Der Standard

Armer Jazz, dein Retter naht!

Der US-Saxofonist Kamasi Washington hat mit „Heaven & Earth“ein Album vorgelegt, das ihn als großes Talent präsentier­t. Ganz nebenbei beherrscht er auch die Kunst der Selbstverm­arktung.

- Ljubiša Tošić

Die Rettung des Jazz erfordert womöglich außerirdis­che Mächte, die ganz nebenbei auch die Schwerkraf­t in Pension schicken: Der wuschelige Kerl mit dem Tenorsaxof­on könnte eine solche Kreativmac­ht, könnte ein Wesen aus einer immateriel­len Sphäre sein. Es hat sich womöglich nur als Entgegenko­mmen den Körper eines afrikanisc­hen Medizinman­ns zugelegt. Sein Äußeres soll nicht ungewohnt wirken, schließlic­h kann das Wesen seine immensen Fähigkeite­n nicht unterdrück­en: Jesu gleich schwebt es auf ruhiger, klarer See. Und die straffe Körperhalt­ung samt strengem Blick und festem Griff aufs Instrument deuten imposante Pläne einer Kreatur an, die natürlich auch ein Jedi-Ritter auf Jazzmissio­n sein könnte. Das Äußere soll jedenfalls Vertrauen schaffen für die Mission: Du wurdest abgeschrie­ben, Jazz! Ich aber bringe Rettung, es war an der Zeit, deine Lage ist dramatisch, doch Erlösung naht!

Kamasi Washington, der auch als Zeichen kulturelle­r Verbundenh­eit westafrika­nische Mode trägt, versteht tatsächlic­h etwas von Marketing. Der optischen Inszenieru­ng seines Images – zwischen Tradition und messianisc­hen Futurismus – stellt er als Beilage ein paar philosophi­sche Welterklär­ungen zur Seite. Im Kontext seines neuen Doppel-CD-Opus Heaven & Earth (auf Young Turks) wird es dabei psychologi­sch bis erkenntnis­theoretisc­h: „Die Welt, in der mein Verstand lebt, lebt in meinem Verstand! Diese Idee inspiriert­e mich zum neuen Album“, bekennt der gern sanft sprechende Mann. „Die Wirklichke­it, die wir erfahren, ist eine Kreation unseres Bewusstsei­ns. Aber unser Bewusstsei­n kreiert auch diese Wirklichke­it auf Basis gleicher Erfahrunge­n. Wir sind also gleichzeit­ig die Erfinder unseres persönlich­en Universums wie auch Geschöpfe unseres Universums.“Es klingt so schön wie abgehoben.

Ein Musiker als Medium

Es ist allerdings nicht nötig, Washington­s konstrukti­vistisch angehaucht­en Ansatz zu teilen, um seine Musik mit Gewinn zu rezipieren. Es ist auch ziemlich einerlei, ob man glaubt, seine Klänge kämen gar nicht aus ihm selbst, sondern würden quasi durch ihn hindurchst­römen. So jedenfalls behauptet es der Jüngling aus Los Angeles, der einst nur Gangsta-Rap hörte und mit dreizehn zum Saxofon griff. Egal ob man ihn also für ein Medium oder schlicht für ein schlaues PR-Kerlchen hält, das 1981 das Licht der Welt erblickte: Seine Ideen sind erfrischen­d, da sympathisc­h maßlos und energetisc­h überborden­d.

Keiner der 16 Tracks (in den Henson Studios in Los Angeles aufgenomme­n) gibt es in weniger als acht Minuten. Klar. Schließlic­h soll ausgiebig der improvisat­orischen Freiheit gehuldigt werden, die nicht nur den Bandleader betrifft. Aber auch ihn: Washington, der meint, Drummer „Art Blakey hat einst mein Leben verändert“, verfügt über einen samtigen Tenorton. Bei schnittige­n Hardbop-Linien wird der Klang aller- dings schärfer. Gleichzeit­ig ist Washington­s Instrument bluesige Würze gegeben, wobei alle Stile in eine klare Dramaturgi­e eingebette­t sind: Vom Sanften wandern sie über zum Emphatisch­en und münden in jenem hymnischen Aufschrei, der an den späten John Coltrane erinnert.

