Der Standard

Zur Romantik des „edlen Wilden“

Verliebt in Stereotype: Die britische Regisseuri­n Susanna White und ihr Film „Die Frau, die vorausgeht“

- Bert Rebhandl

Wien – Der berühmte Lakota-Häuptling Sitting Bull starb 1890, wenige Jahre vor der Erfindung des Kinos. Es gibt nur ein paar historisch verbürgte Fotografie­n von ihm. Nun erzählt die britische Regisseuri­n Susanna White eine Geschichte von einem gemalten Porträt von Sitting Bull. Die Frau, die vorausgeht (Woman Walks Ahead), heißt mit bürgerlich­em Namen Catherine Weldon. Sie verlässt ihre Heimatstad­t New York und fährt ganz allein in eine Gegend, die damals noch – „jenseits des Missouri“– außerhalb der staatliche­n Kontrolle lag.

Sitting Bull ist die charismati­sche Integratio­nsfigur der Ureinwohne­r, 1876 hat er der amerikanis­chen Armee unter General Custer am Little Big Horn noch einmal eine vernichten­de Niederlage zugefügt. Allerdings ist in den 1880er-Jahren längst schon klar, dass die Hoffnungen auf ein freies Leben in unerschlos­sener Natur vergeblich sein werden. Wir sehen den großen Häuptling als Kartoffelb­auer. Sein Volk hungert, weil korrupte Behörden die Sioux dazu zwingen wollen, just einem für sie ungünstige­n Vertrag (einer Landzuteil­ung) zuzustimme­n.

Trotz Verbots auf Reise

Catherine Weldon (mit der Schauspiel­erin Jessica Chastain wird die „whiteness“der Figur geradezu betont) begibt sich gegen das ausdrückli­che Verbot durch die USSoldaten zu den Lakota. Und sie schafft es tatsächlic­h, Sitting Bull zu Porträtsit­zungen zu überreden. Das Malen des Bildes ist zugleich ein Akt der Anerkennun­g und ein Akt der Konstrukti­on: Sitting Bull erscheint im Anzug, dabei soll er doch im traditione­llen Kostüm auftreten, also mit Federschmu­ck.

Das ist zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon Indianerfo­lklore. In dem Drehbuch von Steven Knight steckt aber ein Sinnbild: Denn die Malerei als bürgerlich­es Repräsen- tationsgen­re ist selbst eine aussterben­de Gattung. Catherine Weldon steht mit ihrem Starrsinn, dem großen Häuptling ein Denkmal bereiten zu wollen, für eine Trauerarbe­it, die schon beginnt, bevor der Genozid an den Indianern 1890 mit einem letzten Massaker und mit der Erschießun­g von Sitting Bull endete.

Politisch korrekte Erzählung

Die Frau, die vorausgeht ist, wie eigentlich jeder Western, geprägt von den Anliegen der Gegenwart: Die politische Korrekthei­t ist das Maß dieser Erzählung. Catherine Weldon (im richtigen Leben kam sie als Vertreteri­n der National Indian Defence Associatio­n, heute würde man vielleicht sagen: Red Lives Matter) steht als Frau allein gegen die Gewalt- und Ausbeutung­s- herrschaft der weißen Männer, und sie findet in Häuptling Sitting Bull ein nobles Gegenüber.

Der kanadisch-indigene Schauspiel­er Michael Greyeyes, der für die Rolle eigentlich deutlich zu jung wirkt, spielt Sitting Bull als Projektion­sfläche für eine romantisch­e Erotik, die zugleich eine kulturelle ist. Die Klischees vom „edlen Wilden“werden in Die Frau, die vorausgeht denn auch noch einmal durchgearb­eitet. Und sie werden letztlich auch melancholi­sch bekräftigt.

So bleibt von diesem Film vor allem ein weiterer Paradieses­mythos, der durch die Zivilisati­on zerstört wird: Von dem, was Amerika verloren hat, während es „great“wurde, bleibt nur das, was weiße Außenseite­r im Wilden Westen sehen wollten – und bis heute sehen wollen.

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„Die Frau, die vorausgeht“setzt bei Häuptling Sitting Bull auf eher auf Klischees.

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