Die Absage als Statement
Die Teilnahme am Bachmann-Preis war immer umstritten. Nicht wenige Schriftsteller verweigern sich dem Wettlesen. Im Vorfeld der 42. Tage der deutschsprachigen Literatur fragten wir drei Autoren, warum sie nicht teilnehmen würden.
Kann man von Schmerzensgeld sprechen? Der Bachmann-Preis ist mit 25.000 Euro für den Erstplatzierten verdammt hoch dotiert. Da können die meisten Literaturauszeichnungen im deutschen Sprachraum nicht mithalten. Selbst solche, die dicke Romane oder ganze Lebenswerke prämieren. Beim Bachmann-Preis geht es zwar nur um zehn Seiten. Das Wettlesen findet aber öffentlich statt. Lob und Tadel coram publico.
Als sich Marcel Reich-Ranicki nach der ersten Austragung im Juni 1977 fragte, was denn da eigentlich stattgefunden habe, fiel ihm einiges ein: „Ein Fest der Literatur? Ein Wettbewerb mit zwei Preisen und einem Stipendium? Ein Dichtermarkt? Eine Art Börse? Wirklich eine Arbeitstagung? Oder gar eine literarische Modenschau? Es war, glaube ich, alles auf einmal.“
Menstruation als Verbrechen
Reich-Ranicki war einer der Mitbegründer des Wettbewerbs und dominierte ihn bis 1986 als Sprecher der Jury. Seine Kritiken in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung waren so euphorisch wie niederschmetternd. Auch in Klagenfurt schoss er scharf. „Wen interessiert schon, was die Frau denkt, was sie fühlt, während sie menstruiert? Das ist keine Literatur – das ist ein Verbrechen“, kanzelte er gleich im ersten Jahr den Beitrag von Karin Struck ab. Sie verließ weinend den Saal.
Solche Tiefschläge sind heute undenkbar. Auch wenn die Lesebühne, auf der Autoren und Jury einander seit 2016 gegenübersitzen, „Arena“heißt.
Nicht nur Strucks Fall erregte unter Autoren von Anfang an Unmut. Erich Hackl mutmaßte wegen des rauen Tons in der Jury, es werde „halt die Sadomasoszene sein, die sich in Klagenfurt versammelt“. Barbara Frischmuth kritisierte den Wettbewerb dafür, Autoren „mit Mitteln (...), die an sich nicht zu ihrem Beruf gehören“nach „dem Geldbündel an der Angel“schnappen zu lassen. Man hört ähnliche Kritik immer noch (siehe unten). Trotzdem treten auch heuer wieder 14 Autoren an. Warum? Ganz einfach.
1977 war das Fernsehen noch nicht live bei den Lesungen dabei. Nur in Ausschnitten wurde berichtet. 1983 schnitt sich Rainald Goetz während seines Vortrags die Stirn auf. Das Bild ging in die Literaturgeschichte ein. Heute ist der Bachmann-Preis trotz schwächelnder Zuschauerzahlen eine der wichtigsten Marketingmaschinen im deutschsprachigen Literaturbetrieb. Sein Sieger wird in allen Nachrichtensendungen und Zeitungen vermeldet. Mit wenig Aufwand schafft er für Autoren große Aufmerksamkeit. Das ist vor allem in Zeiten rückläufi- ger Buchverkäufe wichtig. Jeder öffentliche Auftritt wird zu einem weiteren Baustein in der PR-Strategie. Selbst für den, der nicht gewinnt, ist nichts verloren.
Nur der arrivierte Autor kann verlieren – weswegen er in der Regel nicht nach Klagenfurt fährt. Ein noch unbekannter Name, der durchfällt, versinkt schnell wieder in der Vergessenheit. Das bedeutet nicht, dass die Teilnahme nicht irgendwann wieder in Erinnerung gerufen werden kann. Etwa weil eine Veröffentlichung ansteht. Man hört in Klagenfurt viele Texte, die sich als Auszüge aus oder Entwürfe für einen bald erscheinenden Roman vorstellen.
Platz an der Sonne
Aus ideologischen Gründen, wie zu Zeiten Reich-Ranickis, lehnen heute die wenigsten Autoren eine Einladung nach Klagenfurt ab. Es gehört zum coolen Ton, sich im Vorfeld ambivalent bis ablehnend zum Bewerb zu äußern. Der Bachmannpreis ist für viele eine Showeinlage. Kämpfe über Literatur werden hier keine gefochten. Es geht um den Platz an der Sonne – und im Literaturmarkt. Eröffnet wird der Bewerb heute Abend, 3sat überträgt täglich ab zehn bzw. elf Uhr.