Und hinter tausend Stäben keine Welt
Im Western setzten sich die Verbrecher nach Mexiko ab, in heutigen Filmen ist das Land jenseits des Rio Grande ein Hort für Terroristen. Über filmische Grenzziehungen anlässlich des Thrillers „Sicario 2“.
Grenzen kann man auf vielerlei Weise überschreiten. Wenn sie unsichtbar sind, geht man einfach drüber, manchmal bedarf es einer Brücke, in seltenen Fällen wird ein Tunnel gebaut – eine der großen neueren Fernsehserien zum Thema heißt bezeichnenderweise The Bridge, sie wurde aus Skandinavien übernommen, also aus einem ganz anderen grenzpolitischen Kontext.
Irgendwann soll an der Grenze zwischen den USA und Mexiko eine Mauer gebaut werden, dann kann man im Grunde nur noch dagegenfahren. Eine gleitende (vor allem ästhetisch grenzüberschreitende) Kamerabewegung wie zu Beginn des Klassikers Touch of Evil mit Charlton Heston kann man dann vergessen, einen kleinen Grenzverkehr sowieso.
Die USA haben in Richtung Süden offensichtlich eine Art Achillesferse: Nach Norden stört das viel weniger zerstrittene Kanada inzwischen auch ein bisschen – wobei man natürlich nicht alles auf die unterschiedlichen Gesundheitssysteme schieben sollte, wie Michael Moore das tut. Im Süden aber stoßen die USA an Mexiko, was Donald Trump umso mehr erbost, als diese Grenze durch eine Freihandelszone verläuft, von der die USA stark profitiert haben. Das widerspricht den Dogmen des Präsidenten, dass Amerika (de facto ein Teil-Amerika, das sich aber gern für das ganze hält) allein am besten zurechtkommt, solange die ganze Welt bei Amazon bestellt, demnächst am besten auch das Erdgas, das in den Stammländern von Trump mit viel Chemie aus der Erde gepresst wird.
Die Grenze zu Mexiko muss umso stärker hervorgehoben werden, als sie kulturell und historisch schwach begründet ist. Dass Verbrecher sich nach Mexiko absetzen konnten, wie das im Western noch war und in den Filmen der Schwarzen Serie zumindest noch als letzte Hoffnung galt, das macht heute kaum noch Sinn.
Grenzen in „Breaking Bad“
Als natürliches Argument für eine starke Grenze könnte man den Rio Grande heranziehen, aber der macht auch nicht überall so viel her, wie sein Namen glauben machen will. Der US-amerikanische Bundesstaat New Mexico (Schauplatz der grenzüberschreitenden Verbrecherserie Breaking Bad) ist ein weiteres Indiz dafür, dass zwischen dem alten und dem neuen Mexiko nur die Zufälle der Expansion nach Westen liegen, der sich die USA verdanken. Die Expansion nach Süden folgte dann anderen Logiken mit stärkerer Beteiligung der CIA und der multinationalen US-Konzerne.
Derzeit befindet sich die ganze Welt, so könnte man meinen, in einer Phase, in der es um größtmögliche Aufladung von Grenzregimes geht. Der aktuelle Thriller Sicario 2 von Stefano Sollima bietet dafür ein gutes Beispiel. Mexiko ist das Land der Kartelle, aus Mexiko lassen sich nördlichere Amerikaner ihre Euphorielinien liefern, in Mexiko herrscht Gewalt und Anarchie, in den USA das Recht der National Rifle Association. Im ersten Sicario (2015, Regie: Denis Villeneuve) ging es noch vor allem um diesen Grenz- verkehr, der im Wesentlichen als Warenschmuggel zu werten ist. Nun hat sich die Lage aber gleich doppelt verschärft: in Sicario 2 geht es um Menschenschmuggel (also um Schleuserwesen, „human trafficking“), was als solches jetzt auch nicht neu ist.
Die Pointe liegt darin, welche Menschen aus Mexiko in die USA gelangen wollen: neben zahlreichen Armutsflüchtlingen sind das nämlich auch Terroristen. Das Drehbuch zu Sicario 2 wurde offensichtlich zu einer Zeit geschrieben, in der noch nicht ganz klar war, wie es mit dem IS (Islamischer Staat) und vergleichbaren Organisationen weitergehen würde. Und so taucht hier eine abenteuerliche geopolitische Fantasie auf: der einstmals „schwarze“Atlantik der Sklavenschiffe wird nun zu einem orientalischen Atlantik, auf dem Jihadisten bis zu der Grenze übersetzen, an der das amerikanische „Homeland“wirklich beginnt. Die Konsequenz dieses erzählerischen Manövers ist klar: Wenn Amerika sich nun am Rio Grande gegen den nächsten Mohammed Atta wappnen muss, dann kann auch Deutschland nicht länger am Hindukusch verteidigt werden, wie das eine Zeit lang einmal inoffizielle Strategie war, wohl aber Österreich in Spielfeld.
Ästhetik von „Sicario 2“
Denn wenn hinter jeder Grenze der politische (oder: der politisch instrumentalisierbare) Islam wartet, dann ist im Grunde hinter jeder Grenze nicht einfach ein Nachbarland, sondern der Irak oder Afghanistan. Das ist, nebenbei gesagt, auch die ästhetische Idee von Sicario 2: Hinter Tijuana liegt gleich Falluja.
Dagegen wusste ein vernünftiger Mann wie der Regisseur John Sayles immer schon: Hinter der Grenze zu Mexiko liegt Amerika. In dem großartigen Film Lone Star (1996) geht es nicht nur zwischen den Nationen, sondern auch zwischen den Zeiten mehrfach hin und her. Die Ehrenbürger von heute waren in Amerika sehr oft die illegalen oder prälegalen Migranten von gestern.
Wer lupenreiner Herkunft ist, der werfe den ersten Stein über den Rio Grande.