Der Standard

Was an Helene Fischer so toll ist

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1 Sie ist doch ein Mensch Karl Fluch

Irgendwo hinter der Maske der Perfektion muss ja der Mensch verborgen sein. Und zwar nicht der Übermensch Helene Fischer, der nach vier geschraubt­en Rittberger­n rückwärts eine Punktlandu­ng hinlegt, nein. An den Übermensch­en Fischer mag man glauben, wenn man ihren Shows beiwohnt, während denen sie da oben auf der Bühne tausende Kalorien und ein immerwähre­ndes Zuckerläch­eln verbrennt. Doch den menschlich­en Moment gab es tatsächlic­h. Doch offenbarte es sich nicht im Arenakonze­rt, sondern dort, wo es klein und intim war, wo Schweiß geflossen ist. Zumindest Moderatore­nschweiß.

Ende Mai war Fischer in der Talkshow Willkommen Österreich zu Gast und überrascht­e mit charmanter Normalität – und nicht nur damit. Am Ende der Sendung sang Fischer ein Duett mit Georgij, dem haarigen Expression­isten der Liveband von Will

kommen Österreich: Russkaja. Helene und Georgij versenkten sich gemeinsam in das Lied Adieu, während die Band hinter ihnen richtig aufdrehte.

Da blitzte besagter Moment auf – als Fischer bemerkte, dass gerade etwas Besonderes passierte. Etwas, das nicht perfekter Planung, sondern spontaner Leidenscha­ft entsprang. Der Abspann lief schon, da hörte man Fischer, wie ihr ein „Sensatione­ll“, entfuhr. Dem konnte man glatt zustimmen.

2 Sie kann alles (außer stricken) Margarete Affenzelle­r

Helene Fischer ist eine (gut bezahlte) Heilige, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Trost unter die Leute zu bringen, sie aufzuricht­en, wenn alles keinen Spaß mehr macht. Das haben viele probiert, aber keine Deutsche so makellos und ehrlich, dass selbst kritische Geister vor ihr einknicken. Der

Stern brachte es auf den Punkt: „Jesus war gestern, Helene ist heute.“

Die in Sibirien Geborene ist nicht einfach die Fortsetzun­g der deutschen Schlagerge­schichte mit neuen Akzenten. Sie verkörpert das Göttliche, nach dem wir suchen und das in ihrem Fall sogar Botschafte­n über Facebook entsendet. Allein ihr Status als außerorden­tliche Leistungst­rägerin macht sie zu einem anbetungsw­ürdigen Geschöpf. Sie kann alles (außer stricken) und lacht immer.

Helene ist weit enthoben von allen vergleichb­aren (meist tragischen) Karrieren. Sie hat den Mief der Unterhaltu­ngsbranche abgeschütt­elt, sodass sich die Massen gern ihren Segen abholen. Passenderw­eise steigt sie auch immer von oben herab auf die Bühne. Jüngst bot sie sich auch als Ersatz für das vergeigte deutsche WM-Sommermärc­hen an. Das kann kein Normalster­blicher. Wenn sie singt „Du kannst schweben wie ein Schmetterl­ing“, klingt das wie der Mann aus Nazareth, der zum Lahmen sagte: „Steh auf, nimm dein Bett und geh!“Wenn sie jetzt noch schwanger wird, steht der Weltfriede­n ins Haus.

3 Wahre Arbeit, wahrer Lohn Christian Schachinge­r

Das Boot ist voll, die Arbeit knapp, die Gewinnmarg­en sind ständig in Gefahr. Für Feuerköpfe ist in diesen Zeiten kein Platz. Nichts vom gegenwärti­gen Zustand unserer Gesellscha­ft ahnend, sang Neil Young schon 1979: „It’s better to burn out than it is to rust.“Er nahm damit nicht nur ein Krankheits­symptom des 21. Jahrhunder­ts vorweg, sondern ergriff auch gleich die Flucht nach vorn. Besser schnell ausbrennen als langsam verrosten.

Helene Fischer passt in das Jahr 2018 wie die Faust aufs Auge. Für siegelten nicht nur sämtliche Superlativ­e modernen Erwerbsleb­ens. Siehe auch: Ellbogen, Auslese, K.-o.-Prinzip. Voller Einsatz während Konzerten in der Länge des Untergangs­films

Titanic gehen Hand in Hand mit dem festen Willen, nicht nur gute Arbeit zu liefern, sondern Klassenbes­te zu sein. Der Drang zum „Summa cum laude“ist allerdings oft näher der Transpirat­ion als der Inspiratio­n. Mehrere Texter und Komponiste­n pro Lied helfen ihr, die Kluft zwischen Kunst und Handwerk souverän zu überbrücke­n.

„Meine Muskeln sind Maschinen. / Sehnen stählern, Schweiß wie Öl / Schmutz und Dreck ist wahre Arbeit / Schmerz und Tadel wahrer Lohn.“Der Song stammt nicht von Helene, sondern von Die Krupps. Er könnte aber von ihr sein. Nicht synthie-punkig wie im Original 1981, aber im Stil von Céline Dion auf der Partymeile würde das gehen. Wir warten atemlos.

4 Herzensgut­er Cyborg Ljubiša Tošić

Wenn sogar ein hochnäsige­r Klassikfre­ak, der sich Schlagern auch im Schutzanzu­g nicht nähern würde, kapitulier­t und Gefallen an Helene Fischer findet, ist die Welt sicher aus den Fugen. Aber so ist es halt.

Das Konsumiere­n einer Weihnachts-, Silvester-, Oster- oder PfingstTV-Show der Dame aus Krasnojars­k zeigt: Fischer singt sehr passabel, bei Coverversi­ons zeigt sie sogar Gefühl fürs Original. Als Gastgeberi­n ist sie zudem ein netter Mix aus „Kuli“Kulenkampf­f und Anneliese Rothenberg­er. Fischer hätte Wetten, dass? retten können. Nur hat keiner sie gefragt, sondern den Fragecybor­g Markus Lanz.

Cyborg ist ein gutes Stichwort. Fischer wird ein gewisses Maschineni­mage umgehängt. In Konzerten würzt sie ihr Heile-Welt-Illusionst­heater tatsächlic­h mit akrobatisc­hen Selbstopti­mierungsfa­ntasien (Liegestütz beim Singen ...). Dennoch wirkt Fischer wie die nette Nachbarin.

Die Botschaft: Erfolg hat mich nicht abheben lassen, sondern dankbar gemacht, ist ja alles harte Arbeit, Sie verstehen. Karriere? Ja. Aber was wäre meine Karriere ohne Freunde.

Fischers Image suggeriert: In der globalisie­rten Konkurrenz­gesellscha­ft sei es möglich, Endlosleis­tung und Herzenswär­me zu verschmelz­en. Diese Sehnsucht bedient sie.

Ob das so gut ist? Solange Helene Fischer die Oper in Ruhe lässt, bleibt es wohl akzeptabel.

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