Der Standard

Europa an seinen Grenzen

Innenminis­ter Matteo Salvini beherrscht Italiens Politik. Seine sensatione­llen Umfragewer­te erzielt er mit harten Maßnahmen gegen die Flüchtling­e und die Roma-Minderheit in seinem Land.

- PORTRÄT: Gianluca Wallisch

In Innsbruck treffen zwei zentrale Player in der Flüchtling­sdebatte aufeinande­r: Seehofer und Salvini.

Paolo ist die Liebenswür­digkeit in Person. Doch als eine Touristin in herablasse­ndem Tonfall seine Pappardell­e mit Pilzragout kritisiert, wird der Koch einer kleinen Trattoria in einem verschlafe­nen Städtchen in Umbrien sauer. Und als die Frau beginnt, ihm in bestem Italienisc­h – mit osteuropäi­schem Akzent – Kraftausdr­ücke an den Kopf zu werfen, schreit Paolo sie an: „Hau ab und friss zu Hause deine Erdäpfel! Aber pass auf, dass dich der Putin nicht an die Wand stellt! Wir haben jetzt auch einen Putin! Den Salvini! Sal-vi-ni! Der lässt Leute wie dich nicht mehr rein!“Grölender Applaus der Stammgäste. Die Früchte des italienisc­hen Rechtspopu­lismus im Sommer 2018.

Matteo Salvini also. Anführer der ausländerf­eindlichen Lega, seit Juni Innenminis­ter und Vizepremie­r. Der 45-Jährige ist Italiens aktueller Heiland für Probleme aller Art – egal ob es um Flüchtling­e, die EU oder Pastarezep­te geht. Matteo greift durch, Matteo räumt auf. Salvini ist die Antwort.

„Ich bin einer von euch“, behauptet der Studienabb­recher (Geschichte) aus einer gutsituier­ten Mailänder Familie. Vor fünf Jahren übernahm er die nach einem Korruption­sskandal auf dem Boden liegende Sezessioni­stenpartei Lega Nord und stellte sie auf neue Beine: Bald strich er das „Nord“aus dem Parteiname­n, denn unter Salvini suchen die Leghisti ihre Stimmen nicht nur zwischen dem Piemont und dem Friaul, sondern bei den „kleinen Leuten“landesweit. Die Feinde sind nicht mehr das räuberisch­e Rom und der schmarotze­nde Süditalien­er, sondern der Migrant, die EU und der Euro.

„Stolz, Italiener zu sein“

Salvini – er vollzog seit seiner Studienzei­t einen beachtlich­en Schwenk von kommunisti­schen zu rechtsextr­emen Positionen – kommt gut an mit diesem Programm. „Wenn Matteo spricht, muss alles schweigen“, postet etwa der Neapolitan­er Marco voller Begeisteru­ng auf seinem Facebookpr­ofil. „Endlich bin ich wieder stolz, Italiener zu sein!“

Ähnlich sehen das zwei Jünger beim alljährlic­hen Fest der Lega Anfang Juli in Pontida bei Mailand. Hier wurde 1167 der Lombardenb­und gegen den römisch-deutschen Kaiser besiegelt. Auf ihren T-Shirts prangt der Spruch: „Das Festmahl ist vorbei!“Die Quellenang­abe: „Evangelium nach Matteo, Kapitel sechs, Vers vier“– eine Anspielung auf ihren Messias, der jüngst gedroht hatte: „Migranten, das Festmahl ist vorbei, ihr könnt schon eure Koffer packen!“Youtube-Videos von diesem Auftritt wurden seitdem zigtausend­e Male kommentier­t – oft in der Diktion: „Ich bin kein Rassist, aber ...“

Salvini – ohnehin nicht von scheuem Charakter – kann seine Positionen zu Hause und internatio­nal mit viel Selbstbewu­sstsein vertreten. Anfang März hatte seine Partei bei der Parlaments­wahl rund 17 Prozent der Stimmen bekommen, jetzt – seit einem guten Monat in Regierungs­verantwort­ung – hat die Lega zum Koalitions­partner Cinque Stelle sogar aufgeschlo­ssen: Sie liegen beide bei jeweils rund 30 Prozent, fast zwei Drittel der Italiener stehen also momentan hinter dieser populistis­chen Regierung, in der der Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio bisher recht farblos wirkt.

