Der Standard

Faustrecht der roten Prärie

Mit „Sweet Country“ist dem Australier Warwick Thornton ein formidable­r Outback-Western geglückt: eine Geschichte über Rache und Gerechtigk­eit in bedrückend schöner Landschaft.

- Dominik Kamalzadeh

Es gibt nicht viel her, das dürre, von rotem Staub bedeckte Land rund um Alice Springs im Herzen Australien­s. Ein Farmer besitzt ein kleines Feld mit Wassermelo­nen. Ein anderer ist neu hergezogen, seine Fähigkeite­n, irgendetwa­s zu erwirtscha­ften, erscheinen eher begrenzt. Abends tritt er betrunken mit dem Gewehr aus dem Haus und exerziert auf seiner Veranda – der Erste Weltkrieg hat ihn nachhaltig traumatisi­ert. Bis so ein Mann in einem Western für Unheil sorgt, dauert es meistens keine Ewigkeit.

Tatsächlic­h verblutet dieser Harry March (Ewen Leslie) in Sweet Country nicht viel später an einer Schusswund­e an seinem Hals. Abgefeuert hat die Kugel Sam Kelly (Hamilton Morris), ein Aborigine, der in Notwehr gehandelt hat. Doch da die indigene Bevölkerun­g im Australien des Jahres 1929 einen ähnlich prekären Status wie Schwarze in den USA hat und deshalb auf kein faires Verfahren hoffen darf, ergreift er gemeinsam mit seiner Frau die Flucht. Ein von einem wild entschloss­enen Sergeant (Bryan Brown) angeführte­r Suchtrupp sitzt ihm bald auf den Fersen.

Sweet Country, 2017 in Venedig mit dem Spezialpre­is der Jury ausgezeich­net, ist der zweite Spielfilm von Warwick Thornton (Samson & Delilah), der nicht nur selbst aus Alice Springs kommt, sondern auch aus einer Aborigines-Familie stammt. Das von weißen Helden dominierte Westerngen­re nun mit der Geschichte der Unterdrück­ung seines Volkes zu durchmisch­en macht seinen Film so besonders.

Jäger und Gejagte

Thornton bleibt dabei einem klassische­n Narrativ mit ruhigen, aber wuchtigen Bildern verpflicht­et. Er akzentuier­t es durch seine Figurenzei­chnung so, dass die weißen Siedler genauso wie die Ureinwohne­r Widersprüc­he auf- zulösen haben. Faustrecht oder höhere Gerechtigk­eit, kulturelle Anpassung oder Abkehr – so könnten die Alternativ­en lauten.

Schon in der Jagd auf Sam Kelly brechen die feinen Unterschie­de innerhalb der Gruppe der Verfolger hervor: Sam Neill, der Star im Cast, spielt den Priester Fred Smith, bei dem Sam Kelly anders als die meisten Angehörige­n seines Volkes in Freiheit leben konnte. Einen Gegenpol verkörpert der auf Vergeltung sinnende Sergeant; einen weiteren Archie, ein Aborigine (Gibson John), der auf die Seite der Weißen gewechselt ist und als Fährtenles­er dient.

Je weiter die Truppe in das noch unbesiedel­te Land vordringt, umso mehr treten auch die elementare­n Grundzüge der Figuren her- vor, gehen die Gefühle hoch. Thornton hat Sweet Country gemeinsam mit seinem Kameramann Dylan River auch fotografie­rt, die Landschaft lässt er weniger majestätis­ch, sondern bei aller Schönheit auch seltsam nackt und bedrückend erscheinen. Irgendwann ist der Sergeant dann nur noch allein durch die Salzwüste unterwegs und entgeht nur knapp – und äußerst glücklich – dem Tod durch Verdursten.

Auch wenn manche Charaktere anfangs noch holzschnit­tartig wirken, geht es Thornton doch mehr darum, eine Kultur der Pioniere zu beschreibe­n, in der die starren Positionen aufweichen und die Unterschie­de verschwimm­en. Selbst Sam und seine Frau können nicht zu ihren Ursprüngen zu- rück. Zu weit sind sie schon von der neuen Zivilisati­on umfangen, sie haben etwa auch den christlich­en Glauben der weißen Siedler angenommen. Letztlich bleibt ihnen nur die Möglichkei­t, sich auf deren Rechtssyst­em zu berufen.

Provisoris­ches Gericht

Thornton ist sich freilich bewusst, dass es in diesem „sweet country“allenfalls eine Idee von Gerechtigk­eit geben kann – für die Umsetzung derselben scheint das Land noch nicht reif. Das Gericht, das am Ende Sams Fall aufgreift, hat im Ort noch nicht einmal ein eigenes Haus.

Dafür, dass es zwischen der noch primitiven Siedlerkul­tur und der indigenen Bevölkerun­g noch lange keine gemeinsame Basis geben wird, findet Thornton auch eine einfache, aber wirkungsvo­lle Übersetzun­g. In kurzen, blitzlicht­artigen Szenen greift der Film wiederholt auf die Zukunft vor (und bisweilen auch in die Vergangenh­eit zurück). Das betont den tragischen Zyklus dieser Erzählung, aus der es noch keinen Weg in die Freiheit gibt. „Welche Chance hat dieses Land?“, fragt der Priester am Ende. Eine Antwort bekommt er nicht. Jetzt im Kino

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Ihren weißen Verfolgern nur einen Schritt voraus: Natassia Gorey Furber und Hamilton Morris sind auf der Flucht durch das „Sweet Country“Australien­s.

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