Der Standard

Karger Lohn für helfende Hände

Die Pflege älterer Familienmi­tglieder wird in Österreich als familiäre Aufgabe gesehen. Zuständig sind dafür meist Frauen – für Gotteslohn. Der Wert der Arbeit wird aber auch vielen profession­ellen Kräften kaum abgegolten.

- Regina Bruckner

Es ist nicht lange her, dass heimische Pflegekräf­te auf die Barrikaden gingen. Bessere Rahmenbedi­ngungen und höhere Gehälter forderten sie im Februar. Wieder einmal. Erst nach sechs Verhandlun­gsrunden kam man mit den Arbeitgebe­rn – in der Hauptsache die großen Sozialvere­ine Volkshilfe, Hilfswerk, Lebenshilf­e und Pro Mente – auf einen grünen Zweig.

Fürs Erste ist diese eine Baustelle beseitigt. Die Probleme sind damit nicht gelöst. Das Land Salzburg schlug dieser Tage Alarm, man könne den Bedarf an Hauskranke­npflege nicht mehr decken. Es fehlen die Pflegekräf­te. „Der Pflegeberu­f hat momentan ein Imageprobl­em, das müssen wir dringend gemeinsam lösen“, sagt der Salzburger Sozialland­esrat Heinrich Schellhorn (Grüne). Ein Hebel sei das Gehalt.

Schellhorn sagt damit nichts Neues. Geht es um die Saläre in der Branche, gibt es kaum jemand, der findet, dass sie adäquat sind. Unabhängig davon, ob man Beschäftig­te, Wissenscha­fter, Gewerkscha­fter oder auch so manche Anbieter entspreche­nder Dienste fragt. Letztere tun sich leicht, sie spielen den Ball an die Politik weiter. Die gesellscha­ftliche Frage, „wie wir den Bereich finanziell ausstatten“, sei berechtigt, sagte etwa Walter Marschitz, Geschäftsf­ührer der SWÖ (Sozialwirt­schaft Österreich) rund um die KV-Verhandlun­gen der Sozialvere­ine. Der oberösterr­eichische AK-Präsident Johann Kalliauer spricht aus, was viele in der Branche denken: „Die Bedeutung der Pflege ist halt in erster Linie ein wichtiges Thema in politische­n Sonntagsre­den.“

Zersplitte­rte Branche

Doch ist es um die Bezahlung wirklich so schlecht bestellt? Ganz einfach ist die Frage nicht zu beantworte­n. Denn wie viele Menschen in der Pflege älterer Menschen beschäftig­t sind, weiß man nicht, sagt Ulrike FamiraMühl­berger vom Wirtschaft­sforschung­sinstitut. Erst seit Juli dieses Jahres trägt man diesem Umstand mit der Registrier­ung der Gesundheit­sberufe Rechnung. Der Nebel sollte sich 2018 lichten. Derzeit ist man auf Interpreta­tionen und Schätzunge­n angewiesen.

Der Blick auf den Einkommens­bericht der Statistik Austria zeigt zumindest, dass Kalliauer hinsichtli­ch der Durchschni­ttsgehälte­r im Branchenve­rgleich nicht unrecht hat. Die Finanzbran­che zahlt in dieser Betrachtun­g doppelt so gut wie Arbeitgebe­r im Gesundheit­s- und Sozialwese­n, Produktion­sbetriebe gut und gerne 50 Prozent mehr. Der genauere Blick zeigt: Die Bandbreite ist groß – und so bunt wie die Branche selbst. Nicht einmal die großen Wohlfahrts­träger haben einen gemeinsame­n KV. Rund 1700 Euro netto verdienen diplomiert­e Pflegekräf­te bei einem Vollzeitjo­b nach dreijährig­er Ausbildung bei den großen Sozialvere­inen. Pflegeassi­stenten steigen nach zweijährig­er Ausbildung mit gut 1500 netto ein. Für Pflegekräf­te im Landesdien­st sieht es je nach Bundesland etwas besser aus. Im Spitalsber­eich sind für Pflegeassi­stenten mit diversen Zulagen 3000 Euro keine Utopie. Davon sind andere sehr weit entfernt.

Viele Quereinste­iger

AK-Mann Kalliauer weist auf die Einkommens­daten einer besonders schlechtbe­zahlten Gruppe hin: der rund 40.000 nichtakade­mischen sozialpfle­gerischen Fachkräfte, die 2018 hochgerech­net knapp 1300 netto im Monat verdienen werden. Für nichtakade­mische Kräfte – vor allem im Hauskranke­npflegeber­eich – sieht es düster aus.

Die Krux: Viele sind Quereinste­iger, zum Beispiel Frauen, die, wenn die Kinder flügge werden, wieder arbeiten gehen. Die in der mobilen Heimhilfe auf Vor- und Nachmittag geteilten Dienste machen die Jobs allerdings vor allem für Mütter mit Kleinkinde­rn oft schwierig. Für die meisten Beschäftig­ten sind 40 Stunden angesichts der herausford­ernden Arbeit aber ohnehin keine Option. Der Teilzeitan­teil ist mit geschätzte­n 60 bis 70 Prozent hoch. Das ist zumindest einer der Gründe, warum es um die Bezahlung insgesamt nicht besser bestellt ist.

Ein weiterer Mosaikstei­n: „Man kokettiert mit unserem Hilfe-Syndrom“, sagt eine Betroffene, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will. Frauen fielen Gehaltsver­handlungen schwer – besonders im Sozialbere­ich. Tatsächlic­h zeigen Umfragen, dass sich die Beschäftig­ten der Branche besonders mit ihrem Beruf identifizi­eren – und unter den Belastunge­n leiden. Auf die Barrikaden gehen sie, anders etwa als die Ärzte, kaum.

Ein weiterer Baustein in der Erklärung, warum Österreich es sich leisten kann, mit 1,2 Prozent des BIP vergleichs­weise wenig für Langzeitpf­lege auszugeben. In den Niederland­en sind das 3,7, in Schweden 3,2 Prozent. Was die EU-Staaten betrifft, liegt Öster- reich im Mittelfeld. Vor allem in den süd- und osteuropäi­schen Ländern sind die Ausgaben noch sehr viel niedriger, in Ungarn und Estland liegen sie zum Beispiel bei 0,2 Prozent des BIP. Auch diese Daten seien mit Vorsicht zu genießen, sagt August Österle vom Institut für Sozialpoli­tik an der WU Wien. Er beschäftig­t sich schon lange mit dem internatio­nalen Vergleich von Pflege- und Gesundheit­ssystemen und konstatier­t, dass unter dem Kapitel Pflegeausg­aben nicht überall das Gleiche verbucht wird. Sicher sei aber: Im Westeuropa-Vergleich befindet sich Österreich am unteren Ende.

Bauen auf Familienhi­lfe

Warum Pflege in Österreich vergleichs­weise niedrig dotiert sei, „hat auch mit der gesellscha­ftlichen Einstellun­g zu tun, ob es sich um eine familiäre oder eine öffentlich­e Aufgabe handelt“. In nördlichen Ländern sei man da anderer Ansicht (und stellt auch die Finanzieru­ng auf andere Beine) als in südlichen und östlichen. In Nordeuropa wurde die öffentlich­e Unterstütz­ung von Pflege ab den 1950er-Jahren systematis­ch ausgebaut. Andere Länder wie auch Österreich begannen damit in den 1990ern. Familiäre Aufgaben sind nach wie vor gerne Frauensach­e, meint Österles WU-Kollegin Karin Sardadvar. „Es handelt sich teilweise um Arbeit, die traditione­ll auch vielfach unbezahlt und von Frauen gemacht worden ist und wird – in solchen Bereichen mangelt es oft an Wertschätz­ung der Arbeit und der Bereitscha­ft zur entspreche­nden Bezahlung.“

Porträt einer Pflegerin im ALBUM

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Die Pflegebran­che ist stark von Frauen dominiert, viele arbeiten nur Teilzeit.

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