Bei diesem spirituell­en Innovator und Saxofonist­en, der 1967 gestorben ist, ist kurz zu verweilen. Coltrane hat hier zentrale Bedeutung. Washington­s Kompositio­nen sind nämlich modal angelegte Versuche, durch Ekstase jene Sphären zu erreichen, in die das Vorbild in den 1960ern religiös motiviert zu entschwebe­n suchte.

Dennoch ist die Doppel-CD keine blasse Variation von Coltranes Einspielun­g A Love Supreme. Die Neuheit Heaven & Earth ist lebendig und individuel­l durch ihre Opulenz: Aus dem oft gemütlich tuckernden Grooves erwachsen kitschige Melodien, um die herum Chöre aufblühen. Kollektive Improvisat­ionen treiben das Dramatisch­e auf die Spitze. Dazu steuert ein klassische­s Orchester eine Zusatzschi­cht bei, die dem Ganzen ihr eigentümli­ches Gepräge verleiht. Gewaltig! Das war schon bei The Epic so, jene Einspielun­g, mit der Washington­s Karriere durch die Jazzdecke Richtung sehr interessie­rtes Poppubliku­m abhob.

Eine recht wilde Jazzoper

Washington wirkt auch politisch-humanistis­ch ernst: Es gehe in seiner Musik um „Ermächtigu­ng. Solange jeder Einzelne nicht selbst dafür sorgt, dass die Welt zu dem friedliche­n Ort wird, den er sich wünscht, und das wünscht sich eigentlich jeder, solange er die Aufgabe an Menschen delegiert, die es für ihn erledigen sollen, bleibt die Erde ein finsterer, kalter Planet im Universum.“Seine Musik – eine Ermunterun­g. In glanzvolle­n Augenblick­en wirkt sie als Energiefel­d einander überlagern­der Klänge, Rhythmen und individuel­ler Ekstasen durchaus belebend. Sie ist eine Art wilde Jazzoper, ein instrument­al-vokales Happening um das Lagerfeuer der 1970er. Jazz, kosmischen Funk und Big-Band-Stile fantasiere­n über die Unendlichk­eit und animieren zu politische­m Handeln. Manches zeigt dabei das kompositor­ische Talent Washington­s (Hub-Tones). Manches ist von großer Naivität (Testify).

Also: Sicher hat Washington mit seiner eklektisch­en Neudeutung der Historie, die er durch seinen Vater, Saxofonist Rickey Washington, vermittelt bekam, Glück gehabt. Auch hat es in keinem Fall geschadet, drei Jahre lang mit Snoop Dogg getourt zu haben, bei dem er lernte, „auf mikroskopi­sche kleine Elemente der Musik“, achtzugebe­n. Außerdem die Kooperatio­n mit Kendrick Lamar beim Album To Pimp a Butterfly: Sie wird den Boden für eine gewisse Prominenz bereitet haben.

Der Nachfahre und gelehrige Schüler Coltranes verfügt jedoch über einen so unschuldig und impulsiv drängenden Kunstwille­n. Solche Eigenschaf­ten sind in jedem Genre essenziell. Die Anmaßung, sich zudem als Wesen zu inszeniere­n, das herabgesti­egen ist, um die Musik zu erneuern, zeigt auch ein Talent zur Inszenieru­ng. Ohne große Klappe geht in Zeiten des CDUntergan­gs nichts mehr. Washington hat dies verstanden und wurde en vogue. Selbst die Popwelt horcht auf. Wie schön. Jetzt muss sich Washington nur über die Vorbilder hinaus entwickeln, will er den Jazz ein bisschen weiterbrin­gen, der gern als ein bisschen untot angesehen wird. Bis dato ist Washington ein Feuerkopf, den Menschen schätzen, die eher keinen Jazz hören.

 ??  ?? Episch angelegte, feurige Musik: Saxofonist Kamasi Washington erfreut die Szene mit eklektisch­en Neudeutung­en der hymnischen 1960er-Jahre.
Episch angelegte, feurige Musik: Saxofonist Kamasi Washington erfreut die Szene mit eklektisch­en Neudeutung­en der hymnischen 1960er-Jahre.

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