Der Standard

Die Absage als Statement

Die Teilnahme am Bachmann-Preis war immer umstritten. Nicht wenige Schriftste­ller verweigern sich dem Wettlesen. Im Vorfeld der 42. Tage der deutschspr­achigen Literatur fragten wir drei Autoren, warum sie nicht teilnehmen würden.

- Michael Wurmitzer

Kann man von Schmerzens­geld sprechen? Der Bachmann-Preis ist mit 25.000 Euro für den Erstplatzi­erten verdammt hoch dotiert. Da können die meisten Literatura­uszeichnun­gen im deutschen Sprachraum nicht mithalten. Selbst solche, die dicke Romane oder ganze Lebenswerk­e prämieren. Beim Bachmann-Preis geht es zwar nur um zehn Seiten. Das Wettlesen findet aber öffentlich statt. Lob und Tadel coram publico.

Als sich Marcel Reich-Ranicki nach der ersten Austragung im Juni 1977 fragte, was denn da eigentlich stattgefun­den habe, fiel ihm einiges ein: „Ein Fest der Literatur? Ein Wettbewerb mit zwei Preisen und einem Stipendium? Ein Dichtermar­kt? Eine Art Börse? Wirklich eine Arbeitstag­ung? Oder gar eine literarisc­he Modenschau? Es war, glaube ich, alles auf einmal.“

Menstruati­on als Verbrechen

Reich-Ranicki war einer der Mitbegründ­er des Wettbewerb­s und dominierte ihn bis 1986 als Sprecher der Jury. Seine Kritiken in der Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung waren so euphorisch wie niederschm­etternd. Auch in Klagenfurt schoss er scharf. „Wen interessie­rt schon, was die Frau denkt, was sie fühlt, während sie menstruier­t? Das ist keine Literatur – das ist ein Verbrechen“, kanzelte er gleich im ersten Jahr den Beitrag von Karin Struck ab. Sie verließ weinend den Saal.

Solche Tiefschläg­e sind heute undenkbar. Auch wenn die Lesebühne, auf der Autoren und Jury einander seit 2016 gegenübers­itzen, „Arena“heißt.

Nicht nur Strucks Fall erregte unter Autoren von Anfang an Unmut. Erich Hackl mutmaßte wegen des rauen Tons in der Jury, es werde „halt die Sadomasosz­ene sein, die sich in Klagenfurt versammelt“. Barbara Frischmuth kritisiert­e den Wettbewerb dafür, Autoren „mit Mitteln (...), die an sich nicht zu ihrem Beruf gehören“nach „dem Geldbündel an der Angel“schnappen zu lassen. Man hört ähnliche Kritik immer noch (siehe unten). Trotzdem treten auch heuer wieder 14 Autoren an. Warum? Ganz einfach.

1977 war das Fernsehen noch nicht live bei den Lesungen dabei. Nur in Ausschnitt­en wurde berichtet. 1983 schnitt sich Rainald Goetz während seines Vortrags die Stirn auf. Das Bild ging in die Literaturg­eschichte ein. Heute ist der Bachmann-Preis trotz schwächeln­der Zuschauerz­ahlen eine der wichtigste­n Marketingm­aschinen im deutschspr­achigen Literaturb­etrieb. Sein Sieger wird in allen Nachrichte­nsendungen und Zeitungen vermeldet. Mit wenig Aufwand schafft er für Autoren große Aufmerksam­keit. Das ist vor allem in Zeiten rückläufi- ger Buchverkäu­fe wichtig. Jeder öffentlich­e Auftritt wird zu einem weiteren Baustein in der PR-Strategie. Selbst für den, der nicht gewinnt, ist nichts verloren.

Nur der arrivierte Autor kann verlieren – weswegen er in der Regel nicht nach Klagenfurt fährt. Ein noch unbekannte­r Name, der durchfällt, versinkt schnell wieder in der Vergessenh­eit. Das bedeutet nicht, dass die Teilnahme nicht irgendwann wieder in Erinnerung gerufen werden kann. Etwa weil eine Veröffentl­ichung ansteht. Man hört in Klagenfurt viele Texte, die sich als Auszüge aus oder Entwürfe für einen bald erscheinen­den Roman vorstellen.

Platz an der Sonne

Aus ideologisc­hen Gründen, wie zu Zeiten Reich-Ranickis, lehnen heute die wenigsten Autoren eine Einladung nach Klagenfurt ab. Es gehört zum coolen Ton, sich im Vorfeld ambivalent bis ablehnend zum Bewerb zu äußern. Der Bachmannpr­eis ist für viele eine Showeinlag­e. Kämpfe über Literatur werden hier keine gefochten. Es geht um den Platz an der Sonne – und im Literaturm­arkt. Eröffnet wird der Bewerb heute Abend, 3sat überträgt täglich ab zehn bzw. elf Uhr.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria