Der Standard

Homo erectus verließ Afrika früher als gedacht

In China entdeckte Steinwerkz­euge sind fast 300.000 Jahre älter als vergleichb­are Funde

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Peking/Wien – Warum der moderne Mensch vor 100.000 Jahren Afrika verließ, um den Rest der Welt zu erobern, ist nach wie vor umstritten. Aktuell geht man davon aus, dass die treibende Kraft hinter seiner Wanderlust eine Kombinatio­n aus klimatisch­en Veränderun­gen in seinen ursprüngli­chen Heimatregi­onen und der Entwicklun­g neuer Waffentech­nologien gewesen sein dürfte, die durch eine bessere Nahrungsve­rsorgung für ein Bevölkerun­gswachstum und damit in weiterer Folge für einen verstärkte­n Ressourcen­druck sorgte.

Homo sapiens war allerdings nicht der Erste aus der Gruppe der Hominini, der Afrika verließ. Mindestens zwei Millionen Jahre davor hatte sich schon Homo erectus auf den Weg in Richtung Asien und letztlich auch Europa gemacht, vermutlich aus den gleichen Gründen. Die ältesten heute bekannten menschlich­en Überreste jenseits des afrikanisc­hen Kontinents wurden in den frühen 1990er-Jahren östlich des Schwarzen Meers in Georgien ausgegrabe­n. Die berühmten Schädel und Skelettfra­gmente von Dmanissi weisen ein Alter von 1,8 Millionen Jahren auf und belegen damit, dass Homo erectus wohl der allererste „Global Player“unter den Menschenar­ten war.

Aber repräsenti­eren diese Gebeine tatsächlic­h den Beginn der weltweiten Ausbreitun­g der Gattung Homo? Oder begann die Auswanderu­ng womöglich sogar noch früher? Ein internatio­nales Team um Zhaoyu Zhu von der Chinesisch­en Akademie der Wissenscha­ften hat nun im Fachjourna­l Nature eine Reihe von Funden vorgestell­t, die genau darauf hindeuten: Die Wissenscha­fter legten in den unwegsamen Hügeln bei Shangcheng im Süden des Lössplatea­us in Nordchina zahlreiche Steinwerkz­euge frei, die vergleichb­are Entdeckung­en weit in den Schatten stellen.

Uralte Steinwerkz­euge

Was diese Entdeckung so spektakulä­r macht, ist die Datierung der Sedimentsc­hicht, in der die eindeutig bearbeitet­en Steine gefunden wurden: Mithilfe paläomagne­tischer Methoden kamen die Forscher auf ein Alter von rund 2,1 Millionen Jahren. Damit dürfte es sich um die ältesten Spuren menschlich­er Aktivität außerhalb von Afrika handeln.

Die Funde bestehen großteils aus Rundsteine­n und abgeschlag­enen Steinsplit­tern, die sich deutlich von den lokal vorgefun- denen natürliche­n Steinvorko­mmen unterschei­den. Die Forscher vermuten, dass diese Werkzeuge aus großer Ferne herangesch­afft wurden und auch woanders hergestell­t worden waren. Die Analysen der Funde untermauer­t überdies die Datierung: Die Methode, mit der diese Steine bearbeitet wurden, gleicht in vieler Hinsicht Werkzeugen aus demselben Zeitraum, die von Homo erectus in Afrika hergestell­t wurden.

Wofür diese Werkzeuge konkret benutzt wurden, ist freilich weitgehend unklar. Knochen von Rindern, Hirschen und Schweinen, die in derselben Fundschich­t auftauchte­n, weisen jedoch darauf hin, dass sie zum Zerteilen von Jagdbeute verwendet worden sein könnten. Auch das Wandertemp­o des Homo erectus lässt sich möglicherw­eise aus diesen Funden erschließe­n: Sollte die Datierung der Steinartef­akte akkurat sein, brauchten unsere Vorfahren für die rund 14.000 Kilometer zwischen Afrika und Südostasie­n etwa 1000 bis 3000 Jahre – das entspricht etwa fünf bis 15 Kilometer pro Jahr. (tberg)

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Foto: Zhaoyu Zhu Eines der ältesten Steinwerkz­euge außerhalb von Afrika.

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