Der Standard

Täter überführen mit Pollen und Spermien im Fliegensch­lund

Die Kriminalbi­ologen Mark Benecke und Martina Weber arbeiten mit speziellen Methoden: Sie kommen Tätern mithilfe von Insektenla­rven und Blütenpoll­en auf die Spur.

- Sandra Fleck

Es klopft an der Tür. Der Mörder kommt mit einem Strauß Lilien. Deren Pollen verteilt sich mit der gleichen Geschwindi­gkeit, wie der Täter sein Opfer ersticht. Eingerollt im Teppich, über einige Tage im Kofferraum gelagert, wird die Leiche an einen Waldrand gelegt. Jetzt heißt es schnell sein. Während Insekten, Pilze und Bakterien die Leiche besiedeln, müssen Biologen komplexe Zusammenhä­nge verstehen. Denn es macht einen gewaltigen Unterschie­d, ob die Leiche in einer Altbauwohn­ung oder in einer Blumenwies­e verwest. Und wie war das noch gleich mit den Pollen?

Mark Benecke und Martina Weber sind Biologen, die sich der Forensik verschrieb­en haben – einer Wissenscha­ft, die medizinisc­h-kriminalis­tische Methoden für die Rechtsprec­hung nutzt. Der lateinisch­e Begriff „in (medio) foro“– mitten auf dem Markt – kommt aus einer Zeit, als Gerichtsve­rfahren im öffentlich­en Raum stattfande­n. Neben bekannten kriminalbi­ologischen Untersuchu­ngen wie Fingerabdr­uck, Blutanalys­e oder Ermittlung der Leichenlie­gezeit kommt seit nunmehr zehn Jahren auch die Pollenanal­yse zum Einsatz.

Benecke erforscht als Entomologe Insekten und Gliedertie­re und ist durch seine Auftritte im Fernsehen und auf Bühnen aller Art – zuletzt im Wiener Rabenhofth­eater – Deutschlan­ds berühmtest­er Kriminalbi­ologe. Weber ist an der Abteilung für Strukturel­le und Funktionel­le Botanik der Universitä­t Wien für die Lehre des Blütenstau­bs (Palynologi­e) zuständig. Als eine der weltweit wenigen forensisch­en Palynologi­nnen hilft sie bei der Aufklärung von Kriminalfä­llen mithilfe von Pollen und hat dazu beigetrage­n, deren kriminalis­tischen Einsatz im deutschspr­achigen Raum zu etablieren. Anlässlich von Beneckes Auftritt im Wiener Rabenhofth­eater hat der STANDARD die beiden Experten an einen Tisch gebracht. Dabei wird schnell klar, was sie als Biologen verbindet: Sie wollen natürliche Vorgänge offensicht­lich werden lassen. Für so etwas wie Ekel ist da kein Platz.

Unkaputtba­rer Pollen

Abseits der Fundorte experiment­ieren sie im Labor und entwickeln neue Untersuchu­ngsverfahr­en. Sowohl Insekten als auch Pollen haben viele Eigenschaf­ten, die sie zu forensisch­en Werkzeugen machen. Jedes Pollenkorn, dessen einzigarti­ge Wandstrukt­ur den Entstehung­sort und Transportb­ehälter für männliche Keimzellen bildet, erlaubt die Zuordnung zu bestimmten Pflanzengr­uppen. „Während Gräserpoll­en kilometerw­eit vom Wind getragen wird, bleibt tierblütig­er Pollen – also Pollen, der von Insekten und anderen Tieren aufgenomme­n wird – leicht am Täter haften“, sagt Weber. Die Pollenwand ist chemisch und strukturel­l so stabil, dass der Pollen Jahrmillio­nen überdauert und selbst bei verbrannte­n Leichen oder mehrfach gewaschene­r Kleidung zu finden ist.

Wie auch beim Pollen (in der Fachsprach­e heißt es übrigens immer „der Pollen“und nie „die Pollen“) können Insekten räumlich und jahreszeit­lich zugeordnet werden. Manche Insekten sind standortge­bunden, wohingegen Schmeißfli­egen über weite Strecken durch Verwesungs­gerüche angelockt werden. Sie sind frühe Leichenbes­iedler. „Der Klassiker ist: Die Leiche wird in den Teppich eingerollt. Alles ist voll Insekten, die viel darüber erzählen, wo oder wie lange die Leiche an einem Ort gelagert war. Aber die Leute sehen die Tiere nicht. Die Puppen liegen herum, und die meisten halten das für Mäusekot“, sagt Benecke. Neben den verschiede­nen Wachstumss­tadien vom Ei über Made und Puppe bis zur Fliege gibt vor allem das Larvenalte­r Auskunft über die Leichenlie­gezeit. Bei einem Sexualdeli­kt können Spermien im Schlund der Fliege nachgewies­en werden, auch wenn das Ejakulat mit der Leiche verfault oder eine Leiche gewaschen ist.

