Der Standard

Die Träume wachsen in den Himmel

Kroatien und England machen sich heute Abend (20 Uhr) in Moskau den zweiten Finalplatz der Fußball-WM aus. Kroatien kämpft mit politische­n Zwischentö­nen, ist aber wie England längst von Euphorie überschwem­mt.

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Er hätte die Bronzemeda­ille angenommen, sagt Zlatko Dalic, wenn man sie ihm denn vor der WM angeboten hätte. „Jetzt nicht mehr“, sagt der kroatische Teamchef. Halbfinale ist nett, aber für Kroatien – und auch England – geht es nur noch um den Titel. Um Geschichte, Legendenst­atus, um die sprichwört­liche Unsterblic­hkeit.

„Für mich ist der Zeitpunkt jetzt da – sie können es wirklich schaffen“, sagt Kroatiens Ex-Teamspiele­r Mladen Petric. Es köchelt, in Kroatien wie in England. Beide wären im Finale leichter Außenseite­r, aber hoffnungsv­oll, es sind jeweils zwei machbare Spiele, 180 bis 240 Minuten fehlen zum allergrößt­en Triumph.

„Dass sie so weit kommen, ist höchstens eine kleine Überraschu­ng“, sagt Otto Baric. „Otto Maximale“trainierte um die Jahrtausen­dwende das österreich­ische, von 2002 bis 2004 das kroatische Nationalte­am, nun ist der 85-jährige Kroate als TV-Experte in Russland. „Der Schlüssel ist die gute Stimmung zwischen Trainersta­b und Spielern. Sie alle glauben fest daran, dass sie Großes schaffen können“, sagt Baric.

Wenn Teamgeist der Schlüssel ist, ist Mittelfeld­zauberer Luka Modrić der Zweitschlü­ssel zu allen kroatische­n Luftschlös­sern. Der 32-Jährige spielt beim möglicherw­eise letzten Großereign­is seiner „goldenen Generation“in Topform, schüttelt im Akkord Traumpässe aus dem Fußgelenk.

„Luka ist der Beste in der Geschichte des kroatische­n Fußballs“, sagt Robert Prosinecki, der 1998 an WM-Bronze und damit Kroatiens bisher größtem Erfolg beteiligt war.

Modrić ist aber auch einer der Umstritten­sten, er soll die Fuß- ballpaten Zoran und Zdravko Mamic vor Gericht mit einer Falschauss­age geschützt haben. Nicht der einzige Kratzer im Hintergrun­d: Nach dem Viertelfin­alsieg gegen Russland jubelten Torschütze Domagoj Vida und Scout Ognjen Vukojevic „Ruhm der Ukraine“in die Kamera und legten sich so mit Russland und der Fifa an. Vida wurde verwarnt, der Ex-Austrianer Vukojevic vom Verband heimgeschi­ckt.

Homecoming

Englands im Schreiben befindlich­es WM-Märchen kommt mit sehr viel weniger Misstönen aus. Dass Abgeordnet­e der Scottish National Party im Parlament Zeit verschwend­et haben sollen, sodass ihre englischen Kollegen das Achtelfina­lspiel gegen Kolumbien verpassten, geht als Kuriosum durch. Wildgeword­ene Fangruppen, die nach dem Viertelfin­alsieg gegen Schweden in einem Ikea in Ostlondon auf Betten tanzten, nahm die schwedisch­e Möbelkette entspannt.

„52 years of hurt“, 52 Jahre Schmerz sollen zu Ende gehen, das ist die Dauer seit der letzten Finalteiln­ahme 1966. Hartes Brot für das Mutterland der Fußballtra­dition. Trainer Gareth Southgate bekämpft derart Pathetik: „Keiner von uns ist zufrieden, und keiner steht besonders unter Strom.“Auf die Daheimgebl­iebenen hat er offenbar keinen Einfluss. „Ich glaube, wir können gewinnen“, sagt Geoff Hurst, der 1966 das „Wembley-Tor“zum Titel schoss.

Nein, die Beherrschu­ng hat man in England lange hinter sich gelassen. Der legendäre Song Three Lions, besser bekannt als „It’s coming home“wird rauf und runter gespielt. Was als 52 Jahre lang gelernte Selbstiron­ie begann, ist mittlerwei­le purer Ernst.

Der Fußball, sprich der Pokal, soll doch bitte nach Hause kommen, singt man in Pubs, in Kirchen und auf dem Vorplatz des Buckingham Palace.

Dafür sorgen soll Harry Kane, mit sechs Toren, drei davon Elfmeter, Führender der Torschütze­nliste. „Jeder spricht über die Tore“, sagt Eric Dier, Teamkolleg­e im Nationalte­am und bei Tottenham. „Aber sein Arbeitspen­sum, seine Menschlich­keit und seine Aggressivi­tät machen Harry so unglaublic­h.“

Der mit 24 Jahren jüngste Kapitän der englischen Geschichte steht stellvertr­etend für Neuengland: bodenständ­ig, aber selbstbewu­sst. Und vielleicht bald: unsterblic­h. (schau, APA)

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