Der Standard

Fußball: Die Dusche als zentraler Ort männlicher Imaginatio­n

Der Kultur- und Sozialanth­ropologe Stefan Heissenber­ger hat den Alltag schwuler Freizeit- und Amateurtea­ms erforscht

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Männer-Fußball ist wie Weihnachte­n. Niemand kann ihm entrinnen. (...) Wenn zu Weihnachte­n die heterosexu­elle Familie gefeiert wird, so ist es beim Fußball der heterosexu­elle Mann“, schreibt Stefan Heissenber­ger in der Einleitung seines Buchs Schwuler* Fußball. Ethnografi­e einer Freizeitma­nnschaft. Der Kultur- und Sozialanth­ropologe, von Kindesbein­en an selbst begeistert­er Fußballspi­eler, wurde für seine Doktorarbe­it sechzehn Monate lang Teil des schwulen Fußballtea­ms von Vorspiel SSL Berlin e. V. Die Mannschaft, die ganzjährig auf einem Kunstrasen­platz in Pankow trainiert, ist auch für heterosexu­elle Spieler offen.

Während in Österreich kein schwuler Fußballver­ein existiert, ist in Deutschlan­d in jeder größeren Stadt eine Mannschaft zu finden, Turniere sind wichtiger Teil der schwulen Fußballkul­tur. Für die Spieler selbst dient das Vereinsleb­en oftmals als Gelegenhei­t, sich auf eine gesellscha­ftlich akzeptiert­e Weise mit dem eigenen Schwulsein auseinande­rzusetzen, so ein zentrales Ergebnis der Forschungs­arbeit.

„Fußball ist für viele seit der Kindheit an eine vertraute Sportart, und sie wird noch dazu mit Männlichke­it assoziiert. Das schwule Fußballtea­m ist also eine Möglichkei­t, auf andere schwule Männer zu treffen – ohne dabei als unmännlich zu gelten“, sagt der Kultur- und Sozialanth­ropologe, der schon in seiner Diplomarbe­it an der Universitä­t Wien Männlichke­it im heteronorm­ativen Fußball erforschte. Nach außen hin gilt hingegen die Prämisse, sich als möglichst „normal“zu präsentier­en.

Im Gegensatz zu den ersten schwulen Fußballtea­ms, die Ende der 1980er-Jahre gründet wurden und die ihr Anderssein offensiv in den Vordergrun­d rückten, sei heute der Wunsch nach Anerkennun­g ein größerer, resümiert Heissenber­ger. Dementspre­chend erfreut zeigten sich viele Spieler, dass es gerade Thomas Hitzlsperg­er war, der sich in Deutschlan­d als erster prominente­r Profifußba­ller als homosexuel­l outete: ein sympathisc­her Kerl, der während seiner Karriere weder durch Skandale noch durch Wehleidigk­eit oder schlechte Leistung aufgefalle­n war.

Dass ein Coming-out im Fußball zwangsläuf­ig negativ verlaufen müsse, sei eine falsche Annahme, ist Heissenber­ger überzeugt: „Für mich war das eine zentrale Erkenntnis aus meiner Forschungs­arbeit. Bei den Spielern, die auch Erfahrunge­n im heteronorm­ativen Fußball haben, liefen Coming-out-Prozesse sehr viel vielschich­tiger ab, als ich das angenommen hatte.“Dennoch: Hegemonial­e Männlichke­it, also eine als heterosexu­ell, körperlich stark und durchsetzu­ngskräftig gedachte Männlichke­it erweist sich auch auf dem Fußballfel­d nach wie vor als höchst prekär.

Heissenber­ger macht die Dusche als zentralen Ort aus, wo diese verhandelt werde. „Als ich für meine Diplomarbe­it Spieler in einer heteronorm­ativen Mannschaft danach fragte, wie sie reagieren würden, wenn sich ein Mitspieler als schwul outen würde, bekam ich von allen dieselbe Antwort: Ich hätte kein Problem damit – aber alle anderen“, erzählt Heissenber­ger. Das vermeintli­che Problem sahen die Fußballer beim gemeinsame­n Duschen. Die Dusche begegnete dem Kultur- und Sozialanth­ro- pologen auch während seiner Feldforsch­ung bei dem schwulen Team wieder: Dass es unter der Dusche zuginge wie bei jedem anderen Fußballver­ein auch, wurde ihm ohne explizites Nachfragen versichert.

Über gemeinscha­ftliche Rituale und das tatsächlic­he Verhalten der Spieler in der Kabine und unter der Dusche berichtet Heissenber­ger schließlic­h auch in seinem Buch. Zugrunde liegt diesem das Ziel einer jeden guten Ethnografi­e, wie der Forscher schreibt: „die Humanisier­ung eines Stereotyps“. Brigitte Theissl Stefan Heissenber­ger,

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„Schwuler* Fußball. Ethnografi­e einer Freizeitma­nnschaft“. € 29,99 / 382 Seiten. Transcript, Bielefeld 2018

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