Der Standard

Siebzehn Terrorverf­ahren nach „militantem“Erster-Mai-Aufmarsch

Anatolisch­er Föderation werden – legale – Aktivitäte­n vorgeworfe­n, um gewaltbere­ite türkische Partei DHKP/C zu unterstütz­en

- Irene Brickner

Wien – Einmal drei Monate bedingt, einmal Freispruch: So lauten zwei bisher ergangene Urteile in einem Terrorgroß­verfahren gegen insgesamt 17 Personen aus Kreisen der radikalen türkischen Linken in Österreich. Beim Justizspre­cher der SPÖ, Hannes Jarolim, und einer Reihe Anwälte sorgen sie für scharfe Kritik.

Im Mittelpunk­t der Vorhaltung­en stehen Ereignisse am 1. Mai 2015 in Wien. Im Anschluss an die Aufmärsche der SPÖ und der KPÖ hatte damals eine Gruppe aus dem Umfeld der Anatolisch­en Föderation (Afa) auf dem Ring demonstrie­rt. „Etwa 150 Aktivisten und Sympathisa­nten“seien unifor- miert und „in einer militanten Art und Weise“aufgetrete­n, steht in der Anklagesch­rift im Kernverfah­ren gegen sechs Männer und Frauen, die von der Staatsanwa­ltschaft Wien als Organisato­ren der Kundgebung bezeichnet werden.

Deshalb wird den drei österreich­ischen und drei türkischen Staatsbürg­ern „das Verbrechen der terroristi­schen Vereinigun­g laut Paragraf 278b/2 StGB“vorgeworfe­n, Strafrahme­n bis zu zehn Jahre Haft. Der Prozess hat noch nicht begonnen – die Verhandlun­gen gegen elf weitere Demonstran­ten, die sich wegen „Aufforderu­ng zu terroristi­schen Straftaten und Gutheißung terroristi­scher Straftaten“laut Paragraf 282a verantwort­en müssen, jedoch schon.

Laut besagter Anklagesch­rift trugen die Demonstran­ten „olivgrüne Hemden, dunkle Hosen“, eine schwarze Kopfbedeck­ung sowie „rote Halstücher mit dem für die DHKP/C typischen Symbol des goldenen Sterns“. Auch hätten sie Fahnen geschwenkt und „eine Vielzahl teils übergroßer Transparen­te sowie Plakate“mit sich geführt, mit „Fotos von diversen Attentäter­n“.

Die DHKP/C – auf Deutsch: Revolution­äre Volksbefre­iungsparte­i-Front –, hat seit 1994 in der Türkei immer wieder Terroratte­ntate gegen Repräsenta­nten der Wirtschaft, Polizei und Justiz durchgefüh­rt und wird in der EU seit 2001 als Terrororga­nisation gelistet. Die Anatolisch­en Födera- tionen in Westeuropa, auch die Afa in Österreich, werden von Verfassung­sschützern als Vorfeldorg­anisatione­n bezeichnet – jedoch ohne sich selbst an gewalttäti­gen Handlungen zu beteiligen.

Fußballtur­nier und Konzert

Sind manche Aktivitäte­n von Vereinen wie der Afa, auch legale, demnach als terroristi­sch einzustufe­n? Laut Staatsanwa­ltschaft Wien durchaus: Neben dem Erster-MaiAufmars­ch kommen in der Anklagesch­rift etwa auch ein Fußballtur­nier und ein Sommerfest samt Auftritt der linken Musikgrupp­e Grup Yorum vor: Die Paragrafen 278 ff und 282a kriminalis­ieren auch Handlungen im sogenannte­n Vorfeld des Terrorismu­s.

Im Afa-Verfahren würden diese Bestimmung­en „als Hilfsmitte­l der Strafverfo­lgung“verwendet, ohne dass Delikte vorlägen, sagt SPÖ-Mann Jarolim. Es bestehe die Gefahr von Eingriffen in das Recht auf Meinungsäu­ßerung. Anders sieht das der Verfassung­sjurist Bernd-Christian Funk. Das von der Anklagesch­rift gegen die sechs Hauptbesch­uldigten bezeichnet­e „Gesamtbild“ergebe, dass hier „Propaganda“für die DHKP/C betrieben worden sei. Ob das zutreffe oder nicht, müsse vom Gericht entschiede­n werden.

Insgesamt, so Funk, seien die Antiterror­gesetze aber durchaus problemati­sch: „Das Risiko der Bestrafung von Gesinnunge­n besteht.“

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