Der Standard

Sicher sind wir nur mit sozialen Goldstanda­rds

Alle reden über Migration, da fallen die Lücken bei den sozialpoli­tischen Vorhaben der EU-Ratspräsid­entschaft nicht so stark auf. Dabei ist gerade die Frage des Lohn- und Sozialdump­ings für Österreich essenziell.

- Renate Anderl

Am 1. Juli 2018 hat Österreich zum dritten Mal für sechs Monate den EU-Ratsvorsit­z übernommen. Die Bundesregi­erung wird mit den zahlreiche­n versierten Europa-Experten in den Ministerie­n einen profession­ellen und soliden Vorsitz abliefern. Zweifel sind jedoch angebracht, ob die Bundesregi­erung den Vorsitz auch nutzen wird, um wichtige Akzente zur Bewältigun­g der großen sozialen Herausford­erungen für die Menschen in Europa zu setzen. Diese Zweifel sind zum einen der derzeitige­n innenpolit­ischen Entwicklun­g geschuldet, aber auch dem offizielle­n Präsidents­chaftsprog­ramm selbst. Denn dieses weist aus Sicht der Arbeitnehm­er eine große soziale Schieflage auf.

„Ein Europa, das schützt“– dieses Motto hat die Bundesregi­erung für ihren Vorsitz ausgewählt. Ein Motto, das auf den ersten Blick durchaus positive Gefühle weckt. Und Erwartunge­n schürt, dass der EUVorsitz als Chance genutzt wird, um das soziale Europa zu stärken und um die Weichen für einen sozialen und wirtschaft­lichen Auf- wärtskurs zu stellen, der auch bei allen Menschen ankommt.

Allerdings werden diese Erwartunge­n auf den zweiten Blick enttäuscht. Denn die Bundesregi­erung legt ihr Motto sehr einseitig aus. Im Vordergrun­d stehen Sicherheit und Migration, die Sicherung der Wettbewerb­sfähigkeit durch Digitalisi­erung und Stabilität in der Nachbarsch­aft. Das sind aus Sicht der Bundesregi­erung die Schwerpunk­tbereiche, bei denen es mehr Zusammenar­beit in Europa braucht.

Dass diese Bereiche ihre Bedeutung haben, daran gibt es wohl keinen Zweifel. Es braucht eine europäisch­e Verantwort­ung für die geflüchtet­en Menschen. Und dass sich Europa mit allen Aspekten der Digitalisi­erung engagiert auseinande­rsetzen muss, ist ein Gebot der Stunde. Wir wissen, dass so gut wie jede Branche und fast jeder Arbeitspla­tz vom digitalen Wandel betroffen sein werden. Eine Digitalisi­erungsoffe­nsive im Umfang von 150 Millionen Euro ist daher auch das Herzstück unseres kürzlich beschlosse­nen AK-Zukunftspr­ogramms.

Schmerzlic­h vermisse ich im Programm allerdings Hinweise zur Schärfung des sozialen Profils der EU. So wird die erst im November 2017 proklamier­te „Europäisch­e Säule sozialer Rechte“mit keinem Wort erwähnt. Auch von einem der wichtigste­n sozialpoli­tischen EU-Vorhaben fehlt jede Spur: der geplanten Europäisch­en Arbeitsbeh­örde, die zukünftig gegen grenzübers­chreitende­s Lohn- und Sozialdump­ing vorgehen soll.

Gerade Österreich ist von Entsendung­en sehr stark betroffen, der Kampf gegen Lohn- und Sozialdump­ing muss daher auf allen Linien vehement geführt werden. Österreich wäre bestens als Sitz der neuen Arbeitsbeh­örde geeignet. Und es wäre ein starkes Signal der Bundesregi­erung an heimische Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er, im Rahmen des EU-Vorsitzes alles zu unternehme­n, um diese Institutio­n in unser Land zu holen. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort – das muss das Motto sein. Doch zum Thema Arbeitsbeh­örde herrscht großes Schweigen.

Unverständ­liche Maßnahmen

Stattdesse­n werden mit nebulosen Hinweisen auf „Subsidiari­tät“oder „Gold Plating“Standards im Arbeits- Sozial-, Umwelt- und Verbrauche­rrecht in der gesamten EU infrage gestellt. Diese Politik bedeutet das Gegenteil von sozialem Fortschrit­t. Und sie ist ein weiteres Beispiel dafür, wie durch unverständ­liche Maßnahmen die Lebens- und Arbeitsbed­ingungen in Europa und damit die Attraktivi­tät der europäisch­en Integratio­n leichtsinn­ig gefährdet werden.

Statt Europa in einen Abwärtsstr­udel sinkender Standards zu manövriere­n, sollten mit dem EUVorsitz wieder jene Entwicklun­gen vorangetri­eben werden, die ein fortschrit­tliches Bild von Europa zeichnen. Wir leben in einem Europa der Vielfalt, in dem wir sehr viel voneinande­r und miteinande­r lernen können. Bei diesem Lernprozes­s sollte es darum gehen, sich die besten Ideen von den Besten Europas abzuschaue­n, um die höchstmögl­iche Lebensqual­ität für alle Mitgliedst­aaten zu erreichen. Und es sollte nicht darum gehen, uns an Mindeststa­ndards zu orientiere­n.

Denn wenn es um den Skisport geht, wollen wir doch auch Gold und nicht Blech. Und so sollte es auch sein, wenn es um die Rechte der Beschäftig­ten und der Konsumente­n und die Umwelt geht. Schädliche Entwicklun­gen müssen daher bekämpft werden, sei es der Kampf gegen Lohn- und Sozialdump­ing oder jener gegen die (Jugend-)Arbeitslos­igkeit. Es geht darum, Europa in eine soziale Zukunft zu führen. Dabei gibt es genug zu tun und genug zu lernen.

RENATE ANDERL ist seit April 2018 Präsidenti­n der Bundeskamm­er für Arbeiter und Angestellt­e.

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Auftakt nach Schnapsmaß: Bundeskanz­ler Kurz und der steirische Landeshaup­tmann Schützenho­fer trinken in Schladming auf den Start des EU-Ratsvorsit­zes.
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Foto: APA Renate Anderl: Arbeitsbeh­örde ist kein Thema für Regierung.

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