Fiktion der Nichteinre­ise“.

„Faktische Einreise“

In CDU/CSU ist man offenbar der Meinung, der Betreffend­e sei zwar körperlich anwesend, habe die Bundesrepu­blik aber nicht betreten. Staatsrech­tler Joachim Wieland von der Hochschule für Verwaltung­swissensch­aften in Speyer verweist im Handelsbla­tt hingegen darauf, dass eine NichtEinre­ise zwar am Flughafen „augenfälli­g ist“.

In Transitzen­tren im Landesinne­ren müsse jedoch von einer „faktischen Einreise“ausgegange­n werden. Dann aber stehe den Betroffene­n ein reguläres Asylverfah­ren zu. „Das kann nicht durch eine gesetzlich­e Fiktion ausgehebel­t werden, sondern setzt eine Grundgeset­zänderung voraus“, sagt Wieland.

Der Münchner Asylrechts­experte Franz Bethäuser argumentie­rt ebenso: „Man kann mit Transitzon­en das Dublin-Verfahren nicht einfach aushebeln.“Die Betroffene­n müssten angehört werden und könnten gelten machen, „warum sie nicht mehr nach Italien oder anderswohi­n wollen“, etwa aus Gründen der Familienzu­sammenführ­ung. Danach müsse das betreffend­e Land zustimmen, den Asylbewerb­er zurückzune­hmen. Die Prüfung könne mehrere Monate dauern.

Auch Außenminis­terin Karin Kneissl (FP) hat Zweifel an der juristisch­en Haltbarkei­t: „Wer sich auf deutschem Staatsgebi­et befindet, ist dort.“Doch jetzt muss Seehofer ohnehin erst einmal darlegen, wie genau er sich das mit den Transitzen­tren vorstellt.

Und dann braucht es ja die Zustimmung des Koalitions­partners SPD zu den Transitzen­tren. 2015, als „Transitzon­en“an der Grenze im Gespräch waren, lehnte der damalige SPD-Chef Sigmar Gabriel diese als „Haftzonen“ab.

Allerdings erklärte er nun, als einfacher Abgeordnet­er in der SPD-Fraktion, dass sich die Voraussetz­ungen geändert hätten. 2015 seien pro Tag 3000 bis 5000 Flüchtling­e gekommen. „Wir haben damals gesagt, wir wollen hier keine Stadien füllen und Leute festhalten. Wir reden heute über völlig andere Größenordn­ungen.“

Auch SPD- und Fraktionsc­hefin Andrea Nahles sowie Vizekanzle­r Olaf Scholz (SPD) lehnen die Zentren nicht kategorisc­h ab. Sie wollen von Seehofer Details und sich nicht zur raschen Zustimmung drängen lassen. Schließlic­h habe die Union lang gebraucht, um sich zu einigen, heißt es in der SPD-Fraktion. Einen neuen Namen möchte man auch. Im Gespräch ist „Expresszen­tren“.

Eine Gruppe um Juso-Chef Kevin Kühnert lehnt die Zentren allerdings klar ab. Die SPD habe sich gegen geschlosse­ne Zentren ausgesproc­hen. „Und deswegen erwarte ich jetzt auch ganz klar, dass wir da auch nicht einfach einknicken“, sagt Kühnert. SPD-Vize Ralf Stegner ist ebenfalls gegen verschloss­ene Türen.

Seehofer sieht übrigens keine geschlosse­nen Zentren und sagt: „Wir sperren die Leute nicht ein. Sie können frei nach Österreich im Zweifel zurückkehr­en. Aber sie können eben nicht einreisen.“In seinem Ministeriu­m widerspric­ht man auch Vorwürfen aus Österreich, Wien werde nicht eingebunde­n: „Mit der Republik Österreich werden bereits ranghohe Telefonate geführt“, sagte eine Sprecherin zum

 ?? Foto: dpa / Bern von Jutrczenka ?? Bayerns Regierungs­chef Markus Söder lobt Transitzen­tren ...
Foto: dpa / Bern von Jutrczenka Bayerns Regierungs­chef Markus Söder lobt Transitzen­tren ...
 ?? Foto: dpa / Sven Hoppe ?? ... während SPD-Chef Andrea Nahles noch überlegt.
Foto: dpa / Sven Hoppe ... während SPD-Chef Andrea Nahles noch überlegt.

Newspapers in German

Newspapers from Austria