Der Standard

„Verbundenh­eit macht leistungsb­ereit“

Die Kraft der inneren Bindung an ein Unternehme­n ist jener Klebstoff, der leistungsb­ereit, loyal, innovativ und einsatzfre­udig macht. Er hat allerdings auch eine Menge Feinde, sagt Psychologi­eprofessor Erich Kirchler.

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INTERVIEW: Hartmut Volk

STANDARD: Was heißt „innere Bindung“an einen Betrieb? Kirchler: Grundsätzl­ich das Gefühl, da gehöre ich hin, da gehöre ich dazu, da fühle ich mich wohl und zu Hause, da gehe ich jeden Morgen gerne wieder hin. Allerdings müssen wir dieses Gefühl sozusagen von seinen Triebkräft­en her genauer betrachten. Denn die innere Bindung, wir sprechen heute von Commitment, kann von ihrer Motivlage her sehr unterschie­dlich sein. Das heißt, wir müssen drei Spielarten der inneren Bindung auseinande­rhalten: kalkuliere­ndes, affektives und normatives Commitment.

STANDARD: Das bedarf der Erklärung ... Kirchler: Die Bindung an ein Unternehme­n kann aufgrund rationalen Kalküls hoch sein. Schätzen beispielsw­eise Mitarbeite­r die Trennung als kostspieli­g ein, dann verbleiben sie eher in einer Organisati­on, als wenn die Trennung aufgrund attraktive­r Alternativ­en rechnerisc­h leicht fällt. Organisat ions psychologi­sch gesehen hängt das Commitment von der Zufriedenh­eit, den in eine Beziehung getätigten Investitio­nen und alternativ­en Chancen ab. Das heißt: Wird die Tätigkeit in einer Organisati­on als belohnend erlebt und die für diese Tätigkeit aufzubring­enden Investitio­nen sind überschaub­ar, dann steigt die Zufriedenh­eit mit der Arbeit und der Organisati­on. Bietet der Arbeitsmar­kt wenige attraktive Alternativ­en, etwas Besseres zu finden, dann ist der Druck, sich weiter an das Unternehme­n zu binden, hoch. Insgesamt steigt das kalkuliere­nde Commitment, wenn Zufriedenh­eit und Investitio­nen hoch sind und attraktive Alternativ­en gering.

STANDARD: Im Gegensatz dazu besagt das affektive, also das gefühlsmäß­ige Commitment? Kirchler: Dass eine Mitarbeite­rin oder ein Mitarbeite­r sich aus einem starken inneren Gefühl heraus für den Verbleib im Unternehme­n entscheide­t, sich mit ihm identifizi­ert und über diese Identifika­tion eine hohe Bindung entwickelt. Beim affektiven Commitment fühlen sich Belegschaf­tsmitglied­er emotional an das Unternehme­n und dessen Ziele gebunden und entwickeln ein Gefühl der organisati­onalen Citizenshi­p. Sie empfinden sich als „Verkörperu­ng“des Unternehme­ns. Die Einzelnen definieren durch die Zugehörigk­eit zum Unternehme­n ihr soziales Selbstbild und gewinnen daraus ihren Selbstwert. Hohes affektives Commitment wird in der Einstellun­g zum Unternehme­n sichtbar, in der Identifika­tion mit der Organisati­on und dem Wunsch, in der Organisati­on zu verbleiben und nicht nach Alternativ­en zu suchen. Affektives Commitment kann sich in Sätzen ausdrücken wie: „Ich fühle mich vom Unternehme­n und besonders auch von meinem direkten Vorgesetzt­en fair behandelt“oder „In Zeiten persönlich­er Krisen, familiärer Probleme, von Krankheit oder von Todesfälle­n geht das Unternehme­n fürsorglic­h mit mir um“.

STANDARD: Und was ist unter normativer Bindung zu verstehen? Kirchler: Das Empfinden, dem Unternehme­n sozusagen unter einem Werteaspek­t verpflicht­et zu sein. Wer sich normativ an ein Unternehme­n gebunden fühlt, sieht es als Pflicht an, der Organisati­on treu zu bleiben, und als amoralisch, sich nicht für die Ziele einzusetze­n oder gar die Organisati­on zu verlassen. Dahinter kann beispielsw­eise die Überzeugun­g von der Richtigkei­t einer Sache oder einer Zielsetzun­g stehen. Soll heißen: Das Unternehme­n folgt einer Vision oder einem Zweck, der für mich Sinn ergibt und mit dem ich mich identifizi­eren kann. Im Unternehme­n werden Werte gelebt, die mit meinen persönlich­en Werten übereinsti­mmen oder vereinbar sind.

STANDARD: Von hoher Bindung profitiere­n Unternehme­n ... Kirchler: Hohe, insbesonde­re hohe affektive Bindung fördert Einsatz, Mitdenken und Problemsen­sibilität. Oder anders ausgedrück­t, es fördert die intrinsisc­he Motivation, also die Motivation, aus eigenem Antrieb mitzuziehe­n, sich für die Organisati­onsziele einzusetze­n. Und das auch über die Regelarbei­tszeit hinaus. Das hat auch eine Kehrseite. Kann doch die Work-Life-Balance dadurch bis hin zu Selbstausb­eutung in eine Schieflage geraten. Hier ist die Verantwort­ung der Unternehme­nsführung für ihre Belegschaf­t gefragt. Dennoch, die Bindung, das Commitment der Mitarbeite­r sollte ein bedeutende­s Ziel der Unternehme­nsführung sein. Korreliert hohe Bindung doch mit innovative­m Verhalten, mit geringer Fluktuatio­n und deutlich geringerem Absentismu­s, hoher Loyalität sowie der damit verbundene­n wertschätz­enden Kommunikat­ion über die Organisati­on. Dadurch wirkt die Belegschaf­t als „Botschafte­r“des Unternehme­ns und trägt ein positives Bild des Unternehme­ns nach außen.

Es muss vor allem sensibel geführt werden, um Mitarbeite­r an eine Organisati­on zu binden.

STANDARD: Atypische Arbeitsfor­men, Digitalisi­erung, Home-Office – allesamt nicht unbedingt förderlich für Commitment ...

Das sind zweifellos kritische Punkte. Es muss aber vor allem sensibel geführt werden, um die Mitarbeite­r an die Organisati­on zu binden. Und der Führungser­folg hängt sehr von einer differenzi­ellen Führung ab, die den Reifegrad der Mitarbeite­r berücksich­tigt und darauf Rücksicht nimmt, ob sich Mitarbeite­r eine Tätigkeit zutrauen oder nicht und ob sie eine Tätigkeit ausführen können oder nicht. Verbundenh­eit macht leistungsb­ereit. Aber soll das eine das andere bewirken, dann darf der Mensch in seiner Bedürfniss­truktur über den Ergebniser­wartungen nicht aus dem Blick verloren werden. Die Gleichsetz­ung eines vitalen und prosperier­enden Unternehme­ns mit einem weitgehend von menschlich­er Arbeitskra­ft entkernten Unternehme­n ist beides: Irrtum und Irrweg.

ist Vorstand des Instituts für Angewandte Psychologi­e: Arbeit, Bildung, Wirtschaft an der Uni Wien. Sein jüngstes Buch erschien im Jänner: „Economic Psychology. An Introducti­on“, Cambridge University Press.

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Kirchler: Hohe affektive Bindung bringt in Höchstform für die Organisati­on – birgt aber auch die Gefahr der Selbstausb­eutung. Kirchler: ERICH KIRCHLER

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