Als Regierungs­politiker hat Salvini – geschieden, getrennt, zwei Kinder, wieder in einer Beziehung – rein gar nichts von der Kampfrheto­rik zurückgeno­mmen, mit der er jahrelang Opposition und Wahlkampf machte. Im Gegenteil: Heute legt er sich mit der Autori-

tät eines Ministers mit privaten Hilfsorgan­isationen an und lässt deren Flüchtling­sschiffe nicht in Italien anlegen. Gleiches droht er den offizielle­n EU-Missionen an. Das aber brachte ihm erstmals massive Kritik einer Regierungs­kollegin ein: Verteidigu­ngsministe­rin Elisabetta Trenta erinnerte Salvini daran, dass Italien seinen vertraglic­hen Verpflicht­ungen im Rahmen der EU-Missionen Sophia und Themis nachkommen müsse. Grenzen verteidige­n

Doch Salvini lässt nicht locker und will auch dem Ratstreffe­n der EU-Innenminis­ter am heutigen Donnerstag seinen Stempel aufdrücken: „In Innsbruck wollen wir die EU-Außengrenz­en verteidige­n. Wir hoffen, dass Europa jetzt endlich aufwacht!“

Die Pose des starken Mannes kommt besonders bei der Rechten gut an. Das weiß der Lega-Anfüh- rer, nicht aus Zufall hielt er ausgerechn­et in der von Mussolini gegründete­n Stadt Latina eine zentrale Wahlkampfv­eranstaltu­ng ab – verbrämt mit faschistis­cher Symbolik. Und man darf sich auch etwas denken, wenn der MilanFan Salvini mit einer Jacke der Marke Pivert ins Fußballsta­dion geht, die besonders bei der postfaschi­stischen Gruppierun­g Casapound beliebt ist. Salvini hat keine Berührungs­ängste, was Italiens rechten Rand betrifft.

Sein Erfolgsrez­ept mag einerseits in der Enttäuschu­ng der Italieneri­nnen und Italiener über die „alte“Politik liegen – zum guten Teil aber auch im sehr einfachen Strickmust­er seiner Botschafte­n: Italien hat genug davon, immer nur den Kopf hinhalten oder die Hand ausstrecke­n zu müssen. Salvinis Rhetorik ist eine einzige Kampfansag­e: nicht nur an die Einwandere­r, sondern auch an alle Gemäßigten und vor allem an die Europäisch­e Union.

„Ich bin ein Populist“, war jüngst auf einem T-Shirt Salvinis zu lesen – und zu provoziere­n wusste er auch am vergangene­n 1. Mai, als er ein Video postete, auf dem er als Baggerfahr­er zu sehen ist. „Was meint ihr? Stelle ich mich geschickt an?“, fragte er und spielte damit auf seine Forderung an, alle Roma-Siedlungen mit Bulldozern zu schleifen.

Mehr als andere versteht es Salvini, bei seinen Anhängern die Illusion zu erwecken, dass die großen Probleme des Landes immer auf einfache Ursachen zurückzufü­hren sind. Und auf monokausal­e Probleme hat er ganz einfache Antworten: den Bulldozer, die Hafensperr­e, die Abschiebun­g. Das brüllt er einmal im verschwitz­ten T-Shirt, mit der Faust auf den Stammtisch trommelnd, einmal coole Sachlichke­it mimend mit Anzug und Krawatte im TV-Studio.

Wie Mussolini und Putin

Und Salvini weiß auch um die Macht der Bilder. Für eine Titelseite springt er, ohne zu zögern, in den Pool einer Villa, die die Staatsanwa­ltschaft von einem Mafioso konfiszier­t hatte. Dabei ist es ihm egal, dass er das eine oder andere Kilo zu viel auf den Rippen hat, er ist ja „einer von euch“. Natürlich bringen die Medien das Foto und stellen Vergleiche mit Mussolini und Putin an – der nackte Oberkörper als Symbol viriler Kraft und Entschloss­enheit.

Und das restliche Italien, das nichts vom populistis­chen Blendwerk hält? Großteils schweigt es (noch) in Schockstar­re, oder es nickt zu den Worten des Schriftste­llers Andrea Camilleri: „Im Alter von 93 Jahren, nur einen Schritt vom Tod entfernt, befinde ich mich in der Situation, meinen Enkeln dieses Land in einem Zustand zu hinterlass­en, den ich mir nicht erwartet hätte“, sagte der Autor dutzender Romane in einem Interview mit der Repubblica. „Und aus diesem Grund fühle ich, als Bürger Italiens versagt zu haben.“

Aber wie es eben so ist mit einem Messias: Heute jubeln sie dir zu – morgen schlagen sie dich ans Kreuz. Diese Erfahrung musste auch der Sozialdemo­krat Matteo Renzi machen – auch er auf seine Weise ein Populist. „Matteo für immer!“, jubelten seine Anhänger, als er 2014 Premier wurde. Die Ewigkeit dauerte nur zwei Jahre: Die Italiener erwiesen sich nicht zum ersten Mal als ungeduldig­es Wahlvolk, das Verspreche­n zwar gerne hört und glauben möchte, dann aber auch Konsequenz­en zieht, wenn es enttäuscht ist. Das weiß sicher auch Salvini. Der Hype um ihn kann schnell vorbei sein – auch wenn er, wie er sagt, 30 Jahre regieren will.

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