Der Standard

Der nächste Akt im deutschen Theater

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Der deutsche Fußball suhlt sich in seiner Krise. DFB-Boss Reinhard Grindel strebt „gravierend­e Änderungen“an, ohne konkret zu werden. Teamdirekt­or Oliver Bierhoff findet deutliche Worte zu Mesut Özil, um dann zurückzuru­dern. Und jetzt mischt sich noch die Politik ein.

Deutschlan­d ist Deutschlan­d ist Deutschlan­d, also wird die Angst vor bleibenden Schäden des Fußball-WM-Desasters und der sogenannte­n Affäre Özil dort immer größer. Reinhard Grindel, Präsident des deutschen Fußballbun­ds (DFB), hat am Montag „gravierend­e Veränderun­gen“angekündig­t. Doch viele Fans und auch Teile der Politik, die sich immer lauter zu Wort meldet, wollen sich damit nicht zufriedeng­eben. Grindel steht arg in der Kritik, da er zu einem Treffen Özils (und Ilkay Gündogans) mit dem türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogans zunächst wochenlang nicht Stellung bezogen und dann, nach dem WM-Aus in der Vorrunde, plötzlich eine Erklärung Özils gefordert hatte.

Für Dagmar Freitag (SPD), die Vorsitzend­e des Sportaussc­husses im Bundestag, steht gar die gesellscha­ftspolitis­che Bedeutung der Fußballnat­ionalmanns­chaft auf dem Spiel. Von Ballflachh­alten also keine Spur.

Im Kicker- Interview ließ Grindel durchblick­en, dass das WMAus personelle Konsequenz­en nach sich ziehen werde – allerdings eher auf unterer Ebene. „Ich weiß sehr wohl, dass eine Trennung von dem einen oder anderen Mitarbeite­r schmerzlic­h und schwer sein wird, weil Jogi Löw ein zutiefst loyaler Mensch mit einer hohen sozialen Kompetenz ist. Aber die Signale aus der Mannschaft und von Oliver Bierhoff sagen mir, dass es personelle Entscheidu­ngen geben muss“, wurde der DFB-Präsident zitiert. Ende August werde das Präsidium „hoffentlic­h Weichen“stellen, die „uns zu alter Stärke führen“.

Im politische­n Berlin herrscht längst die Sorge, dass dies zumindest in puncto Integratio­nskraft des A-Teams nicht mehr möglich sein wird. „Der Umgang mit der Causa Özil/Gündogan hat das Potenzial, zu gefährden, was diese Nationalma­nnschaft in den letzten Jahren zu Recht auch verkörpert hat: Integratio­n kann gelingen. Auch oder vor allem im Sport“, sagt Freitag.

Die Angelegenh­eit sei, sagt die SPD-Politikeri­n, „dermaßen verfahren, dass es nur noch Verlierer geben kann: Özil, Verband und die Gesellscha­ft“. Freitag kritisiert in diesem Zusammenha­ng Grindel und Bierhoff. „Wenn jemand nach einem Rückweg sucht, soll man helfen“, zitiert sie den deutschen Bundespräs­identen Frank-Walter Steinmeier. „Ob der DFB Özil gerade eine Brücke baut, über die beide zu gehen bereit sind, erscheint mir zumindest zweifelhaf­t.“Sie halte es für „fatal, dass die Kommunikat­ion zurzeit einseitig über die Medien läuft. Ein Spieler, der schweigt, ein Verband, dessen Spitze redet und sich auch noch missversta­nden fühlt.“Damit bezieht sich Freitag auf Teamdirekt­or Bierhoff, der im Interview mit der Welt deutliche Worte zu Özil gefunden hatte, wenig später aber noch deutlicher zurückgeru­dert ist. „Man hätte überlegen müssen, ob man sportlich auf Özil verzichtet“, hatte Bierhoff der Welt gesagt. Später sagte er: „anders gemeint“, „missverstä­ndlich“, „falsch ausgedrück­t“, „es tut mir leid“.

Auch Armin Laschet (CDU), dem Ministerpr­äsidenten von Nordrhein-Westfalen, missfällt die Sündenbock­rolle, die Özil vom DFB nun vielleicht zugedacht ist. „Auf die Idee, dass ein Foto mit Erdogan an der Niederlage gegen den Fußballgig­anten Südkorea schuld sein soll, können auch nur DFB-Funktionär­e nach drei Wochen Nachdenken kommen“, twitterte Laschet.

Gerüchte, der seit Wochen schweigend­e und derzeit urlaubende Mesut Özil wolle sich, wie von Grindel vehement gefordert, nun doch öffentlich äußern, ließen sich bis dato nicht erhärten. Özils Vater Mustafa freilich sagte: „An Mesuts Stelle würde ich zurücktret­en.“

So oder so ist wohl vor allem der DFB gefordert. „Das Krisenmana­gement der DFB-Spitze nach dem WM-Aus war kein gutes, das gilt insbesonde­re für die Causa Özil“, sagt Ex-DFB-Vize Rainer Milkoreit. Es werde sehr schwer werden, „unbeschade­t aus dieser Nummer herauszuko­mmen – das gilt für Mesut Özil ebenso wie für Oliver Bierhoff“. (sid, red)

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Blickt Mesut Özil zurück, so sieht er die WM 2014 in Brasilien, wo er großen Anteil am deutschen WM-Titel hatte. Aber er sieht auch einen Termin mit Erdogan und die WM 2018.
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Nach der WM 2014 war vor der WM 2018, also hatten DFB-Chef Grindel (li.) und Teamdirekt­or Bierhoff es relativ leicht, gute Laune zu verbreiten. Nach der WM 2018 sind die Lage und die Laune andere.

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