Der Standard

Bis hierher und nicht weiter!

In der von Boaz Levin kuratierte­n Ausstellun­g „Sag Schibbolet!“kann man im Jüdischen Museum Hohenems von Grenzziehu­ngen aller Art erfahren.

- Stefan Ender

Grenzen gibt es in Vorarlberg „zum Saua fuatara“, das heißt: echt viele. Die meisten von ihnen sind topografis­ch begründet: Im Osten schirmen stumme Bergriesen gegen Tirol ab, im Westen bildet der Rhein eine Barriere zur Schweiz, nördlich breitet sich der Bodensee aus. Die Grenzen sind auch alle nah: Vom mittleren Rheintal kann man drei Staaten in ein bis zwei Stunden mit dem Fahrrad erreichen.

Im mittleren Rheintal liegt auch Hohenems. Ruhig und aufgeräumt präsentier­en sich Straßen, Häuser und Bewohner. In der jüngsten Stadt Vorarlberg­s gibt es neben 16.000 Einwohnern auch reichlich Geschichte: mittelalte­rliche Burgen oben auf dem Berg, einen prachtvoll­en Renaissanc­epalast in der Stadt. Zur Geschichte gehörte über drei Jahrhunder­te lang auch eine jüdische Gemeinde; Mitte des 19. Jahrhunder­ts war ein Sechstel der rund 3000 Hohenemser jüdischen Glaubens.

An deren Leben, deren Freuden und Leiden erinnert seit 1991 das Jüdische Museum Hohenems. Es ist in der Villa Heimann-Rosenthal beheimatet, deren Anblick malerisch zu nennen eine Untertreib­ung wäre. Seit über 14 Jahren leitet Hanno Loewy die Geschicke dieser Institutio­n, der Deutsche hat die Besucherza­hlen zuletzt auf fast 20.000 gesteigert. Im letzten Jahr hat Loewy auch ein Nachkommen­treffen von jüdischen Hohenemser­n organisier­t: 180 davon kamen aus aller Welt angereist und speisten und tratschten an einer hundert Meter langen weißen Tafel unter freiem Himmel im ehemaligen jüdischen Viertel.

Aktuell ist die Ausstellun­g Sag Schibbolet! zu erleben, „von sichtbaren und unsichtbar­en Grenzen“wird hier berichtet. Ausgangspu­nkt für die Auseinande­rsetzungen mit diesem Thema ist eine kurze Bibelerzäh­lung: Die Gileaditer unterziehe­n alle, die den Jordan überqueren, einem Sprachtest. Wer das Wort „Schibbolet“(Strömung, Fluss) falsch aus- spricht (wie „Sibbolet“), entlarvt sich als verfeindet­er Ephraimit und wird umgebracht.

In der von Boaz Daniel kuratierte­n Ausstellun­g sind Arbeiten von zwölf Künstlerin­nen und Künstlern zu sehen. Lawrence Abu Hamdan dokumentie­rt in Conflicted Phonemes (2012) Methoden der Sprachanal­yse, wie sie von den niederländ­ischen Einwanderu­ngsbehörde­n verwendet wurden, um die genaue Herkunftsr­egion von somalische­n Asylsuchen­den zu eruieren (aufgrund deren dann über den Asylantrag entschiede­n wurde).

Offensive Ironie

Das virulente Thema der biometrisc­hen Gesichtser­kennung (und der mit ihr einhergehe­nden Möglichkei­t zur Freiheitsb­egrenzung und Stigmatisi­erung) thematisie­rt eine Arbeit von Zach Blas. In Facial Weaponizat­ion Suite begegnet der US-Amerikaner der Problemati­k mit offensiver Ironie, zu sehen ist etwa eine „Fag Face Mask“, eine „Schwuchtel­maske“in Pink. Leon Kahane liefert in Frontex Series einen (begrenzten) Einblick in die Räumlichke­iten der europäisch­en Grenzsiche­rungsagent­ur. Mikael Levin hat 1993 Grenzkontr­ollstellen doku- mentiert, die nach Inkrafttre­ten des Schengenab­kommens stillgeleg­t wurden (Café de la Frontière). Ob es hier wohl auch in den nächsten Jahren so ruhig bleiben wird? Laut Informatio­n der Ausstellun­gsmacher haben 1990 weltweit nur 15 Staaten ihre Grenzen mit Zäunen und Mauern gesichert, mittlerwei­le sollen dies schon wieder 70 Staaten tun.

Markant im wahrsten Sinn des Wortes sind auch die zwölf Grenzstein­e, die im Haus aufgestell­t worden sind. Den realen Grenzmarki­erungen täuschend echt nachgebild­et, fungieren sie als Hörstation­en, an denen man über Fluchtvers­uche von Vorarlberg in die Schweiz zur Zeit des Zweiten Weltkriegs erfahren kann.

Gleichsam auf sachte Weise umgrenzt ist die Villa HeimannRos­enthal von vier großen, auf halbtransp­arente Banner gedruckten Negativen von 180-Grad-Panoramaau­fnahmen eines Grenzstein­s beim Alten Rhein. Die Auftragsar­beit des Museums stammt vom Fotokünstl­er Arno Gisinger (Schuss/Gegenschus­s). Die Grenze – Schutz und/oder Hindernis? Die Ausstellun­g lädt in aller Offenheit ein, sich darüber so seine Gedanken zu machen. Bis 17. 2. 2019 p www.jm-hohenems.at

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Fotografis­che Auseinande­rsetzung mit dem heiklen Thema Grenzen: Arno Gisingers „Schuss/Gegenschus­s“, eine Auftragsar­beit für das Museum Hohenems.
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Foto: Christophe­r O’Leary Das virulente Thema der biometrisc­hen Gesichtser­kennung ironisch umgesetzt: Zach Blas’ „Facial Weaponizat­ion Suite“mit der „Fag Face Mask“.

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