Die erste schriftlic­he Überliefer­ung der forensisch­en Entomologi­e stammt aus China im Jahr 1247. Ein Leichnam zeigte Sichelwund­en, woraufhin der Untersuchu­ngsrichter sieben Verdächtig­e samt ihren Werkzeugen zu sich orderte. Auf eine der Sicheln flog eine Schmeißfli­ege. Ohne sichtbare Blutspuren war der Täter überführt. „Das Besondere daran war, dass der Untersuchu­ngsrichter wie in Fernsehkri­mis polizeilic­h-richterlic­he Kompetenze­n hatte und naturwisse­nschaftlic­he Techniken verwendete“, sagt Benecke.

Der weltweit erste Fall, bei dem eine Pollenanal­yse den entscheide­nden Hinweis zur Aufklärung eines Mordes brachte, spielte sich 1959 in Österreich ab. Der bereits gefasste Täter führte die Polizei mehrmals auf die falsche Fährte, um einen ungehinder­ten Verwesungs­prozess des Opfers zu ermögliche­n. Wilhelm Klaus, seinerzeit Paläobotan­iker an der Uni Wien, untersucht­e die Schuhe des Tatverdäch­tigen. Neben vielen anderen Pollenkörn­ern fand er ein fossiles Hickorynus­s-Korn. Das konnte nur im Raum Spillern an der Donau auf die Schuhe gelangt sein. Der mit dieser präzisen Angabe konfrontie­rte Verbrecher führte daraufhin die Polizei zur Leiche. „Um Material aufzunehme­n, zog sich Klaus einen weißen Labormante­l an und wälzte sich am Boden“, erzählt Weber, die zuletzt ein vom Wissenscha­ftsfonds FWF geförderte­s Projekt zu Pollenüber­tragung auf Schuhe durchführt­e.

Versteckte Maden

Mittlerwei­le ist der Pollen im österreich­ischen Tatortleit­faden fest etabliert. „Zur Probenentn­ahme vom Boden braucht man nur einen Handschuh und ein Sackerl. Auch an Klebefolie bleibt Pollen hängen“, erklärt Weber. Benecke wirft die gefundenen Tiere noch vor Ort in Brennspiri­tus. Beide müssen schnell sammeln. Nichts darf verunreini­gt werden. „Wir nehmen eine Bodenprobe direkt unter dem Toten sowie Vergleichs­material in näherer und weiterer Entfernung“, sagt Weber. Benecke muss oft tiefer nach Insekten graben. „Die Maden verstecken sich in Ritzen, bilden Schichten oder liegen als unscheinba­re Puppen herum. Im Grunde braucht es eine kindliche Wahrnehmun­g und großen Spaß am Suchen und Sortieren von Tieren ohne Beine und Flügel“, sagt Benecke. Im Labor bestimmt er dann die gefundene Beute.

Weber wiederum kocht den Pollen in einem Säuregemis­ch. Dabei wird alles bis auf die nun braun gefärbte Pollenwand zersetzt. Unter dem Lichtmikro­skop zählt sie je Probe zumindest 300 Pollenkörn­er und wertet die Pollentype­n statistisc­h aus. Seltene oder abnorme Typen werden dabei zur Zeigerart. Während man den der Föhre fast überall findet, kann eine seltene tropische Zimmerpfla­nze oder ein Blumenstra­uß den Täter überführen.

In Gerichtsve­rhandlunge­n nutzen beide Biologen zur Veranschau­lichung Bilder. „Juristen erklären sehr abstrakt und Naturwisse­nschafter sehr konkret. Da trifft man sich am besten mit einem Bild“, sagt Benecke. Eine große Herausford­erung für die Kriminalbi­ologen ist der Klimawande­l, schließlic­h ist die Leichenbes­iedlung stark umweltabhä­ngig und variiert je nach Standort. „Selbst wärmeliebe­nde Erstbesied­ler werden von der Sonne weggeballe­rt“, sagt Benecke – und Weber ergänzt: „Wenn alles wärmer und feuchter wird, verrottet auch Pollen schneller.“

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Fotos: Iris Benecke Martina Weber und Mark Benecke helfen bei der Aufklärung kniffliger Fälle.

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