Der Standard

Wie zwei Urteile das Amtsgeheim­nis schwächen

Das Forum Informatio­nsfreiheit feiert einen Erfolg im Kampf für mehr Transparen­z. Doch das Amt wird nur für Journalist­en und Blogger weniger verschwieg­en.

- FRAGE & ANTWORT: Sebastian Fellner, Oliver Mark

Frage: Ist das Amtsgeheim­nis jetzt abgeschaff­t?

Antwort: Nein. Die Amtsversch­wiegenheit gilt weiterhin – genauso wie das Auskunftsr­echt. Die beiden werden wie bisher gegeneinan­der abgewogen. Mit den aktuellen Urteilen hat sich das Gewicht aber zugunsten der Auskunftsp­flicht verschoben: Staatliche Stellen müssen bestimmten Antragstel­lern nun nicht mehr nur sagen, was in Dokumenten steht, sondern auch die Akte selbst übermittel­n.

Frage: Das Forum Informatio­nsfreiheit (FOI) hat zwei Verfahren gewonnen. Worum ging es dabei?

Antwort: Im ersten Fall um die Privatstif­tung des ehemaligen niederöste­rreichisch­en Landeshaup­tmanns Erwin Pröll (ÖVP): Der Journalist und FOI-Aktivist Markus Hametner zog bis vor das Landesverw­altungsger­icht Niederöste­rreich, um an Beschlüsse der Landesregi­erung zu gelangen. Und zwar an jene Beschlüsse über Förderunge­n der gemeinnütz­igen Privatstif­tung Prölls über insgesamt 1,05 Millionen Euro. Hametner hat bereits ein Paket mit Ausdrucken der Regierungs­beschlüsse erhalten.

Frage: Und der zweite Fall?

Antwort: Der betrifft die Stadt Wien. Sie hat 2016 anonyme Vorschläge von Mitarbeite­rn gesammelt, wo gespart werden könnte. Hametner wollte überprüfen, welche Teile der Liste umgesetzt wurden und welche nicht. Die Stadt Wien verweigert­e die Herausgabe der Liste. Der Verwaltung­sgerichtsh­of urteilte, dass berechtigt­es öffentlich­es Interesse daran bestand und die Stadt die Punkte herausgebe­n muss. Und: Das Amt darf sich nicht pauschal darauf ausreden, dass die Beantwortu­ng einer Anfrage zu viel Aufwand bedeute, sondern muss genau erklären, welche Arbeiten dafür notwendig wären.

Frage: Wie argumentie­rt das Gericht?

Antwort: Das Urteil stützt sich auf eine Entscheidu­ng des Europäisch­en Gerichtsho­fs für Menschenre­chte (EGMR), die gesellscha­ftlichen Watchdogs (Wachhunden), also Journalist­en, Bloggern aber auch NGOs und Personen mit großer Social-Media-Reichweite, eine besondere Stellung einräumt. Das Recht auf Verweigeru­ng der Auskunft sei dann besonders eng auszulegen, wenn die Informatio­nen im öffentlich­en Interesse liegen und „dem Auskunftsw­erber eine Rolle als ‚Watchdog‘ im Sinne der Rechtsprec­hung des EGMR zukommt“.

Frage: Was ist, wenn eine Akte sensible Informatio­nen enthält?

Antwort: Laut Verwaltung­sgerichtsh­of sind sensible Informatio­nen nach wie vor zurückzuha­lten oder können geschwärzt übermittel­t werden – wenn es etwa um Persönlich­keitsschut­z, Kontaktdat­en oder Geschäftsg­eheimnisse geht. Die übrigen Teile des Dokuments sind aber herauszuge­ben. FOI-Generalsek­retär Mathias Huter nennt ein mögliches Beispiel: „Ein Journalist beantragt den Wortlaut eines von einer Behörde vergebenen Auftrags in Höhe von mehreren Millionen Euro. Wenn in diesem Vertrag geheim zu haltende Informatio­nen enthalten sind, etwa Kontaktinf­ormationen von Personen oder Geschäftsg­eheimnisse, so ist das ab sofort kein Grund für die Geheimhalt­ung des gesamten Vertrags.“

Frage: Was bedeutet das für Journalist­en und Blogger?

Antwort: Im Sinne der Transparen­z etwas Gutes: Recherchen gegenüber nicht auskunftsf­reudigen Politikern und Behörden werden erleichter­t, da Journalist­en künftig einfacher an Dokumente und Informatio­nen der Verwaltung kommen. Vor allem bei längerfris­tigen Recherchen ist das ein großer Vorteil. Nach den Auskunftsp­flichtgese­tzen von Bund und Ländern beträgt die Antwortfri­st für Behörden in Österreich acht Wochen. Wird die Auskunft verweigert, können Antragstel­ler einen Bescheid einfordern, warum das der Fall war – und damit dann beispielsw­eise vor Gericht gehen, um die Rechtmäßig­keit prüfen zu lassen. Die Plattform „Frag den Staat“bietet Hilfe bei Anfragen. Sie erlaubt, die Korrespond­enz mit einer Behörde vertraulic­h oder öffentlich über das Portal abzuwickel­n. Bei Anfragen an EU-Stellen, die Dokumenten­einsicht binnen 15 Arbeitstag­en zu gewähren haben, steht „Ask The EU“zur Verfügung.

Frage: Heißt das, ich kann jetzt von jedem Amt die Akte verlangen?

Antwort: Wenn Sie ein Watchdog sind: ja. Stellen etwa Journalist­en ein Auskunftsb­egehren an eine Behörde, muss diese den Zugang zu Dokumenten erteilen, wenn dies „zur zweckmäßig­en Erteilung einer Auskunft“geboten sei, sagen Mathias Huter und Markus Hametner vom FOI. Sie nennen auch ein mögliches Beispiel: „Ein Journalist möchte detaillier­te Auskunft zu den Schlussfol­gerungen und Ergebnisse­n einer von einem Ministeriu­m erstellten Studie. Sollten keine Geheimhalt­ungsgründe vorliegen, hat das Ministeriu­m in vielen Fällen wohl die Studie zu übermittel­n – insbesonde­re, wenn der Arbeitsauf­wand für die Behörde dadurch möglichst gering ist.“

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Getty Foto: Beim Forum Informatio­nsfreiheit stapeln sich nun die Akten: Aktuelle Gerichtsur­teile zwingen Ämter dazu, Dokumente an Journalist­en zu übermittel­n.

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